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Wirtschaft: Rettet das Land – jetzt!

Das Helfersyndrom hat die Buchautoren erwischt. Sie wollen zeigen, wie man Deutschland aus der Krise führt

Bisher hat die Aufgabenteilung zwischen Wirtschaftswissenschaftlern und -experten, Politikern und Journalisten ganz gut funktioniert. Die Wirtschaftswissenschaftler machten schlaue Vorschläge, wie das Land zu retten ist. Die Politiker ignorierten sie. Dafür hauten die Journalisten in großen Rundumschlägen alle beide in die Pfanne: die Wissenschaftler, weil sie weltfremde und politisch nicht umsetzbare Vorschläge in viel zu dicken Büchern machen. Und die Politiker, weil sie zu dumm sind, differenzierte und ausformulierte Programme in einfache, praktische und politische Entscheidungen zu fassen. Klar, dass die Journalisten den besten Part erwischt hatten.

In diesem Frühjahr aber ist bei den gewohnten Rollenspielen einiges durcheinander geraten. Nicht nur, weil die Bundesregierung selbst einen Sammelband veröffentlichen lässt, in dem sie Vorschläge zusammengestellt hat, wie das Land nach vorne kommen kann. Nicht nur, weil es praktisch keinen Unternehmensberater über vierzig mehr gibt, der kein Werk darüber verfasst hätte, wie der Sanierungsfall Deutschland – ratzfatz – mit ein bisschen guter Beratung schnell wieder auf Kurs kommt.

Nein, auch zwei der führenden deutschen Wirtschaftsjournalisten um die vierzig haben je ein Rettet-Deutschland-jetzt-Buch geschrieben, in denen sie zuerst das deutsche Dilemma analysieren und dann sagen, wie es besser zu machen ist: Christoph Keese, dem Chefredakteur der „Financial Times Deutschland“, geht es um den Kapitalismus insgesamt, der völlig zu Unrecht in Verruf geraten sei. Die weit verbreitete weinerliche Unlust am Kapitalismus macht die Menschen handlungsunfähig und staatsgläubig, so die These. Erst wenn sich diese – übrigens nicht nur in Deutschland – verbreitete Haltung ändere, sei mit dem wirtschaftlichen Wiederaufstieg zu rechnen.

Unterzuckert in den Kapitalismus

Interessenten seien gewarnt: Wenn man ein paar Kapitel des Werks intus hat, geht es einem, wie es mutmaßlich auch dem Autor beim Verfassen gegangen ist: als sei man zu früh aufgestanden und habe sich dann eine zu lange Joggingstrecke zugemutet. Das Hirn erleidet einen Sauerstoffschock, aber es sollen einen dann angeblich irgendwann unerklärliche Glücksgefühle durchströmen. Wenn man also zur Ausschüttung von Endorphinen neigt, ist das Buch die absolut richtige Lektüre. Die anderen bleiben atemlos zurück, verspüren nur noch das Bedürfnis zu beteuern, keine Antikapitalisten zu sein. Und zweifeln am stramm bekannten Neoliberalismus des Autoren, der da und dort auch schon mal ein bisschen Protektionismus gegen den Weltmarkt erlaubt.

Gabor Steingart dagegen, Büroleiter des „Spiegel“ in Berlin, konstatiert betrübt den „Abstieg des Superstars“ Deutschland – und schreibt dann doch auch noch kurz auf, wie der Weg ins Nichts umzukehren ist. Steingart meint, dass das deutsche Problem darin besteht, dass der „glühende Kern“ der Volkswirtschaft, der Bereich, in dem geschafft, geforscht, investiert und geschuftet wird, eine immer dickere kalte Kruste von Kostgängern durchfüttern muss: die Arbeitslosen und die Rentner, die Dauerstudenten und Ewig-Schüler, die Sozialhilfeempfänger und die Invaliden. Das überfordert den stärksten Kern. Erst wenn die Probleme, deren Ursprung der Autor in den vergangenen rund hundertzwanzig Jahren deutscher Wirtschafts-, Sozial- und Militärgeschichte ortet, angepackt sind, kann der langsame Wiederaufstieg des Landes beginnen.

Dazu empfiehlt Steingart die „zweite Staatsgründung“. Schluss mit dem schwachen Staat, in dem es zu jeder Macht eine Gegenmacht gibt, weil die Alliierten das nach dem zweiten Weltkrieg so wollten, ruft Steingart seinen Lesern zu. Was er meint, ist: Entmachtet die Länder, stärkt die Position des Regierungschefs gegenüber den eigenen Leuten und gegenüber der politischen Konkurrenz. Sorgt dafür, dass Lohnersatzleistungen wirklich nur übergangsweise bezahlt werden, macht, dass die, die arbeiten können, auch arbeiten. Das alles, so schreibt Steingart selbst, „käme einer Revolution gleich“. Prima, möchte man da sofort rufen, klingt ja ganz einfach: Dann macht es doch endlich.

Analyse ohne Lösung

Doch an diesem Punkt verzagt auch der Autor: Das Zeitfenster für die Revolution schließe sich, knüttert er auf der letzten Seite des Buchs. Noch sei der Wiederaufstieg des einstigen Superstars möglich, doch „unklar ist, ob er diese Chance auch nutzen wird“. Das ist unbefriedigend. Gut für Steingart, dass er gut schreiben kann. Und gut, dass sich die Sache nicht nur gut, sondern auch kurzweilig liest. Das ist besser als nichts und reißt alles heraus. Und jedenfalls besser als das, was die anderen Fourtysomethings so zu Papier gebracht haben.

Kultur der Kreativität

O.k., es ist nicht fair, aber nehmen wir als neuestes und beeindruckendes Beispiel der grassierenden Rettet-Deutschland-Manie das offizielle Buch, mit dem die Bundesregierung selbst zur Rettung des Landes ausholt – keine Angst, nur auf dem Papier. „Made in Germany ’21“ heißt das, in dem auch Ältere schreiben durften. Das Gros der Autoren aber ist auch da, wo der Beruf anfangen könnte, Spaß zu machen: gerade angekommen an den Schalthebeln. In dem Buch ist vom Abstieg eines Superstars natürlich nicht mehr die Rede, sondern viel mehr von den Chancen, die die Zukunft bietet, von „altem Glanz und neuen Stärken“ zum Beispiel.

In der Autorenschaft versammelt sich die Deutschland AG, also die führenden politischen Manager des Landes, die innovativsten Behördenchefs, die prächtigsten EU-Kommissare, die mutigsten Ministerpräsidenten, die hervorragendsten Sozialdemokraten und, ja, ein paar Grüne sind auch dabei. Klar, der Schinken wurde herausgegeben vom Chef des Bundeskanzleramts, Frank-Walter Steinmeier, und vom ehemaligen SPD-Geschäftsführer Matthias Machnig. Bei den Vorschlägen geht es entsprechend munter durcheinander. Der Kanzler selbst schreibt von der Kultur der Kreativität, die bald ausbrechen wird.

Guckt man nur in die Literaturverzeichnisse der einzelnen Aufsätze, finden sich zahlreiche Hinweise auf andere Autoren, die zufällig auch für das Buch eingeladen wurden. Das ist aufschlussreich, weil es die deutsche Reformdebatte ein bisschen als selbstreferenzielle Schau entlarvt. Das einzige, was ein bisschen mehr Spannung verspräche, wäre das Experiment, alle die Hinweise aus all den Aufsätzen gleichzeitig anzuwenden: Vermutlich käme es zum Bürgerkrieg. Oder zu ein paar Sonderwirtschaftszonen. Nichts an dem Buch ist so neu, dass es deshalb gelesen werden müsste: Man kann es zwar kaufen, muss aber nicht – auch Interessenten mit wenig Geschick sollten es schaffen, eines der zahllosen Umsonst-Exemplare zu bekommen, mit denen das Land zurzeit beglückt wird.

Dieses Buch bestellen Christoph Keese: Rettet den Kapitalismus. Wie Deutschland wieder an die Spitze kommt. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2004, 302 Seiten, 19,90 Euro

Dieses Buch bestellen Gabor Steingart: Deutschland. Der Abstieg eines Superstars. Piper Verlag, München, Zürich, 2004, 303 Seiten, 13 Euro

Dieses Buch bestellen Frank-Walter Steinmeier, Matthias Machnig (Hg.): Made in Germany ’21. Innovationen für eine gerechte Zukunft. Mit einem Vorwort von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 2004, 14,90 Euro, bezahlen Sie nichts dafür .

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