zum Hauptinhalt
Mitglieder der selbsternannten "Selbstverteidigungskräfte" in der Innenstadt von Kiew, aufgenommen am 1. März 2014.

© AFP

Update

Revolutionswirren: Ukrainische "Volkskomitees" wollten deutsche Fabriken entern

Kriminelle Geschäftsleute versuchen offenbar, das Machtvakuum in Teilen der Ukraine zu nutzen, um die Kontrolle über Unternehmen zu bekommen. Mindestens zwei deutsche Unternehmen wurden bereits bedroht.

Das teilte die deutsche Außenhandelskammer (AHK) in Kiew dem Tagesspiegel mit. Betroffen ist etwa die Quarzwerke Gruppe aus Frechen bei Köln. Das Familienunternehmen betreibt der Provinz Winnyzja südwestlich von Kiew seit acht Jahren eine Fabrik zur Aufbereitung von Kaolin, einem Grundstoff für die Papier- und Keramikindustrie.

Vergangene Woche sei dort ein Schreiben eines "völkischen Selbstverteidigungskomitees" eingegangen. Darin habe man seiner Firma Korruption und Misshandlung von Mitarbeitern vorgeworfen und sie aufgefordert, sofort eine von dem Komitee ernannte Person in die Geschäftsführung zu berufen, bestätigte Quarzwerke-Chef Otto Hieber am Dienstagabend telefonisch aus der Ukraine. "Wir haben höflich auf die stetige Kontrolle externer Prüfer verwiesen und eine neue Werksleitung abgelehnt".

Die mutmaßlichen Verfasser des Schreibens seien am vergangenen Freitag tatsächlich bei der Fabrik in einem Bus vorgefahren, um diese zu entern, aber von der Belegschaft – insgesamt arbeiten dort 320 Personen – zurückgedrängt worden. Hieber sagte, er habe sich von Vertretern der neuen Regierung in der Provinzstadt und in Kiew Unterstützung gegen diese Form der feindlichen Übernahme zusagen lassen.

Laut AHK hat auch eine Fabrik in der benachbarten Provinz Schytomyr, 120 Kilometer westlich von Kiew, wegen ähnlicher Probleme um Hilfe bei der Kammer und der deutschen Botschaft in Kiew gebeten. „In solchen Fällen muss man sehr schnell reagieren, das haben wir gemacht“, sagte Alexander Markus, Leiter der AHK in Kiew.

Bereits am Montag hatte Rainer Lindner, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, einem Ableger des BDI, dem Tagesspiegel berichtet, er habe bei Gesprächen mit deutschen Unternehmen vor Ort erfahren, dass Gruppierungen nach dem Machtwechsel versucht hätten, einzelne Unternehmen zu enteignen. "Das hatte keinen Erfolg, es waren auch Einzelfälle, allerdings ist die Verunsicherung unter den deutschen Firmen enorm gestiegen."

Unternehmen, die Filialen rund um den Maidan betreiben, Banken zum Beispiel, hätten zudem geschlossen. Der Platz selbst, so Lindners Eindruck, sei nicht nur "Euro-Maidan", wie viele in Deutschland glauben würden. Man treffe zwar Befürworter einer Annäherung an den Westen, allerdings auch Nationalisten und Prügeltruppen.

200.000 deutsche Jobs hängen am Russland-Geschäft

Lindner sprach davon, dass die Zentralregierung in Kiew offenbar die Kontrolle über einige Landesteile verloren habe. Das sei schlecht. Eine Katastrophe wäre es aber, wenn es tatsächlich zum Krieg käme und die EU dann Sanktionen gegen Russland verhängen würde. "Das würde nicht nur dem Image Russlands nachhaltigen Schaden zufügen, sondern auch die deutsche Wirtschaft empfindlich treffen", sagte Lindner. So hingen in Deutschland in etwa 200 000 Jobs an dem Russland-Geschäft. "Wenn all das durch einen Krieg aufs Spiel gesetzt würde, fänden wir uns in einer anderen Welt wieder", sagte er.

Insgesamt sind rund 8000 deutsche Unternehmen in Russland tätig, 2000 in der Ukraine. Sie mussten sich in den vergangenen Monaten eh schon um die schwache konjunkturelle Lage in beiden Ländern sorgen. Mit der erneuten Eskalation der Lage, nachdem Putin beim Parlament einen Freibrief für eine Intervention in der Ukraine geholt hatte, ungewisser denn je. So verloren am Montag die im Dax notierten Papiere des Sportartikelherstellers Adidas fast fünf Prozent – weil Russland der drittwichtigste Markt für den Konzern ist. Auch der Handelskonzern Metro, der Märkte in beiden Ländern – sogar auf der Krim – betreibt, verlor noch stärker. Beide Werte erholten sich im Handel am Dienstag nur leicht.

Zumindest Otto Hieber von der Quarzwerke Gruppe glaubt aber an eine bessere Zukunft. Er hofft, dass der Spuk für seine Firma nun vorbei ist. "Die Ukraine wird nun wirtschaftlich problematische Zeiten erleben. Ich bin mir aber sicher, dass die neue Regierung deutlich bessere Bedingungen für Investoren schafft, als jede andere Vorgängerregierung. Die Umwälzungen werden tiefer gehen, aber nachhaltiger sein."

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false