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Rund vier Millionen Kühe gibt es in Deutschland. Viel Milch geht in den Export.

© dpa

Riesennachfrage nach Milch und Jogurt: „Als ob Ostern, Weihnachten und Silvester zusammenfallen“

Die Bundesbürger kaufen die Kühlregale leer. Trotzdem kommen die Milchbauern nicht klar. Die Politik muss wieder helfen.

Vielleicht hätte Hans Foldenauer in den vergangenen Wochen einfach mal häufiger einkaufen gehen sollen. In der Coronakrise haben die Bundesbürger nämlich ihre Liebe zu einem Lebensmittel wieder entdeckt, dem viele vorher die Freundschaft aufgekündigt hatten: der Milch. Im vergangenen Jahr war der Absatz um 3,6 Prozent gesunken, weil immer mehr Menschen statt Kuh-, lieber Soja- oder Hafermilch in ihren Einkaufswagen gelegt haben. Seit Ausbruch von Covid-19 ist das anders: Milch, Jogurt, Quark und Butter sind gefragt wie nie. Neben Klopapier und Nudeln sind Milchprodukte die Krisengewinner.

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Milch von der Kuh oder von der Pflanze? Vegane Alternativen sind gefragt.
Milch von der Kuh oder von der Pflanze? Vegane Alternativen sind gefragt.

© picture alliance/dpa

Der Lebensmitteleinzelhandel habe in den vergangenen Wochen teilweise doppelt so viel bestellt wie sonst, schwärmt das Deutsche Milchkontor, das mit Marken wie Milram, Humana und Alete eine der größten Molkereien Deutschlands ist. In einzelnen Bereichen habe man sogar das Dreifache an Bestellungen verzeichnet. Und die Nachfrage hält an: „Die aktuellen Liefermengen an den Lebensmitteleinzelhandel liegen teilweise bei 40 Prozent über dem Durchschnitt“, berichtet DMK-Sprecher Oliver Bartelt. „Das ist, was die Mengenplanung betrifft so, als ob Ostern, Weihnachten und Silvester auf einen Tag fallen.“

Goldgräberzeiten für Milchbauern?

Goldgräberzeiten in der Milchwirtschaft? Davon müsste auch einer wie Hans Foldenauer profitieren. Der Landwirt hält auf seinem Hof im Allgäu 95 Milchkühe, das sind knapp 30 mehr als der bundesdeutsche Branchenschnitt. Es ist Kälbchenzeit, und es gibt frisches Gras. Gute Bedingungen also für die Kühe, Milch zu geben.

Stattdessen plädiert der Sprecher des Bundesverbands der Deutschen Milchviehhalter (BDM) für Produktionsbegrenzungen und klagt über niedrige Milchpreise. Wie kann das sein?

Hamsterkäufe: Nicht nur Klopapier und Nudeln, auch Milchprodukte waren zu Beginn der Covid-19-Pandemie teilweise ausverkauft.
Hamsterkäufe: Nicht nur Klopapier und Nudeln, auch Milchprodukte waren zu Beginn der Covid-19-Pandemie teilweise ausverkauft.

© imago images/Frank Sorge

Tatsächlich ist die Lage der Milchbauern weniger rosig als die leeren Supermarktregale glauben machen. Zwar kaufen die Bundesbürger in großem Stil mit frischen, aber noch lieber mit haltbaren Milchprodukten gegen die Coronakrise an, doch dafür ordern Kantinenpächter und Restaurantbetreiber so gut wie nichts mehr. Solange Deutschland im gastronomischen Lockdown ist, ist das Geschäft mit Cafés, Restaurants, Kneipen, Mensen und Kantinen praktisch zum Erliegen gekommen.

Der Export ist eingebrochen

Und nicht nur das. Auch der Export ist eingebrochen, etwa nach Asien. China ist der größte Milchimporteur der Welt, die EU der größte Milchexporteur. Und innerhalb der EU hat kein Land so viele Milchkühe wie Deutschland. Gut vier Millionen Tiere sind es hierzulande, rund 22 Kilo Milch produziert eine Kuh am Tag. 260.000 Tonnen flüssige Milch und Rahm, mehr als 27.000 Tonnen Magermilchpulver, über 24.000 Tonnen Joghurt, Sauermilchprodukte und Babynahrung exportierte Deutschland im vergangenen Jahr in das Reich der Mitte.

Derzeit sieht es anders aus. Sars-CoV-2 hat nicht nur die Exporte nach China in der akukten Pandemiephase abstürzen lassen, auch jetzt läuft das Geschäft noch schleppend. Die Abfertigung in den Häfen muss wieder hochgefahren werden, viele Kühlcontainer sind noch vor Ort. Und auch Italien, das vor der Krise ein wichtiger Abnehmer von deutscher Milch war, setzt jetzt mehr auf heimische Lieferungen.

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Für den Milchpreis verheißt das nichts Gutes. „Um alle Kosten zu decken, brauchen wir 44 Cent pro Liter“, sagt Foldenauer. Im Schnitt zahlen die Molkereien aber nur 31,8 Cent, das genossenschaftlich organisierte DMK liegt mit 33,5 Cent darüber. Die Molkereien verhandeln die Preise mit den Handelsketten. Der Hauptgeschäftsführer des Milchindustrieverbands, Eckhard Heuser, appellierte daher kürzlich im Branchendienst „agrarheute“ an die Supermarktketten, jetzt sei nicht die richtige Zeit für „scharf geführte Preisgespräche“.

Hochleistung: Die Kühe geben immer mehr Milch. Aber wohin damit?
Hochleistung: Die Kühe geben immer mehr Milch. Aber wohin damit?

© dpa

Aldi hat sich bei den jüngsten Preisverhandlungen allerdings schon bereit gezeigt, mehr für die Milch zu zahlen. Ob die Konkurrenten dem Beispiel folgen, bleibt abzuwarten. Derzeit, heißt es beim Bundesverband des deutschen Lebensmittelhandels, seien meist noch die Kontrakte in Kraft, die in der Vor-Corona-Zeit ausgehandelt worden sind. Und: Man solle den Handel auch nicht überschätzen. Maximal 40 Prozent der Milchmenge lande in den Regalen des Handels, betont der Verband.

Die Politik will die Lagerhaltung unterstützen

Das reicht nicht, um die Ausfälle an anderer Stelle auszugleichen. Um Bilder von Protesten wütender Milchbauern zu verhindern, die ihre Milch wegschütten, hat die Politik beschlossen zu helfen. Die EU-Kommission will Beihilfen zahlen, wenn Molkereien Milchpulver und Butter einlagern und die Ware erst dann wieder auf den Markt werfen, wenn sich der Preis erholt hat.

Auch das Wettbewerbsrecht soll gelockert werden, Absprachen über eine Einschränkung der Produktion sollen ausnahmsweise erlaubt sein. Die Kommission hofft, die Maßnahmen noch im April auf den Weg bringen zu können, braucht aber noch die Zustimmung der Mitgliedstaaten. Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) hat diese bereits signalisiert.

Bauernproteste: Die Milchbauern sind schon häufiger auf die Straße gegangen.
Bauernproteste: Die Milchbauern sind schon häufiger auf die Straße gegangen.

© DPA

Foldenauer hält das jedoch für den falschen Weg. „Was ist, wenn man die Lagerbestände wieder auflöst?“, warnt er vor einem Preisrutsch in Folge des Überangebots. Der BDM-Sprecher plädiert stattdessen dafür, dass die Kühe weniger Milch geben sollen. Ein Kilo weniger Kraftfutter am Tag reduziere die Milchmenge pro Tier um sechs Prozent, rechnet er vor. Produktionsbeschränkungen könne man auf freiwilliger Ebene mit Ausgleichszahlungen des Staats durchführen, lieber wären dem BDM aber wohl zwingende staatliche Mengenvorgaben. So wie vor dem 1. April 2015, als die Milchquote den Markt regulierte.
Seitdem ist das Leben der Milchbauern nicht leichter geworden, teilweise allerdings selbst verschuldet. Immer mehr Milch wurde produziert, die Preise rutschten in den Keller, Betriebe mussten aufgeben. Nun hofft Foldenauer wieder auf strengere Maßnahmen der Politik: „Vielleicht wäre jetzt ein kleiner Bauernaufstand nötig“, sagt er.

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