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Wer hätte damit gerechnet? Die möglichen Schäden durch Erdbeben oder Fluten seien leichter einzuschätzen als politische Risiken, erklärt der Experte. Das Foto zeigt die Folgen einer Überschwemmung im Mai 2014 im serbischen Dorf Krupanj.

© Dragan Karadarevic/dpa

Risikoanalyse bei der Munich Re: Sturm, Überschwemmung, Erdbeben - alle 200 Jahre eine Großkatastrophe

Der Rückversicherer Munich Re beschäftigt Mathematiker, Psychologen und Naturwissenschaftler um die Wahrscheinlichkeit von Naturkatastrophen oder politischen Risiken abzuschätzen. In neuen Geschäftsfeldern wie der Cyberkriminalität tut sich der Konzern indes noch schwer mit der Prognose.

„Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.“ Von wem der Satz stammt, weiß man nicht so ganz genau. Der Kabarettist Karl Valentin könnte es gewesen sein, aber auch der Schriftsteller Mark Twain oder der Physiker Niels Bohr.

Wie wahr dieser Spruch ist, hat nun der Chef der Munich Re, Nikolaus von Bomhard, erfahren müssen. Für das laufende Jahr hatte Bomhard einen Gewinn in der Spanne von 2,3 und 2,8 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Doch das erste Quartal ist beim weltgrößten Rückversicherer nicht so gut gelaufen wie erhofft – das musste Bomhard den Aktionären auf der Hauptversammlung Ende April mitteilen. Genaue Zahlen will die Munich Re an diesem Dienstag mitteilen. Bleibt abzuwarten, ob es dann einen erneuten Kursrutsch der Aktie geben wird.

Versicherungskonzern steht vor Umbau

Das Auf und Ab an den Aktienmärkten setzt nicht nur den Munich-Re-Aktionären zu, sondern auch dem Versicherungskonzern bei seiner eigenen Geldanlage. Belastend wirken auch die geplanten Modernisierungen bei der Tochter Ergo. Im zweiten Quartal will der neue Ergo-Chef Markus Rieß, der von der Allianz gekommen ist, sein Zukunftsprogramm präsentieren. Dann wird man abschätzen können, wie hoch die Kosten für den geplanten Umbau sein werden.

Welche Risiken kann die Munich Re eingehen, welche Chancen stecken in Investments und Geschäften? 400 Menschen arbeiten weltweit in der Risikoanalyse, 80 davon in Deutschland. Psychologen sind darunter, Mathematiker, Juristen, Versicherungsmathematiker und -kaufleute, aber auch viele Naturwissenschaftler. Ihr Chef, der Chief Risk Officer der Munich-Re-Gruppe, heißt Bernhard Kaufmann. Seit Januar 2014 ist der promovierte Physiker für das Riskomanagement zuständig. Er muss analysieren, welchen Risiken die Munich Re ausgesetzt ist, von welchen man sich lieber trennen sollte und welche man vielleicht noch zusätzlich eingehen möchte. Was passiert, wenn etwas passiert, kann das Unternehmen das verkraften und wie viel kann man gewinnen, wenn nichts passiert? Das sind Fragen, die Kaufmann und seine Leute beantworten sollen. Einfach ist das nicht.

Politische Risiken sind schwer zu kalkulieren

„Es gibt viele Arten von Risiken“, sagt Kaufmann. Und eine klare Grenze. 40 Milliarden Euro beträgt das ökonomische Eigenkapital der Munich Re. Bis dahin kann die Versicherung Risiken tragen, weiter nicht. Naturkatastrophen, also Erdbeben, Stürme oder Überschwemmungen, können zwar Milliardenschäden anrichten. So haben der Tsunami und die Atomkatastrophe von Fukushima aus dem Jahr 2011 die Munich Re über eine Milliarde Euro gekostet. Dennoch fühlen sich die Münchner in diesem Bereich vergleichsweise sicher. Ihre große Georisikoforschungsabteilung liefert Szenarien und Daten für die Risikoeinschätzung, zudem hat man jahrzehntelange Erfahrung im Geschäft mit der Absicherung von Naturkatastrophen. Bis zu drei Milliarden Euro Deckung übernimmt die Munich Re in diesem Bereich für ein sogenanntes Top-Szenario – ein Sturm, ein Beben, eine Flut, wie sie rechnerisch alle 200 Jahre einmal vorkommt.

Schwerer zu kalkulieren sind politische Risiken, Reputationsrisiken, also Gefahren für das Ansehen eines Unternehmens, IT-Risiken und die Gefahren von Cyberkriminalität. Zugleich nimmt hier aber auch das Bedürfnis nach Sicherheit zu. Cyberrisiken gehören zu den „Emerging Risks“, Risiken, die an Bedeutung gewinnen. Die Munich Re will ihr Geschäft in diesem Bereich ausbauen. Im vergangenen Monat vereinbarte sie eine Kooperation mit dem britischen Versicherer Beazley, einem Pionier für Cyberversicherungen. Versichert wird eine große Bandbreite an Cyberrisiken, allerdings limitiert auf 100 Millionen Euro.

Auch politische Risiken sind schwer einzuschätzen. Aus einigen Regionen Nordafrikas hat sich die Munich Re zurückgezogen, Schutz vor Terroranschlägen bietet die Versicherung nur in Ausnahmefällen und mit lokalen Poollösungen. Bestimmte Geschäfte übernimmt die Munich Re aus ethischen oder ökologischen Gründen nicht. „Für Streubomben haben wir beispielsweise einen klaren Ausschluss“, sagt Kaufmann, „auch Ölbohrungen in der Antarktis versichern wir nicht.“

Warnung vor dem Brexit

Mit der Uni Cambridge erarbeitet die Versicherung Szenarien, was passieren würde, wenn es in Europa zu Unruhen käme. Ein großes Thema ist auch der Brexit. Bleiben die Briten in der EU oder kommt es zum Austritt? Kaufmann warnt vor einem möglichen Dominoeffekt. „Wenn die Briten austreten, könnten auch andere EU-Länder mit Austritt drohen und Nachverhandlungen fordern.“ Die Folge wäre eine weitere Destabilisierung der EU. Und auf mittlere Sicht gesehen würden auch die Finanzmärkte leiden.

Prognosen zur Entwicklung einzelner Aktienkurse verkneifen sich die Risikoexperten dagegen. Ihre Aufgabe ist es, Volatilitäten zu berechnen, Bandbreiten für die Kursentwicklung.

Hilft es Kaufmann im privaten Leben, Risiken bewerten zu können? Bei der Geldanlage agiere er mit „unterschiedlichem Geschick“, sagt der Familienvater. Seine Arbeit habe wenig Einfluss auf das tägliche Leben, auch beim Vorhersagen von Fußball-Ergebnissen ist Kaufmann kein Experte, gibt er zu. Für die anstehende Fußball-Europameisterschaft hat der Risikokenner dennoch einen Tipp: „Statistisch gesehen gewinnt wahrscheinlich die Heimmannschaft, also Frankreich oder Deutschland.“

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