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Roland Berger: "Wir bräuchten 250 Milliarden Euro"

Unternehmensberater Roland Berger beklagt im Interview mit dem Tagesspiegel einen Investitionsstau und kritisiert das Konjunkturpaket.

Die Bundesregierung gibt derzeit viel Geld aus. Was steckt an Modernisierungspotenzial im Konjunkturprogramm?



Das Programm ist ein Mosaik aus vielen Einzelmaßnahmen. Ich denke, es setzt an den richtigen Punkten an. Für die Modernisierung Deutschlands ist es ganz wesentlich, zunächst den Einbruch, den die jetzige Krise erwarten lässt, abzubremsen. Dann haben Staat, Wirtschaft und Wissenschaft wieder Geld, um in die Zukunft zu investieren. Ich würde es sehr begrüßen, wenn von dem jetzigen Investitionsprogramm mehr Mittel gezielt in Forschung und Entwicklung, in Bildung, in Hochtechnologie und vielleicht in neue Hightech-Cluster flössen. Das wäre eine wirklich notwendige zukunftsträchtige Zusatzwirkung dieses Konjunkturprogrammes.

Hat die Bundesregierung eine Chance verpasst, Deutschland zu modernisieren?


Beim Stellen der Investitionsanträge der Länder, Kommunen und Unternehmen und bei der Auswahl der Projekte, die man finanziert, ist das ja noch zu beeinflussen. Im Moment sind tatsächlich sehr viele Investitionen in traditionellen Infrastrukturbau vorgesehen. Aber sollte wirklich die Breitbandtechnologie einer der Investitionsschwerpunkte werden, könnten investitionsstarke Telekommunikationsunternehmen, allen voran die Deutsche Telekom, in den nächsten Jahren ganz Deutschland mit hochleistungsfähigen Breitbandnetzen versorgen. Das würde den Staat nicht viel Geld kosten, denn die Firmen könnten dies weitgehend selbst finanzieren. Sie brauchen dazu nur eine marktgerechte Regulierung, also die Sicherheit, dass am Ende die Rendite stimmt. Dies würde zur Modernisierung Deutschlands entscheidend beitragen.

Werden die richtigen Investitionen gefördert?

Ich vermisse einen wesentlichen Teil: nämlich Steuererleichterungen für Unternehmen, die in Forschung und Entwicklung investieren. Durch degressive Abschreibungen, die Konjunkturprogramm eins wieder zulässt, sparen die investierenden Unternehmen zwar Steuern. Aber es wäre wesentlich, richtig zu investieren, das heißt nicht nur in bestehende, sondern in neue, zukunftsfähige Strukturen.

Welche Strukturen sind das?

Das betrifft den gesamten Telekommunikations- und Informatiksektor und hier vor allem die sogenannten eingebetteten Systeme. Also Chips, die in Autos, Maschinen und Geräte eingebaut werden. Wir haben in Deutschland für deren Nutzung eine hervorragende industrielle Infrastruktur. Darauf müssen wir aufbauen. Wichtig sind auch Bio-, Umwelt- und Energietechnologie. Und drittens gilt es mehr in hoch wertschöpfende intelligente Dienstleistungen zu investieren.

Was sind intelligente Dienstleistungen?

Zu Beispiel das im Moment so verschriene Investmentbanking, ohne das wir auf Dauer nicht auskommen werden. Oder die industrienahen Dienstleistungen, wie externe Forschungs- und Entwicklungsleistungen sowie Software- und Unternehmensberatung. Diese Branchen sind in Deutschland unterdurchschnittlich vertreten und werden zudem überwiegend aus dem Ausland bezogen oder von dort gesteuert.

Was würde es kosten, Deutschland grundlegend zu modernisieren?

Es gibt einen Investitionsrückstau in dreistelliger Milliardenhöhe bei den teils 60 Jahre alten Infrastrukturen Westdeutschlands, von den Straßen bis zur Kanalisation. Nach 1990 wurden diese Investitionen überwiegend nach Ostdeutschland gelenkt. Der stark gestiegene Nachholbedarf in Westdeutschland schließt auch die Bauinfrastruktur des Bildungswesens ein. Als ich neulich in Hamburg eine Schule betrat, hielt ich plötzlich das Treppengeländer in der Hand. Um Deutschland fit im Sinne der Lissabon-Agenda zu machen, bedarf es weiterer Investitionen von zirka 100 Milliarden Euro, zum Beispiel eben für Breitband, Informatik, Internet, Bio- und Umwelttechnologie sowie Energieversorgung. Der Agenda zufolge sollte Europa ja zur wettbewerbsfähigsten Wissensregion der Welt aufsteigen. Insgesamt bräuchten wir also um die 250 Milliarden Euro, um Deutschland zu modernisieren, wobei einen Großteil des Geldes und mehr die Unternehmen aufbringen können, sobald die Finanzmärkte wieder funktionieren.

Viele Experten geben für das Jahr 2009 düstere Prognosen ab. Was sehen Sie auf uns zukommen?


Dies ist eine sehr gravierende Krise, die einen erheblichen Einbruch des Wirtschaftswachstums bringen wird. Die Bundesregierung liegt mit ihrer Prognose von minus 2,3 Prozent noch auf der optimistischen Seite. Die Dramatik liegt aber nicht so sehr darin, wie drastisch die Wirtschaftsleistung zurückgehen wird, sondern wie lange die Rezession dauert.

Wie lange wird sie dauern?

Da sehe ich zwei Szenarien – und der Schlüssel dafür liegt in der Finanzbranche. Machen wir weiter wie bisher, wird die Finanzkrise noch bis Anfang/Mitte 2010 dauern. Die Realwirtschaft würde dann frühestens Ende 2010 wieder anziehen. Das könnte aber auch noch länger dauern, mit Tendenz zur Depression.

Und das zweite Szenario?


Werden die Bankenbilanzen noch im ersten Halbjahr 2009 bereinigt, kann der Bankenmarkt ab Mitte diesen Jahres wieder anspringen und die Industrie mit Geld versorgen. Darauf setzt Obama! Das könnte uns Anfang/Mitte 2010 wieder ein vernünftiges Wirtschaftswachstum bescheren, mit den entsprechenden Beschäftigungseffekten. Und lenken wir gleichzeitig die staatlichen Investitionen in Richtung Modernisierung, Bildung, Hochtechnologie und zukunftsfähige Industrien und Dienste, können wir sogar wettbewerbsfähiger aus der Krise herauskommen als wir hineingegangen sind.

Die Bundesregierung wird mit ihrem Programm allein die Weltwirtschaft wohl nicht wieder in Schwung bringen …

Nein. Zwei Dinge wären daher wünschenswert: Erstens, dass die Regierungen dieser Welt – mindestens aber die EU und die USA – ihre Programme aufeinander abstimmen, wobei natürlich jede Wirtschaft anders strukturiert ist. Zweitens müssen wir die Märkte offenhalten. Die einzelnen Konjunkturprogramme enthalten ja immer wieder protektionistische Tendenzen, à la „Buy American“ oder „Invest in France“.

Die Bundesregierung macht es anders und zahlt die Abwrackprämie, auch wenn kein deutsches Auto gekauft wird.

Ja, und sie macht es richtig. Denn besitzt jemand in Deutschland ein neun Jahre altes Auto, zählt er in der Regel nicht zu den Reichsten und wird wohl eher ein kleineres Auto aus Japan, Korea, China, Frankreich oder Italien kaufen. Wir müssen damit rechnen, dass am Ende von den 2500 Euro Prämie häufig nur die Händlerspanne von 20 Prozent und vielleicht noch ein paar Zulieferteile, die ein ausländischer Autohersteller von uns bezieht, als Wertschöpfung im Lande verbleiben. Aber trotzdem scheint mir das der richtige Weg, weil er erstens dem Konsumenten selbst nützt und zweitens Deutschland ganz erheblich vom Export lebt.

Benachteiligt das nicht deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb?

Nicht, wenn sich alle Länder wie Deutschland verhielten. Dieses Problem muss deshalb auf internationaler Ebene verhandelt werden. Dass die USA ihren Banken staatliches Eigenkapital zu fünf Prozent aufgenötigt haben, verschafft den US-Instituten erhebliche Wettbewerbsvorteile. Das gilt auch für die Hilfen für die Autoindustrie in Frankreich und den USA. So etwas sollte es in einer offenen Weltwirtschaft nicht geben.

Das Gespräch führte Corinna Visser


ZUR PERSON

WIRTSCHAFT

Roland Berger, 1937 in Berlin geboren, hat in München Wirtschaft studiert und noch als Student eine Wäscherei gegründet, die er bald verkaufte. Er startete einen Getränkediscount, den er ebenfalls verkaufte, und wechselte schließlich in eine Unternehmensberatung. 1967 gründete er unter seinem eigenen Namen eine Beratungsfirma, die inzwischen Weltruf erlangt hat. Rund 2100 Beschäftigte in 25 Ländern zählt das Unternehmen. Roland Berger fungiert heute als Vorsitzender des Aufsichtsrats.

POLITIK

Gerhard Schröder wollte ihn einst als Wirtschaftsminister holen, doch Berger lehnte ab. Politiker zu werden passe nicht in seine Lebensplanung, sagte er einmal. Auch sehe er für Quereinsteiger keine Chancen in der Politik. Als Berater verdingte er sich aber schon in dieser Arena – über Parteigrenzen hinweg: So beriet er SPD- Mann Schröder ebenso wie den CSU-Politiker Edmund Stoiber. mod

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