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Rürup

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Rürup-Vorschlag: Staat soll Minirenten aufstocken

Der Wirtschaftsweise Bert Rürup favorisiert eine Grundsicherung von 660 Euro im Monat, bei der andere Einkünfte nicht mit einberechnet würden - das soll Altersarmut verhindern.

Berlin - Für Geringverdiener und Arbeitslose, die lange Jahre in die Solidarkasse eingezahlt haben, soll es in Zukunft eine steuerfinanzierte Mindestrente geben. Das forderte Bert Rürup, der Vorsitzende des Wirtschaftssachverständigenrats, im Gespräch mit dem „Handelsblatt“. Damit will er die Ausbreitung von Altersarmut verhindern. Dies wäre allerdings ein Kurswechsel in der Rentenpolitik – bislang waren die Ansprüche, die sich ein Arbeitnehmer im Laufe seines Lebens erworben hatte, für die Altersbezüge entscheidend.

Wer 35 Jahre mit vollen Beitragssätzen nachweise, dem müsse „eine Rente geringfügig über dem Niveau der Grundsicherung“ von etwa 660 Euro im Monat garantiert werden, befand Rürup. Niedrigere Rentenansprüche müssten aus Steuermitteln aufgestockt werden – auch dann, wenn ein Ruheständler über andere Einkünfte verfüge, etwa aus einem Riester-Sparvertrag.

Rürup begründete seinen Vorstoß mit den „Problemen“, die das derzeitige System der Grundsicherung im Alter aufwerfe. Diese war 2003 von der rot-grünen Bundesregierung eingeführt worden und garantiert alten Menschen Leistungen auf Niveau der Sozialhilfe.

Weil diese Grundsicherung derzeit aber mit anderen Einkünften verrechnet werde, gebe es für Geringverdiener keinerlei Anreize zur Eigenvorsorge, bemängelt Rürup. „Wenn jemand damit rechnet, im Alter auf die Grundsicherung angewiesen zu sein, ist es individuell durchaus rational, nicht privat vorzusorgen.“ Dies wäre bei einem Modell der Sockelrente anders, weil hier auf die Bedürftigkeitsprüfung verzichtet werde. Die Betroffenen könnten Leistungen etwa aus Riester-Verträgen daher zusätzlich beziehen. Außerdem werde durch das höhere Niveau der Sockelrente die „Akzeptanz der gesetzlichen Rentenversicherung insbesondere für Geringverdiener gestärkt“.

Mit seinem Vorstoß bringt Rürup, der die Rentenreformen des vergangenen Jahrzehnts geprägt hat, Bewegung in den Grundsatzstreit zwischen Befürwortern der beitragsfinanzierten Rente und den Anhängern eines Totalumstiegs auf eine steuerfinanzierte Grundrente. Für die Bezieher höherer Renten bliebe es beim bisherigen System. Anders als derzeit würde der Staat jedoch unabhängig von der Bedürftigkeit eine gesetzliche Mindestversorgung garantieren.

Diese Sockelrente orientiert sich am Beispiel Schwedens, wo 2003 eine Garantierente eingeführt wurde. Ähnliche Vorschläge hat der Arbeitnehmerflügel der CDU gemacht. Auch die Herzog-Kommission hatte eine Basisrente 15 Prozent über der Sozialhilfe diskutiert.

Hintergrund dieser Überlegungen ist die tendenziell wachsende Zahl von Menschen, die durch eigene Beiträge nur Ansprüche auf Minirenten erwerben. Derzeit besitzen nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit noch deutlich mehr als die Hälfte der männlichen Langzeitarbeitslosen im Alter von 50 Jahren Rentenansprüche über dem Sozialhilfeniveau. Jüngere Jahrgänge wiesen aber wegen der unterbrochenen Erwerbsbiografien „größere Lücken in der Altersvorsorge“ auf. In Zukunft verschärfe sich das Problem vor allem für Frauen und Ostdeutsche, so das IAB.

Laut Rürup benötigt ein Durchschnittsverdiener heute 25 Jahre, um einen monatlichen Rentenanspruch von 660 Euro zu erwerben. Dies entspricht etwa dem Sozialhilferegelsatz für Alleinstehende plus Wohn- und Heizkosten. Bis 2030 steige die erforderliche Zahldauer durch die Rentenreformen auf 30 Jahre. Daraus, sagt Rürup, wachse für Geringverdiener und Teilzeitbeschäftigte der „Anreiz, sich der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung zu entziehen“. Schon jetzt gebe es 2,3 Millionen Soloselbstständige ohne Angestellte. Auch ohne Beitragszahlung haben die Betroffenen im Alter Anspruch auf die 2003 eingeführte Grundsicherung.

Derzeit leben rund 682 000 Männer und Frauen von dieser Leistung auf Sozialhilfeniveau. Eigenes Einkommen und auch etwaige Bezüge aus einem Riester-Vertrag werden bei der Grundsicherung voll angerechnet. Diese Konstruktion schrecke viele Geringverdiener ab, rechtzeitig zu sparen, monierte Rürup. Dadurch aber steige die Gefahr der Altersarmut vor allem nach längeren Zeiten der Arbeitslosigkeit. Seit 2007 erhalten Hartz-IV-Empfänger für ein Jahr Bezug von Arbeitslosengeld II nämlich nur noch einen monatlichen Rentenanspruch von 2,19 Euro. „Das ist sehr gering“, hatte kürzlich Herbert Rische, der Präsident der Deutschen Rentenversicherung moniert und die Koalition zum Handeln aufgefordert.

Wie viel die Umsetzung seiner Idee kosten würde, ließe sich noch nicht genau beziffern, sagte Rürup. „Billiger für den öffentlichen Haushalt dürfte dieses Konzept wahrscheinlich nicht werden“, räumte er ein. HB

Karl Doemens

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