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Wirtschaft: Russische Autoträume

Zwei Drittel aller Neuwagen stammen schon aus dem Ausland – die Deutschen haben Nachholbedarf

Berlin - Auf den Straßen Moskaus geht nichts mehr. Morgens, mittags, abends – die großen Boulevards der russischen Hauptstadt sind rund um die Uhr mit Autos verstopft. Im Berufsverkehr kann es vorkommen, dass man ein oder zwei Stunden im Schritttempo durch die Innenstadt schleicht. Wer Glück und Geld hat, leistet sich eine Eskorte. Doch auch das Blaulicht garantiert keine freie Fahrt mehr für die abgedunkelten Wagen von Mercedes, Audi, Bentley oder Rolls- Royce. Zu viele reiche Russen sind inzwischen auf diese Idee gekommen.

Aber das Verkehrschaos in Moskau täuscht. Gemessen an der landesweiten Fahrzeugdichte ist Russland ein automobiles Entwicklungsland. Auf 1000 Russen kommen etwa 190 Fahrzeuge. In Deutschland sind es rund 600. Dieses magere Verhältnis elektrisiert die Hersteller in den gesättigten Automärkten der Welt. Während der Autoverkauf in ihrer Heimat immer schwieriger wird, setzen sie – neben China und Indien – auf Russland ihre größten Wachstumshoffnungen. Und hier investieren sie.

Zuletzt gab der französische Autobauer PSA Peugeot Citroën am Donnerstag bekannt, in Kaluga, 170 Kilometer südwestlich von Moskau, Autos bauen zu wollen. Am gleichen Standort hatte VW Ende November sein neues Montagewerk eröffnet. 500 Millionen Euro investierten die Wolfsburger in der Provinzstadt. Drei Tage vor Heiligabend eröffnete Toyota bei St. Petersburg im Beisein von Präsident Wladimir Putin sein erstes eigenes russisches Werk. Auch die japanischen Konkurrenten Nissan, Suzuki und Mitsubishi haben Pläne. Ford und General Motors produzieren schon seit Jahren in Russland. Hyundai kündigte Mitte Dezember den Bau einer weiteren Fabrik in St. Petersburg an. Russlands größter Autokonzern Avtovas hat seit Anfang des Monats einen neuen Großaktionär: Renault kaufte für geschätzte 930 Millionen Euro 25 Prozent des Lada-Produzenten.

Berater, die schon länger in Russland arbeiten, erwarten, dass die gezielte Förderung der Branche sowie jüngste Zoll- und Steuererleichterungen für ausländische Konzerne, die Autoindustrie in Russland richtig in Schwung bringen werden. Gut zwei Millionen Neuwagen werden im laufenden Jahr in dem 140-Millionen-Einwohner-Land verkauft. In vier Jahren sollen es schon mehr als drei Millionen sein. Zum Vergleich: Hierzulande sinkt die Zahl der Neuzulassungen 2007 um neun Prozent auf 3,16 Millionen Pkw. Rechne man die benachbarten GUS-Staaten Ukraine, Kasachstan, Usbekistan und den Kaukasus hinzu, entstehe „unmittelbar an der EU-Ostgrenze einer der größten Automärkte der Zukunft“, sagt Uwe Kumm, Moskauer Repräsentant der Unternehmensberatung Roland Berger. 2020 werde Russland mit 5,7 Millionen Neuzulassungen den deutschen Markt weit hinter sich gelassen haben.

Das Wachstum im Osten hat allerdings seinen Preis – zumal für die Deutschen, die in Russland unterrepräsentiert sind. Zwar sieht man in Moskau an jeder Ecke eine deutsche Oberklassenlimousine. Doch auch hier täuscht der erste Eindruck. Neben VW fertigt nur BMW bei Kaliningrad den 5er. Auf der Liste der am häufigsten verkauften Ausländer nehmen die Deutschen gemessen am Weltmarktanteil hintere Plätze ein. VW liegt auf Rang 14, Mercedes auf 19, Audi auf Platz 20 und BMW auf 22. Das meistverkaufte Modell in den ersten zehn Monaten 2007 war der Ford Focus, gefolgt vom Renault Logan und Chevrolet Lanos. Mehr als zwei Drittel aller in Russland verkauften Neuwagen stammen aus dem Ausland.

VW kommt mit seiner Fertigung in Kaluga noch rechtzeitig. „Der Konzern wird mit allen seinen Marken 2007 gut 78 000 Autos verkaufen“, sagt Dietmar Korzewka, Russlandbeauftragter bei VW. Da ist noch viel Luft nach oben. Ford setzte allein zwischen Januar und Oktober knapp 77 500 Focus ab. „Die Russen schätzen deutsche Autos wegen ihrer Zuverlässigkeit“, glaubt Korzewka. Dass VW verglichen mit GM oder Toyota im Bewusstsein russischer Autofahrer noch nicht angemessen vertreten sei, liege an mangelnder Werbung. „Wir waren auch preislich nicht wettbewerbsfähig“, wird VW-Vertriebschef Detlef Wittig deutlicher. Auch deshalb habe man eine Fabrik gebaut, um zu russischen Kosten produzieren zu können. Mit ehrgeizigen Zielen: Schon bald sollen in Kaluga 150 000 VW Passat und Skoda Octavia vom Band rollen.

Das freilich setzt auch voraus, dass russische Hersteller wie in der jüngsten Vergangenheit weiter an Bedeutung verlieren und die Russen zu VW und Co. wechseln. Der Marktanteil von Avtovas ist von 52 Prozent im Jahr 2005 auf 26 Prozent in diesem Jahr gesunken. Renault und der staatliche Mehrheitseigentümer, Russian Technologies, peilen 40 Prozent an. Dabei helfen soll ein Einsteigerauto für weniger als 10 000 Euro. Für die meisten Russen wird auch dieses Low-Budget-Fahrzeug ein unerfüllbarer Traum bleiben: Das verfügbare Monatseinkommen eines Durchschnittshaushalts liegt bei umgerechnet 300 Euro.

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