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Schlange stehen. Weil die Russen um den Wert des Rubels fürchten, plündern viele ihre Konten, um einkaufen zu gehen.

© dpa

Russland und die Rubel-Krise: Schwarze Tage in Moskau

Sachwerte statt Rubel: Russen, die es sich leisten können, kaufen Möbel, Kleidung, Elektronik – und die Regierung verkauft Devisen.

Von Oliver Bilger

In der Wohnung von Polina Maximowa, einer jungen Moskauerin, stehen seit wenigen Tagen ein neues Bett, ein Kleiderschrank, ein gläserner Küchentisch und dunkle Barhocker. Die Wohnung ist im 14. Stock eines gewaltigen Plattenbaus am Rande von Moskau. Schlafstädte nennen Russen diese Trabantensiedlungen. Jeden Morgen geht es mit der Metro zur Arbeit ins Zentrum, jeden Abend in überfüllten Waggons wieder zurück. Hier lebt die Mittelschicht, die in den vergangenen Jahren einen langsam wachsenden Wohlstand genoss und für die Putins Politik gleichbedeutend war mit Stabilität – und die jetzt die Krise zu spüren bekommt.

Ihre Wohnung hat Polina Maximowa schon vor einem Jahr gekauft: 40 Quadratmeter, ein Zimmer, Küche, Bad, ihr eigenes kleines Glück. Sie ist froh über diese Investition. Seit Jahresbeginn hat der Rubel knapp 60 Prozent an Wert eingebüßt. Immobilien gelten bei den meisten Russen als sicherste Geldanlage, das haben frühere Krisen bereits bewiesen. Ein Baukonzern wirbt seit Wochen in Moskau mit auffälligen Plakaten, die an alte Sowjetpropaganda erinnern: „Rubel, nach Hause“, steht darauf geschrieben. Die fast 1000 Euro für die neuen Ikea-Möbel nach der Renovierung der Wohnung waren eine geschickte Investition der 27-Jährigen, auch wenn fast ihr ganzes Erspartes dabei draufgegangen ist.

Die Regierung verkauft Devisen und stützt den Rubel

Seit Tagen blicken viele Russen ungläubig auf die Digitalanzeigen mit den orange leuchtenden Wechselkursen, die überall in der Stadt hängen. Als am Dienstag der Rubel kurz an der 100er-Marke kratzte, reichten die Zifferstellen nicht mehr aus, um die Schwankung darzustellen. Seit den 90er Jahren hat der Rubel nicht mehr so schnell so stark nachgegeben. Am Mittwoch stieg der Kurs wieder leicht, nachdem sich das Finanzministerium von Devisen trennte. Man halte den Rubel für „extrem unterbewertet“ und beginne deshalb, seine Reserven an ausländischer Währung auf den Markt zu bringen, sagte ein Sprecher. Für einen Euro mussten gut 81 Rubel bezahlt werden.

Russland erlebt historische Tage, schwarze Tage. „Zurück ins Jahr 1998“, überschrieb die Internetzeitung „Gazeta.ru“ eine Bildergalerie aus dem Jahr des großen Wirtschaftskollaps, die lange Schlangen vor Wechselstuben und Geldautomaten zeigte. Weil der Rubel dramatisch an Wert verliert, versuchen ihn einige Russen schnell loszuwerden. Möbelhäuser, Bekleidungsgeschäfte und besonders Elektronikmärkte profitieren von einem kurzfristigen Kaufrausch, wobei auch die nahende Silvesternacht, in der Russen, ähnlich wie an Weihnachten, Geschenke verteilen, dabei eine Rolle spielen dürfte. Allein in der Nacht auf Mittwoch bildeten sich in einigen Geschäften lange Schlangen. Überraschend erholten sich schon im November auch die Verkaufszahlen der seit Monaten krisengebeutelten Autoindustrie. Ein Aufbäumen, bevor die Kaufkraft weiter sinkt.

Apple schließt den Online-Shop und überarbeitet die Preise

Apple stoppte wegen des drastischen Wertverlustes des Rubels den Online-Verkauf seiner iPhones und iPads. „Wir überarbeiten die Preise“, sagte ein Sprecher.

Auch Polina Maximowa überlegt, ihre Rücklagen in Rubel jetzt schnell noch auszugeben. In der letzten Woche wollte sie ihr Erspartes eigentlich noch in Dollar oder Euro umtauschen. „Ich bin fassungslos“, sagt sie, „das Geld, das ich besitze, ist kaum mehr wert als das Papier, auf dem es gedruckt wurde.“ Die Moskauerin kann nicht verstehen, dass viele Russen noch immer der Regierung glauben, die der Bevölkerung einredet, alle Probleme werden bald vorübergehen.

Die Mehrheit steht nach wie vor hinter ihrem Präsidenten. Aber jeder zweite Russe gab in einer Umfrage an, die Auswirkungen des Rubelverfalls im Alltag zu spüren. „Externe Faktoren“ seien schuld an der Rubel-Entwicklung, erklärte Zentralbank-Chefin Elwira Nabiullina. Derweil rutscht Russland in eine Rezession. Die Preise werden steigen, Armut und Arbeitslosigkeit ebenfalls. Gleichzeitig legt die Inflation zu, zum Jahresende soll sie bis zu zwölf Prozent betragen. Premierminister Dmitrij Medwedew fordert Geduld, die Menschen sollten keine Hysterie aufkommen lassen. „Dabei“, fürchtet Polina Maximowa, „stehen wir erst am Anfang der Schwierigkeiten.“

Verschärfen könnte sich die Situation vor dem Wochenende: Der EU-Gipfel wird sich an diesem Donnerstag und Freitag mit der Frage der EU-Sanktionen gegen Russland befassen. Die EU-Staaten verständigten sich nach Angaben aus Diplomatenkreisen darauf, Sanktionen gegen die von Russland annektierte Halbinsel Krim zu verschärfen.

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