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Wirtschaft: Rußlands mühsame Geschäfte mit Atomkraftwerken

Zwölf Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl versucht Moskau wieder auf dem Kernenergie-Weltmarkt Fuß zu fassenVON VON MATTHEW BRZEZINSKI UND CHARLES FLEMINGAls ein Atomkraftwerk in der Nähe von Petersburg im letzten Monat ein Leck hatte, informierten die russischen Behörden das benachbarte Finnland davon, daß eine kleine Dosis Radioaktivität nach außen gelangt sei.Die Bewohner von St.

Zwölf Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl versucht Moskau wieder auf dem Kernenergie-Weltmarkt Fuß zu fassenVON VON MATTHEW BRZEZINSKI UND CHARLES FLEMINGAls ein Atomkraftwerk in der Nähe von Petersburg im letzten Monat ein Leck hatte, informierten die russischen Behörden das benachbarte Finnland davon, daß eine kleine Dosis Radioaktivität nach außen gelangt sei.Die Bewohner von St.Petersburg wurden über die möglichen Gefahren nicht informiert - gerade so wie vor Jahren in der Sowjetunion, als der Kreml während der Katastrophe von Tschernobyl schwieg.Während die Techniker fieberhaft daran arbeiteten, das Leck zu flicken, wurden iranische Ingenieure in Moskau über die Sicherheitsaspekte eines Reaktors unterrichtet, den die Regierung in Teheran kürzlich von Moskau gekauft hatte.Zur gleichen Zeit war eine hochrangige russische Delegation in Kuba, um Gespräche über die Fertigstellung des ersten von Russen entworfenen Atomkraftwerks in Amerika zu führen.Mehr als ein Jahrzehnt nach dem schlimmsten Atom-Desaster der Welt versucht Rußlands Nuklearindustrie, den Geist von Tschernobyl loszuwerden und sich als Verkäufer von Atomtechnik international zu rehabilitieren.In dem verzweifelten Versuch, Geschäfte an Land zu ziehen, lockt Rußland ausländische Käufer mit niedrigen Preisen und der Strategie "Fragen werden nicht gestellt".Im vergangenen Jahr haben die russischen Hersteller von Atomkraftwerken, die alle staatlich sind, Aufträge in Höhe von drei Mrd.Dollar von China und dem Iran erhalten.Die Verhandlungen mit Kuba, Indien, der Slowakei, Syrien und Vietnam laufen noch, sie werden auf weitere vier Mrd.Dollar geschätzt.Es überrascht nicht, daß Moskaus Aktivität Besorgnis über die Sicherheit bei westlichen Regierungen und Umweltschutzorga-nisationen hervorruft.Wettbewerber fürchten, daß die unerfreuliche Geschichte der russischen Atomkraftwerke der ganzen Industrie schaden könnten.Ein Teil des Problems rührt laut Beobachtern daher, daß die russischen Unternehmen nicht mit den besser etablierten westlichen Anbietern mithalten können und deshalb unter ihren Kunden auch eine Reihe von internationalen Unruhestiftern haben.Experten fürchten, daß dadurch sensibles Material und Know-how in die falschen Hände geraten könnte.Sogar bei weniger besorgniserregenden Käufern gibt es Befürchtungen, daß man das Schlimme heraufbeschwört, indem bruchstückhafte Technologie in Entwicklungsländer mit laxen Sicherheitsbestimmungen transferriert wird."Wir freuen uns über das Auftreten von russischen Unternehmen an internationalen Märkten", sagte der US-amerikanische Energieminister Frederico Pena in einem Interview."Aber nur solange sie die Sicherheitsbestimmungen einhalten."Sprecher der russischen Atomindustrie sind sich der Befürchtungen bewußt.Sie glauben allerdings, daß diese von den westlichen Wettbewerbern übertrieben werden, um potentielle Kunden abzuschrecken.Seit der Tschernobyl-Katastrophe im April 1986, haben russischen Entwickler nach eigenen Angaben Überstunden gemacht, um die neuen Modelle den westlichen Sicherheitsstandards anzupassen.Wissenschaftler am Kurchatov Institut machen nun System-Sicherheitstests für die OECD.Mit Forschungsgeldern in Höhe von 30 Millionen Dollar experimentieren die Wissenschaftler mit kontrollierter Kernschmelze an den beiden Reaktoren des Instituts.Doch trotz der gefährlichen Experimente scheint keiner in dem Gebäude strahlendmessende Anstecker zu tragen, die sonst überall zum Sicherheitsstandard gehören.Forscher in zerknitterten Polyester-Anzügen und abgewetzten Turnschuhen schlurfen durch schwach beleuchtete Hallen, in denen der Nobelpreisträger Andrej Sacharow einst forschte.Von den Wänden löst sich Farbe.Es gibt keine Detektoren für Arbeiter, die das Gelände verlassen.Die Arbeiter, von denen einige ohne Schutzanzüge arbeiten, erfahren nicht, ob sie hohen Dosen von Strontium, Cäsium oder eines anderen radioaktiven oder sonstwie toxischen Materials ausgesetzt waren.Die einzige Sicherheitseinrichtung scheint eine Reihe von Sensoren zu sein, die am Eingang angebracht ist und von jungen Soldaten in Kampfanzügen bewacht werden.Die Sensoren sollen anzeigen, wenn einer der 7000 Mitarbeiter sein Monatseinkommen von etwa 100 Dollar dadurch aufstocken will, daß er ein bißchen Plutonium für den Weiterverkauf in die Taschen steckt."Die Hardware macht die russischen Kraftwerke nicht gefährlicher als die westlichen Modelle", sagt Gianni Frescura, Kopf der Abteilung für nuklare Sicherheit bei der OECD Nuclear Energy Agency (NEA)."Wir machen uns größere Sorgen um den Faktor Mensch."In der Tat sieht das russische Design auf dem Papier gut aus, aber es gibt Befürchtungen, daß die russischen Bauarbeiter manchmal improvisieren.Kürzlich sorgte eine Drohung des russischen Staatskommittees für Umweltschutz für Aufregung.Das Kommitee hatte angekündigt, den Bau einer 250 Millionen Dollar teuren Plutonium- und Uran-Speicheranlage in der Nähe von Chelyabinsk zu stoppen, weil einige Sicherheitsvorschriften ignoriert worden waren.Chelyabinsk ist der Ort, an dem in den frühen 50er Jahren ein Atomreaktor expoldierte.Erst mehr als 30 Jahre später haben die Sowjets dafür Verantwortung übernommen, als Michael Gorbatschow es erlaubte, Tiere mit zusätzlichen Beinen und Babys mit übergroßen Köpfen zu filmen. Manager bei Siemens und Framatome betrachten die Russen nicht als ernstzunehmenden Wettbewerber auf dem Weltmarkt."Ich sehe nicht, daß wir im Wettbewerb mit den Russen stehen", sagt etwa Kurt Fischer, Siemens-Manager für den Verkauf von Nuklear-Technik in Osteuropa.Serge Charbonneau, Vizepräsident der internationalen Operationen bei Framatome, stimmt mit Fischer überein, daß Rußland zur Zeit mehr ein Partner als ein Rivale ist.Vor allem bei dem Versuch, die Atomreaktoren in Osteuropa zu modernisieren."Es stimmt, daß wir dabei sind, unsere späteren Wettbewerber zu trainieren und es gibt - zu einem bestimmten Grad - Technologie-Transfer", sagt Charbonneau."Aber wir ziehen das dem Risiko eines Atomunfalls vor, der die ganze Branche schädigen würde."Westliche Manager erklären, daß Rußland dabei ist, seine Kraftwerke an alle Kunden zu verkaufen, mit denen der Westen sich weigert, ins Geschäft zu kommen - mit Ausnahme von China.Die Weigerung des Westens beruht auf der Angst vor der Weiterverbreitung von Atomwaffen, vor allem in bezug auf Kuba, Syrien, Indien und speziell dem Iran.Moskaus Bereitschaft, seine Technologie überall anzubieten, grenzt in der Tat an ein politisches Aufplustern.Die Vereinigten Staaten und Israel stellen sich ganz entschieden dem Geschäft im Umfang von einer Milliarde entgegen, das Rußland jüngst abgeschlossen hat.Die Russen werden eine 1000-Megawatt-Kraftwerk im Iran bauen.Die USA und Israel fürchten, daß Teheran das Projekt mißbrauchen könnte, um atomare Waffen zu bauen.Russische Ingenieure halten dagegen, daß es unmöglich sei, daß der Iran das Kraftwerk benutzt, um waffenfähiges Plutonium oder Uran zu gewinnen.Sie räumen allerdings ein, daß der Technologie-Transfer am Ende doch noch iranischen Militärprogrammen zugute kommen könnte."Nur weil die USA ein Land nicht mag, heißt das nicht, daß wir dort keine Geschäfte machen werden", sagt Ponomarev-Stepnoi."Wir können uns den Luxus, unsere Klienten auszusuchen, nicht leisten."Übersetzt, gekürzt und redigiert von Sigrun Schubert (Sachsen-Anhalt, Rußland), Friederike Storz (Macau) und Joachim Hofer (ABC).

MATTHEW BRZEZINSKI, CHARLES FLEMING

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