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Kagermann SAP

© Thilo Rückeis

SAP-Chef Henning Kagermann: "Wir müssen die Gefahren ernster nehmen"

Henning Kagermann, der Chef des Software-Unternehmens SAP, spricht mit dem Tagesspiegel über Online-Razzien, die neue Mittelstands-Software und neun Millionen Euro Jahresgehalt. Er findet, dass Terror-Pläne im Internet unterschätzt werden.

Herr Kagermann, das amerikanische Börsenmagazin „Barron’s“ hat Sie zu einem der 30 weltbesten Konzernchefs gekürt. Was halten Sie für Ihre größte Stärke?

Ich glaube, ich bin nicht festgelegt. Ich bin ein neugieriger Mensch und gestalte gerne. Ich hatte ja schon einige Positionen bei SAP inne und finde es gut, mich immer wieder auf etwas Neues einzulassen.

Und Ihre größte Schwäche?

Marketing, so hat man mir gesagt. Das stimmt wohl.

Keine Schwäche für Geld?

Geld?

Sie sind mit Gesamtbezügen von neun Millionen Euro 2006 einer der am besten bezahlten Manager Deutschlands.

Man muss schon unterscheiden zwischen dem, was ich ausgezahlt bekomme und dem, was ich im Rahmen unseres Optionsprogramms bekommen könnte, wenn sich der Wert der SAP-Aktie bis 2010 verdoppelt.

Im vergangenen Jahr war SAP der schlechteste aller 30 Dax-Werte. Halten Sie es trotzdem für angemessen, dass Sie 2006 mehr verdient haben?

Zur Erinnerung. Im Jahr davor, als die Aktie um 70 Prozent gestiegen ist, haben wir die Gehälter nur unwesentlich erhöht. Letztes Jahr kam nominal der Sonderbonus von 4,6 Millionen Euro hinzu, der aber nur ausgeschüttet wird, wenn wir die Verdopplung bis 2010 schaffen. Real habe ich 2006 weniger verdient. Grundsätzlich sollten Managergehälter abhängig von der langfristigen Unternehmensleistung sein. Das ist auch Prinzip bei SAP.

Zurück zum Marketing. SAP hat vergangene Woche in New York seine stark beworbene „On Demand“-Software für den Mittelstand vorgestellt. Die Börse hat darauf kaum reagiert. Sind Sie enttäuscht?

Nein, wir haben in New York sehr gute Reaktionen von vielen Analysten bekommen. SAP „Business By Design“ ist eine komplett neue Software, die es so bisher nicht gibt. Wir sehen ein enormes Wachstumspotenzial im Mittelstand, der bisher keine integrierte Geschäftsanwendung einsetzt. 2008 müssen wir zeigen, dass unser neues Geschäftsmodell auch funktioniert. Da bin ich sehr zuversichtlich.

SAP ist mit Software für Konzerne groß geworden. Mit dem neuen Produkt empfehlen Sie sich nun mittelständischen Firmen. Läuten Sie einen Paradigmenwechsel ein?

Es wird häufig vergessen, dass SAP schon heute Weltmarktführer auch für Mittelstandssoftware ist. Wir haben schon 25 000 mittelständische Kunden. Ein Drittel unseres Auftragseingangs kommt aus diesem Segment. Wir ziehen ein völlig neues, separates Geschäftsmodell hoch, das sich von unserem etablierten Geschäft radikal unterscheidet. Mittelständische Kunden brauchen nur einen Computer mit Internetanschluss, mit dem sie auf unser Rechenzentrum zugreifen können. Es wird keine Software-CD ausgeliefert, sondern die Kunden mieten die Software, die sie brauchen, für 133 Euro pro Nutzer im Monat – ohne eine eigene IT-Abteilung haben zu müssen.

Warum riskiert SAP überhaupt diese Offensive in den Mittelstand? Bringt das Großkundengeschäft nicht mehr genug?

Keineswegs. Wir haben noch viele Chancen im Großkundenbereich und werden dort weiter hohe Wachstumsraten erreichen. Wenn man aber insgesamt zweistellig wachsen will – und das wollen wir – dann ist es gut, wenn man nicht nur Marktanteile gewinnt, sondern auch einen größeren Markt bedient. Es gibt nach unserer Schätzung weltweit 1,2 Millionen potenzieller Kunden, 50 000 in den USA, 15 000 in Deutschland. Das entspricht einem weltweiten Marktvolumen von 15 Milliarden Dollar. Ab 2010 wollen wir jedes Jahr 10 000 Neukunden gewinnen und eine Milliarde Euro Umsatz zusätzlich machen.

Wie groß ist der Erfolgsdruck?

Da wir so viele Innovationen in dieses Produkt und das Geschäftsmodell packen, muss es erfolgreich sein. Ich wäre schon sehr verwundert, wenn wir mit SAP Business By Design den Mittelstand nicht nachhaltig beeinflussen würden.

Wie stark werden die Investitionen dafür SAP belasten?

Wir haben gesagt, dass wir 2007 und 2008 – zusätzlich zu den vorangegangenen Entwicklungskosten – zwischen 300 und 400 Millionen Euro vor allem in Vertrieb und Service investieren. Ich glaube, es wird akzeptiert, dass wir ein innovatives Produkt liefern, das zunächst Kosten verursacht. Weil wir ein komplett neues Geschäftsmodell vorstellen, wird der Markt natürlich genau beobachten, ob wir unsere Ziele erreichen. Die Reaktionen unserer ersten Kunden, die jetzt gerade testen, sind sehr vielversprechend.

Seit Ihrem Amtsantritt hat sich der Anteil des Umsatzes, den SAP im Ausland erzielt, deutlich vergrößert. Wie deutsch ist SAP eigentlich noch?

SAP ist eine globale Firma mit Wurzeln in Deutschland. Das wird sehr geschätzt, weil deutsche Qualitätsarbeit und Ingenieurskunst gefragt ist. Und das überall auf der Welt. Deshalb wird von SAP erwartet, dass wir weltweit die gleiche Qualität liefern, betriebswirtschaftliche Innovationen aus allen Regionen in Software gießen und überall vor Ort präsent sind.

Ist vorstellbar, dass SAP eines Tages Walldorf verlässt, wenn Sie hier nicht mehr ausreichend Fachkräfte finden?

Das ist eine theoretische Diskussion. Wir hängen von der Qualität unserer Mitarbeiter ab. Eine Mannschaft muss über Jahrzehnte geformt werden. Das kann man nicht irgendwo kaufen. Unser erfahrenstes und größtes Team arbeitet in Deutschland. Walldorf hat eine zentrale Bedeutung für SAP, und das wird auch künftig so sein. Trotzdem wird SAP noch globaler werden. Wenn wir Weltmarktführer bleiben wollen, müssen wir Talente auf dem ganzen Globus finden.

Sie sind Mitglied im Innovations-Rat der Bundesregierung. Auf dem IT-Gipfel am 10. Dezember in Hannover will die Kanzlerin ein neues Amt vorstellen: den Chief Information Officer. Er soll die Aktivitäten des Bundes in der Informationstechnologie und elektronischen Verwaltung koordinieren. Warum brauchen wir einen CIO?

Er soll, in Zusammenarbeit mit den Bundesländern, dafür sorgen, dass es einheitliche IT-Standards in Deutschland gibt. Wir haben noch zu viele verschiedene Inseln. Jede Stadt, jede Kommune, jedes Bundesland hat eine eigene Computer-, Internet- und Kommunikationsinfrastruktur. Das ist teuer und kaum überschaubar. Sie merken das, wenn Sie von einem Bundesland in ein anderes ziehen und Anträge doppelt ausfüllen müssen.

Es soll eine neue Behörde entstehen. Ist das nicht ein Widerspruch in sich: eine neue Behörde, die Bürokratie abbauen soll?

Nicht, wenn Sie sich nach getaner Arbeit auflöst und nicht zum Selbstzweck wird. Der Bedarf ist riesig, Prozesse zu vereinfachen und – für Verwaltung und Bürger – kürzere Entscheidungswege zu schaffen. Das muss man zentral organisieren.

Ein Beispiel?

Wir haben beim ersten IT-Gipfel bei Angela Merkel das Arbeitsprojekt „Internet der Dienste“ vereinbart. Dahinter steckt die Idee, Dienstleistungen im Internet intelligenter und bürgerfreundlicher zu machen. Wenn ein Paar zum Beispiel ein Kind bekommt, rennt es für die Formalitäten von Behörde zu Behörde. Es wäre doch besser, wenn ein Internetdienst alle diese Einzelschritte in Form eines verständlichen Katalogs zusammenfasst und automatisch abarbeitet.

Auch das Thema Sicherheit wird auf der Tagesordnung des nächsten IT-Gipfels stehen. Sind Sie für Online-Durchsuchungen?

Ich persönlich, da spreche ich bewusst nicht als SAP-Chef, halte die potenziellen Bedrohungen für groß genug, dass ich meine Persönlichkeitsrechte ein wenig zurückstellen würde. Entscheidend ist die Kontrolle, um Missbrauch zu vermeiden.

Würden Sie dies auch der Gesellschaft empfehlen?

Ja, ich würde empfehlen, die Gefahren ernster zu nehmen.

Wird nicht damit auch der Wirtschaftsspionage Tür und Tor geöffnet?

Technisch ist das kein Problem, weil es leistungsfähige Verschlüsselungstechniken gibt. Politisch entschieden werden muss, welchen Ländern und Behörden diese Techniken für Online-Razzien zur Verfügung gestellt werden.

Im Streit um den Vorwurf der Industriespionage, den Ihr US-Konkurrent Oracle gegen SAP erhebt, ist morgen der erste Gerichtstermin. Setzen Sie noch auf eine außergerichtliche Einigung mit Oracle?

Unsere Position hat sich nicht verändert. Wir haben keine Industriespionage betrieben und Oracle ist kein nennenswerter Schaden entstanden.

Das heißt, die zehn Millionen Euro, die SAP für mögliche Prozessrisiken zurückgestellt haben, reichen aus?

Nach derzeitigem Stand, ja.

Kennen Sie Larry Ellison, den Oracle-Chef, persönlich?

Nein. Es gab bisher keinen Grund, ihn kennenzulernen.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.

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