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Wirtschaft: Saubere Zechweine, kräftige Spätlesen

2007 haben deutsche Winzer deutlich mehr geerntet als in den Vorjahren. Die Qualität ist top. Der Preis auch

Noch hat niemand behauptet, 2007 sei für den deutschen Weinbau mal wieder ein Jahrhundertjahrgang. Das ist ein gutes Zeichen, denn als diese Vokabel zum letzten Mal mit viel Wirbel benutzt wurde, stellte sich später heraus, dass es durchaus auch zu gutes Wetter für den Weinbau geben kann. Die in der Bullenhitze des endlosen Sommers 2003 gegrillten Trauben erbrachten fette, säurearme Weine, die ihren Charme schnell einbüßten und heute eher eine Last sind für alle, die sich in der anfänglichen Euphorie den Keller gefüllt hatten. Und die Winzer nahmen den Jahrgang eher als Menetekel für den Klimawandel und fürchteten sich vor einer Neuauflage.

Es kam dann vorerst ganz anders. 2006 überzog eine Art gemäßigter Monsunregen kurz vor der Lese die Weinberge im deutschen Südwesten; die blitzartig vordrängende Fäulnis ruinierte große Teile der Ernte, die Winzer hetzten ein paar Tage lang rund um die Uhr durch ihre Rebgärten, um zu retten, was zu retten war. Und was übrig blieb, war von höchst unterschiedlicher Qualität – ein Jahr für herausragende Winzer, die sich die Kosten rigoroser Selektion leisten oder auf die Käufer überwälzen können. Sie alle sind gegenwärtig mehr oder weniger ausverkauft, und das bei steigenden Preisen.

Deshalb der einstimmige Jubel über den 2007er. Die Menge, schätzungsweise acht Prozent über dem langjährigen Mittel, dürfte die größten Kellerlücken schließen helfen, und das Wetter fiel nach Maß aus: Dem frostfreien Frühjahr folgte ein zumindest passabler Sommer, der Regen im Frühherbst kam zu früh, um Schäden anrichten zu können, und ein schöner Oktober gab der Traubenreife den zeitlich perfekt abgepassten Schubs. Nahezu jeder deutsche Winzer hatte die Möglichkeit, seine Trauben zu lesen, wann er es für richtig hielt – ganz ohne die Panik der 2006er-Lese. Frische, saubere Zechweine, kräftige Spätlesen süß und trocken und große Gewächse in Topqualität dürfte es in ausreichender Menge geben. Und einem neuen Exportrekord vor allem beim Riesling, der internationalen Trendsorte Nummer eins, steht mithin nichts im Weg.

Im Vergleich zu den Jahren der tiefsten Krise um 1985 hat sich das Bild des deutschen Weinbaus drinnen wie draußen völlig verändert. Seit dem desaströsen Weingesetz von 1971 waren die Winzer jedem Trend hinterherhechelt, hatten klebrige süße und saure trockene Weine produziert und den Weltmarkt mit Süßgetränken wie „Liebfraumilch“ oder „Blue Nun“ beglückt, die heute noch das Bild deutschen Weins in der Welt schädigen. Doch Ende der achtziger Jahre warf eine junge Winzergeneration das Ruder herum, orientierte sich an der Weltspitze und kann nun Weine höchsten Niveaus vorzeigen, nicht mehr nur weiße, sondern zunehmend auch rote Sorten. Der Klimawandel hilft ihnen dabei: Die früher für unreife Säuerlinge gefürchteten deutschen Weinerzeuger hatten 1996 zum vorerst letzten Mal Probleme mit unausgereiften Trauben.

Deshalb werden zunehmend auch für trockene deutsche Weine hohe Preise gezahlt, wie sie über Jahrzehnte nur bei edelsüßen Spezialitäten aus berühmten Steillagen vorkamen. Die Basisweine renommierter Güter, die noch vor zehn Jahren für sieben bis acht Mark verkauft wurden, kosten pro Flasche längst um die zehn Euro; die großen Gewächse, die es damals nicht gab, werden ab Gut von 20 Euro aufwärts gehandelt, und einige rigoros selektierte Sonderabfüllungen von Riesling oder Spätburgunder sind längst in der Stratosphäre gelandet: Wer überhaupt eine Flasche findet, zahlt für den Riesling „G Max“ 2006 von Klaus-Peter Keller etwa 85 Euro. Der 2005er Rotwein mit dem schlichten Namen „Pinot Noir“ von Friedrich Becker wird eben noch unter der 100-Euro-Grenze gehandelt.

Dem deutschen Normalverbraucher ist das allerdings völlig egal, denn er gibt durchschnittlich nicht einmal 2,50 Euro pro Flasche aus; nach einer aktuellen Studie britischer Marktforscher entfallen 91 Prozent des deutschen Weinverbrauchs (ohne Sekt) auf das Preissegment unter vier Euro. Für den Fachhandel ist da nichts zu holen – die großen Discounter sind also auch die mit Abstand größten Weinhändler in Deutschland. Der Anteil deutscher Weine beim Handelseinkauf insgesamt scheint jetzt langsam die 40-Prozent-Grenze zu erreichen. Das zeigt, wie stark die Marktposition der großen Erzeugerländer wie Frankreich (17 Prozent), Italien (16 Prozent) und Spanien (sieben Prozent) immer noch ist – Deutschland ist nach wie vor das größte Weinimportland der Welt.

Vom Status des größten Weinlandes ist es indessen weit entfernt, denn der Deutsche trank zuletzt jährlich pro Kopf knapp 25 Liter Wein und Sekt, aber 115 Liter Bier und 150 Liter Kaffee.

Immerhin ist den Großdiscountern aufgefallen, dass auch ihre Kunden für gehobene Qualität in der guten Konsumstimmung zunehmend mehr Geld ausgeben. Aldi schmückt sich gegenwärtig mit gehobenen Bordeaux und Italienern im zweistelligen Preisbereich, durchaus echten Erzeugerabfüllungen guter Herkunft, und Aldi-Süd landete sogar einen richtigen PR-Coup und bewog den renommierten Kaiserstühler Winzer und Weinhändler Fritz Keller zu einer Kooperation. Und selbst ein Außenseiter wie die Drogeriekette Rossmann hat sich mit deutschen Weinen um vier Euro profiliert, die sogar dem international bekannten Autor Stuart Pigott Respekt abnötigten. Allerdings sind die wenigsten deutschen Weinbaubetriebe in der Lage, den Ketten die nötigen Mengen zu liefern.

Das heißt: Entgegen allen Beschwörungen des Fachhandels ist sauberer, sortentypischer deutscher Wein durchaus schon für vier Euro zu haben, das zeigen auch Blindverkostungen immer wieder. Was es für diesen Preis nicht gibt, das ist der individuelle, in kleinen Mengen angebaute Wein, der aus schwer zu bewirtschaftenden Steillagen stammt und die Eigenheiten dieser Lagen, das „Terroir“, zum Ausdruck bringt. Solche Weine aber gibt es immer mehr im Land – seit dem Jahrgang 2007 auch wieder in akzeptabler Menge.

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