zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Sch.... im Geschäftsverkehr ist neuerdings verboten

Wie jeden Tag sitzt David Halpert vor seinem Computer und arbeitet mit dem Programm des Wirtschaftsinformationsdienstes Bloomberg. Und wie so oft will er eine E-mail an einen Kollegen schicken.

Wie jeden Tag sitzt David Halpert vor seinem Computer und arbeitet mit dem Programm des Wirtschaftsinformationsdienstes Bloomberg. Und wie so oft will er eine E-mail an einen Kollegen schicken. Nur, daß es diesmal nicht geht. Statt einer Bestätigung, daß die Botschaft versandt ist, erscheint auf Halperts Bildschirm eine Mitteilung von Bloomberg: Die Mail enthalte einen "dem geschäftlichen Briefwechsel nicht angemessenen Ausdruck". Halpert hatte eins der in den USA verpönten Four-Letter-Words benutzt - ein F-Wort, mit dem er den seiner Meinung nach viel zu hohen Preis eines Aktienangebots beschrieb. "Ich wollte meinen Ärger über einen unverschämt überteuerten Aktiendeal ausdrücken," rechtfertigt sich der Fondsmanager. "Aber offenbar ist es nicht mehr erlaubt, mein Entsetzen auch in Worte zu fassen."Neuerdings werden von dem elektronischen Nachrichtensystem des Finanz- und Datenunternehmens Bloomberg L.P. alle rassistischen, ordinären oder in sonstiger Weise anstößigen Wörter aus E-mails herausgefiltert. Das heißt, daß mit dem Bloomberg-Programm, das von Brokern als Kommunikationsmedium für Börseninformation bis hin zur Verabredung zum Essen genutzt wird, keine Mitteilungen mehr versandt werden können, die Wörter von Bloombergs schwarzer Liste enthalten.Das trifft nicht nur Bloomberg-Mitarbeiter, sondern auch die tausenden anderer Nutzer der Bloomberg Desktop Terminals - zum Preis von etwa 1175 Euro monatlich pro Anschluß - hart. An manchen Tagen flimmern bis zu drei Millionen Nachrichten über Bloombergs 120 000 Bildschirme. Jetzt sorgen sich die Teilnehmer, wieviele es in Zukunft noch sein werden, wenn die Zensur richtig zuschlägt.Es ist ein offenes Geheimnis, daß den Händlern bei Börsengeschäften im Eifer des Gefechts das ein oder andere vulgäre Wort herausrutscht. Die neue Bloomberg-Politik aber bringt sie erst recht in Rage. "Bloomberg behandelt uns wie Fünfjährige," klagt John Bender, Anlageberater in Virginia, der den blitzschnellen elektronischen Briefwechsel nutzt, um sich beispielsweise mit seinen Kollegen in New York zu beraten. "Und was fällt denen als nächstes ein? Wird Bloomberg uns demnächst verbieten, die Aktien des Hauses Bloomberg zu kritisieren?" fragt Bender.Vater der politisch korrekten Information ist Michael Bloomberg, Gründer und Generaldirektor des Unternehmens. Er veranlaßte vor sechs Monaten die Installation der Zensur-Software. Zuerst auf die Computer der Mitarbeiter seiner Firma, dann auch auf die Terminals der Kunden des Dienstes. Der Hintergrund: Bloomberg fürchtet in den Vereinigten Staaten Belästigungsklagen.Doch nicht nur deshalb hat sich Bloomberg an die Spitze der Bewegung gesetzt: "Die Cowboyatmosphäre, die in Newsrooms und den Maklerfirmen herrscht, ist nicht angemessen," sagt Bloomberg. Bloomberg selbst kennt die Sprache der Cowboys gut: Er war jahrelang Spitzenbroker bei Salomon Brothers Inc. Jeder seiner ehemaligen Kollegen kann bezeugen, daß auch er mit der Vulgärsprache durchaus vertraut ist. Mittlerweile vertritt Bloomberg jedoch die Ansicht, daß man die Kunden vor der Fäkalsprache der Broker schützen müsse.Kein Wunder, daß verärgerte Händler die Mahnungen zu ihrer Wortwahl mit der elektronischen Variante einer Mundwäsche vergleichen. Und daß das Programm mitunter auch harmlose Worte aussteuert, verschärft die Situation. Charles Grant etwa, ein europäischer Börsenmakler bei Flemings Investments Ltd., versuchte vergeblich, einem Kollegen Informationen über die deutsche Firma FAG Kugelfischer Georg Schäfer AG zu übermitteln. "Eine Mahnung teilte mir mit, daß FAG inakzeptabel sei," erzählt Grant. (In den USA ist fag ein umgangssprachlicher Ausdruck für Homosexuelle.)Ein weiteres Opfer wurde mit der Zensur im Bloombergsystem vertraut gemacht, als er arglos einen Geburtstagsgruß an einen Freund schicken wollte. Das Programm mißbiligte die Anrede "old f-t". (Wörtlich: "alter Furz", das als Anrede unter männlichen Freunden benutzt wird, aber umgangssprachlich ist.) Die E-mail wurde prompt gesperrt, statt dessen erschien folgende Meldung: "Dieses Wort ist für den Gebrauch im geschäftlichen Kontext nicht angemessen."Längst suchen die Betroffenen Methoden, die Kontrolle zu umgehen. Einige fügen Bindestriche in zusammengesetzte Worte ein, die auf bestimmte Körperteile hinweisen. Oder sie ersetzten die Vokale bekannter Schimpfwörter durch Sternchen. Andere flüchten zum Fluchen in Fremdsprachen: Wie ein Makler aus New York, der begeistert feststellte, daß das spanische Wort für Prostituierte ohne weiteres akzeptiert wird.Bloomberg gibt zu bedenken, daß auch Anbieter im Internet Texte mit Vulgärsprache herausfiltern, auch, um minderjährige Nutzer zu schützen. Trotz negativer Resonanz will Bloomberg seine Software auf keinen Fall deinstallieren. "Ich weiß von keinm Gesetz, daß wir uns die Schimpftiraden anderer Leute gefallen lassen müssen," sagt Bloomberg. "Wir dulden kein rassistisches, antireligiöses oder ähnliches Benehmen." Übrigens: Der Zensur werden nur E-mails unterzogen, die mit Bloomberg verschickt werden. Nachrichten, die von anderen Anbietern auf den Server kommen, können von der Software nicht überprüft werden.Anlageberater Bender, der 15 Stunden am Tag die Börsen und Devisenmärkte weltweit durchforstet, besteht auf seinem Recht, auch mal Dampf ablassen zu dürfen. Aber "es ist nicht mehr möglich, mit jemandem über Bloomberg über sein "Sch-leben zu sprechen," sagt Bender. "Ich finde es beängstigend, wenn sich Menschen das Amt des Moralwächters aneignen."Bloomberg gibt zu, daß das System Schwächen hat. So werden selbst so harmlose Redewendungen wie "chink in the armor" (was für "Achillesferse" steht, aber "Chink" ist ein umgangssprachlicher Ausdruck für "Chinese") nicht immer freigegeben. Daran aber würden sich die Nutzer gewöhnen. "Wenn sie ein Wort nicht benutzen dürfen, dann sollen sie sich ein anderes ausdenken. Mein Gott, wie verblödet sind diese Leute," fragt Bloomberg. Ganz am Rande: Das Wort "verblödet" ist noch immer zulässig.

Übersetzt und gekürzt von Karen Wientgen (Coca-Cola, Greenspan), Svenja Rothley (Duty-Free) und Birte Heitmann (E-mail).

PAMELA DRUCKERMAN

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false