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Wirtschaft: Schafft Schröder den Sprung über den tiefen Graben? Die Reformgegner formieren sich, die SPD ringt um Geschlossenheit.

Vor allem die Gewerkschaften wollen den Richtungswechsel verhindern

Von Markus Feldenkirchen,

Alfons Frese und

Ursula Weidenfeld

Vor 53 Jahren ist der Berliner Politologie-Professor Fritz Vilmar Mitglied der SPD geworden. „Jetzt stehe ich auf der Kippe. Wie lange ich Schröder und Clement noch aushalte, ist ungewiss.“ Vilmar stößt sich an der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung, die „bei den Ärmsten“ spare, mit der Lockerung des Kündigungsschutzes an einem „Eckpfeiler des Sozialstaats“ säge und dem Irrglauben anhänge, dass „Entgegenkommen“ vom „großen Geld“ honoriert werde. Bei Wirtschaftsminister Wolfang Clement hat Vilmar sogar „Unterwürfigkeit gegenüber dem Kapital“ beobachtet.

Was ist nur aus der deutschen Sozialdemokratie geworden? „Stoppt Sozialraub“, plakatiert die IG Metall gegen den Kanzler. Klaus Zwickel stöhnt: Schröders Agenda 2010 „schröpft die Arbeitnehmer, die Arbeitslosen und die Kranken. Das große Geld lässt sie unangetastet.“ Verdi-Vizechefin Margret Mönig-Raane spricht von einem „einschneidenden Richtungswechsel“, gegen den sich die Dienstleistungsgewerkschaft mit einer Demo im Mai wehren will. Klar ist: Die Arbeitnehmer sehen sich als die Verlierer der Reformen. Die Hilfsbedürftigen fürchten, dass sie bei der Neuverteilung von Unterstützung und Lasten den Kürzeren ziehen. Die Arbeitgeber dagegen, die Reichen, die Leistungsfähigen, die würden zu all den Geschenken, die ihnen das Leben ohnehin schon gemacht hat, noch etwas dazu bekommen.

Der Graben zwischen Reformfreunden und -feinden im Land scheint unüberbrückbar tief. Schlimmer noch: Die üblichen Verdächtigen, die sich immer zu Wort melden, wenn es etwas zu verteilen oder zu streichen gibt, sind diesmal selbst nicht einig: Zerstritten zwischen den Polen konstruktiver Mitarbeit oder radikalem Protest, wird die IG Metall in dieser Woche eine Vorentscheidung über ihren künftigen Vorsitzenden treffen. Der baden-württembergische Bezirksvorsitzende Berthold Huber steht für die Suche nach Kompromissen, der bisherige IG-Metall-Vize Jürgen Peters für krachenden Protest. Nicht anders die Unternehmerverbände: Die erwarten zwar, dass ihnen die Reformen eher nutzen als schaden. Doch brodelt es auch hier: Die Handwerker sind verschnupft, weil Wirtschaftsminister Clement die Handwerksordnung liberalisieren will. Das findet der Bundesverband der deutschen Industrie dagegen ganz in Ordnung.

Zerstritten ist schließlich die SPD. In Einzelgesprächen muss Fraktionschef Franz Müntefering Dutzende von Abgeordneten bearbeiten, damit sie den Kanzler nicht im Stich lassen. Kaum ist der eine bekehrt, kommt der nächste aus der Deckung. „Es wird nichts so aus dem Parlament rauskommen, wie es reingekommen ist. Wir haben noch großen Nachbesserungsbedarf," sagt der SPD-Gesundheitsexperte Peter Dreßen. In der Gesundheitspolitik strebt Schröder „differenzierte Praxisgebühren und Selbstbehalte“ an. Das Krankengeld wird aus dem Leistungskatalog gestrichen. Um die Lohnnebenkosten „im Griff zu behalten“ will Schröder das Arbeitslosengeld begrenzen. „Es ist auch deswegen notwendig, um vor dem Hintergrund einer veränderten Vermittlungssituation Arbeitsanreize zu geben“, sagt er. Unter die Rubrik Anreiz fällt auch die Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien . „Wer zumutbare Arbeit ablehnt, der wird mit Sanktionen rechnen müssen“, sagt Schröder.

Arbeitslosen- und Sozialhilfe werden zusammengelegt, „in der Regel“ (Schröder) auf dem Niveau der Sozialhilfe. Übergangszeiten und Zuschüsse für die ersten Jahre sollen den Schnitt erträglicher machen. Auf Grund der „gewaltigen Veränderungen an der ökonomischen Basis unserer Gesellschaft“ will der Kanzler den Kündigungsschutz für Kleinbetriebe lockern. Die Firmen sollen künftig beliebig viele Leiharbeitnehmer und befristet Beschäftigte einstellen dürfen, ohne dass diese auf die Beschäftigtenzahl des Betriebes angerechnet werden. Bislang tritt der Kündigungsschutz in Kraft, sobald ein Betrieb mehr als fünf Arbeitnehmer hat.

In zwei Punkten droht Schröder den Tarifparteien. Wenn Tarifverträge nicht offener werden und mehr „Spielräume bieten“ für „betriebliche Bündnisse ... wird der Gesetzgeber zu handeln haben“. Den Arbeitgebern hält Schröder das Folterinstrument einer Ausbildungsabgabe für die Betriebe entgegen, die nicht ausbilden. Wenn die Unternehmen nicht dafür sorgen, dass jeder eine Lehrstelle bekommt, „dann werden wir zu einer gesetzlichen Regelung kommen müssen“.

Markus Feldenkirchen[Alfons Frese], Ursula Weiden

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