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Wirtschaft: Scharfe Kritik an der neuen Arbeitslosenhilfe

Experten warnen vor Überlastung der Bundesanstalt für Arbeit, Minister streiten um Rentenversicherungsbeiträge

Berlin (ce/mfk/uwe). Die Pläne der Bundesregierung zur Zusammenlegung von Arbeitslosen und Sozialhilfe stoßen bei Arbeitsmarktexperten in zentralen Punkten auf harte Kritik: Der Vorsitzende des Verwaltungsrates der Bundesanstalt, Arbeitgebervertreter Christoph Kannengießer, hält die Entscheidung, alle erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger künftig der Nürnberger Bundesanstalt zu überantworten, für „kontraproduktiv“. Er sagte dem Tagesspiegel: „Die Bundesanstalt sollte eine schlanke, auf die Vermittlung und Qualifizierung konzentrierte Einrichtung werden. Stattdessen wird sie nun stärker als zuvor eine Sozialverwaltung.“ Auch BA-Verwaltungsratsmitglied und Gewerkschaftsfunktionärin Ursula Engelen-Kefer hält von der Idee nichts. „Das überfordert die Arbeitsämter“, meint sie.

Erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger sollen bei der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe künftig von der BA betreut werden, ihre Unterstützung übernimmt der Bund. Damit sollen die Städte und Gemeinden finanziell entlastet werden. Doch für die Arbeitsämter heißt das, dass sie 1,3 Millionen Personen zusätzlich betreuen müssen. Inklusive der Familienangehörigen wären das 2,5 Millionen Menschen.

Schwieriger Umbauprozess

Wie die neuen Job-Center, die aus Arbeits- und Sozialämtern entstehen, eine Betreuung der Langzeitarbeitslosen gewährleisten sollen, bleibt offen. Heute ist ein Arbeitsamts- Vermittler für bis zu 600 Personen zuständig. Die Grünen-Fraktionsvize Thea Dückert fordert deshalb gegenüber dem Tagesspiegel, „dass mehr Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung für die Vermittlung umgeschult werden sollten“. Darum kümmern sich derzeit nur rund 10 000 der insgesamt 90 000 Behörden-Mitarbeiter. Nur: Wie das gehen soll, wenn die Arbeitsämter gleichzeitig die Arbeitslosengeldansprüche berechnen sollen, weiß niemand: „Der Verwaltungsanteil nimmt erst einmal deutlich zu“, sagt Kannengießer, „diese Entscheidung behindert den ohnehin schon sehr schwierigen Umbauprozess der Bundesanstalt zusätzlich“.

Mit Übergangsfristen will die Bundesregierung verhindern, dass das Problem mit aller Härte in die Arbeitsbehörde drückt: Die „Arbeitsmarktfernen“ sollen zunächst nicht von der BA betreut werden – das sind Personen, die in den vergangenen 48 Monaten weniger als sechs Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Ausnahme: Frauen, die Kinder erziehen (etwa 140 000) und junge Menschen bis 25 Jahre (etwa 260 000). „Die wollen wir nicht den Sozialämtern überlassen“, berichtet Engelen-Kefer aus der Regierungskommission. Mit dem neuen Arbeitslosengeld II wird die Arbeitslosenhilfe komplett abgeschafft. Anspruch auf die neue Leistung, die das Niveau der Sozialhilfe haben wird, sollen auch arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger haben.

Um den Übergang vom beitragsfinanzierten Arbeitslosengeld I ins Arbeitslosengeld II abzumildern, soll es zwei Jahre lang Zuschläge geben (siehe Grafik). Insgesamt werden mit der Zusammenlegung 2,6 Milliarden Euro eingespart (ohne die Zuschläge wären es 3,5 Milliarden Euro).

Noch strittig ist, ob für die Bezieher des Arbeitslosengeldes II Rentenbeiträge bezahlt werden. Finanzminister Hans Eichel (SPD) sträubt sich dagegen, Sozialministerin Ulla Schmidt und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (beide SPD) haben sich dafür ausgesprochen. Sollten keine Rentenbeiträge gezahlt werden, fehlen den Rentenkassen nach Berechnungen des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) zwei Milliarden Euro. Weiterer Druck auf die Beitragssätze wäre programmiert: Die Rentenbeiträge müssten um 0,2 Prozentpunkte steigen. VDR-Sprecher Dirk von der Heide warnte, dass „die Tendenz zur Altersarmut“ steige, wenn Langzeitarbeitslose nicht rentenversichert seien. Bisher zahlt der Bund für Arbeitslosenhilfeempfänger Beiträge.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement appellierte am Freitag an seine Parteifreunde, bei der Umsetzung der Reformagenda „keinerlei Zeit zu verlieren“. „Wir müssen sofort handeln“, forderte Clement auf der Frühjahrstagung des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD. Vor allem auf dem Arbeitsmarkt müsse eine „tief greifende Wende“ vollzogen werden. Clement bekräftigte auch sein Ziel, innerhalb eines Jahrzehnts Vollbeschäftigung in Deutschland zu erreichen. Allerdings, schränkte Clement ein, werde man es auch dann noch mit einer Sockelarbeitslosigkeit von drei bis vier Prozent zu tun haben. „Selbst mir macht es keinen Spaß, den Leuten Geld wegzunehmen und Leistungen zu streichen“, sagte Clement mit Blick auf die bevorstehenden Sozialkürzungen. „Ich habe aber Lust umzubauen und die Wende in Deutschland einzuleiten.“

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