zum Hauptinhalt

Schauspieler werden: Vor die Kamera

Die Stars werden bei der Berlinale ab Donnerstag über den roten Teppich schreiten. Aber nur wenige Darsteller schaffen es bis dahin: Wie man schon in der Ausbildung die Weichen für den Traumberuf stellt.

Kurz vor dem Gespräch war Sinja Dieks noch in Tränen aufgelöst. Sie hatte eine emotional schwer aufwühlende Szene vor der Kamera zu spielen, in dem Film „Unerwartet“. Ihre Figur, eine junge Ehefrau, erfährt nicht nur, dass ihr Mann sie seit einem Jahr betrügt. Sondern sich auch noch mit HIV angesteckt hat. Bei einem anderen Mann. Harter Stoff. Aber jetzt ist von dem Drama nichts mehr zu sehen.

„Für mich hat Film eine ganz eigene Faszination, weil man in der Kürze der Zeit eine neue Welt schafft“, sagt Dieks und strahlt. Die Mittzwanzigerin ist Studentin des Bachelor-Studiengangs Schauspiel an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) „Konrad Wolf“ in Potsdam. Es ist ihr letztes Semester. „Unerwartet“ ist ein Studentenfilm, Regie führt ihr Studiendekan, der Filmemacher Bodo Fürneisen.

Das erste professionelle Engagement hatte Dieks unlängst auch schon, die Hauptrolle in der ZDF-Märchenverfilmung „Die sechs Sterne“. Am Hans Otto Theater in Potsdam stand sie während der Ausbildung in drei Rollen auf der Bühne. Wenn es nach ihr geht, soll so auch ihr weiterer Berufsweg aussehen: Theater spielen. Und auf jeden Fall Filme drehen.

Mit diesem Wunsch steht Sinja Dieks nicht alleine da. Die staatlichen Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz entlassen pro Jahr ungefähr 200 ausgebildete Schauspieler auf den freien Markt. Dazu kommen noch einmal etwa 400 Absolventen privater Schulen. Dass es nicht für alle genug zu spielen gibt, liegt auf der Hand. Wie viele arbeitslose Schauspieler es in Deutschland gibt, lässt sich zwar kaum bestimmen. Peter Junkuhn von der ZAV, der zentralen Künstlervermittlung der Bundesagentur für Arbeit, sagt, im Grund seien Schauspieler ja „ihr Leben lang Arbeit suchend“. Immer zwischen zwei Projekten. Aber gerade bei den weiblichen Absolventen beobachtet er „ein enormes Überangebot“, das durch die wachsende Zahl der privaten Schulen verschärft werde.

Trotzdem bleibt Schauspieler, zumal Filmschauspieler, ein Traumberuf. Das dürfte die kommende Berlinale mit ihren Bildern vom roten Teppich einmal mehr bestärken. Allein an der HFF bewerben sich im Jahr rund 300 junge Menschen um zehn Studienplätze. Muss man ein wenig größenwahnsinnig sein, um zu glauben, man selbst könne sich da durchsetzen?

Studienleiter Fürneisen spricht lieber von „Besessenheit“. Man habe nur eine Chance, sagt er, „wenn man ganz tief empfindet: ich muss das machen, ich will unbedingt spielen.“ Berühmt werden zu wollen, sei dagegen „eher hinderlich“. Die wachsende Zahl an Castingshows suggeriere jungen Leuten, dass jeder ein Star werden könne. Wer diesem Trugschluss aufsitzt, schafft in der Regel nicht mal die erste Bewerbungsrunde. Was Fürneisen dagegen bei Bewerbern interessiert, das sind neben schauspielerischem Talent vor allem „Ausstrahlung und Persönlichkeit“.

Die sollten sich möglichst früh entfaltet haben. Im Schnitt nehmen die staatlichen Hochschulen Frauen bis 23 Jahre und Männer bis 25 Jahre auf, tendenziell sinkt das Alterslimit eher. Christoph Schinkel ist eine der Ausnahmen. Der Kommilitone von Sinja Dieks war bereits 26 Jahre alt, als er die Prüfung bestand. Der Studienplatz kam ihm deshalb „wie ein Sechser im Lotto“ vor. So hart es klingt, sagt Schinkel: „Es wird schon geschaut, ob ein derart teures Studium noch rentabel ist für den Marktwert, den man danach als Schauspieler hat“. Schinkel ist jetzt 30, in der Branche gilt das als alt. Kürzlich allerdings hatte er ein Casting für eine Fernsehserie der Ufa, mit dem die Rolle eines 28- bis 32-Jährigen besetzt werden sollte. Und wurde abgelehnt mit der Begründung, er sehe viel zu jung aus.

Warum ein Studium sinnvoll ist

Warum überhaupt studieren? Gerade in der Filmszene gibt es immer wieder prominente Beispiele von Seiteneinsteigern, die es auch ohne Abschluss geschafft haben – Matthias Schweighöfer ist so ein Fall.

Die Ausbildung bietet jedoch einige nicht zu unterschätzende Vorteile, gerade für angehende Schauspieler, die es zum Film zieht. Der Studiengang an der HFF – die im Gegensatz zur Ernst Busch Schule und der Universität der Künste nicht nur für Theater, sondern parallel für Film ausbildet – schafft zum einen wertvolle Kontakte. Sowohl Dieks als auch Schinkel haben über einen Casting-Kurs bereits eine private Agentur gefunden, die sie vertritt. Zudem holt Bodo Fürneisen renommierte Regisseure aus der Praxis an die Schule, die mit den Studenten arbeiten, zum Beispiel Aelrun Goette oder Bernd Böhlich. Darüber hinaus werden die Studenten zum ZDF-Casting nach Mainz eingeladen. Das ist eines der Privilegien gegenüber den staatlich anerkannten Privatschulen, die zudem oft hohe Studiengebühren verlangen. Und zu guter Letzt verlassen die HFF-Absolventen die Schule mit einem Demoband mit mindestens fünf Filmen zwischen fünf und 20 Minuten Länge – eine unerlässliche Visitenkarte für Caster.

Natürlich ist Eigeninitiative gefragt, wenn man auf dem Markt Fuß fassen will. Sinja Dieks bastelt gerade an ihrer eigenen Homepage. Christoph Schinkel schreibt Caster persönlich an, verschickt Fotos. Beide haben ihr Profil auf der Webseite Filmmakers.de eingestellt – eines der wichtigsten Foren der Branche. Als Fürneisen für einen Tatort, den er mit Ulrike Folkerts für den SWR drehte, die männliche Hauptrolle suchte, hat er sich nachts durch zweitausend Gesichter auf der Seite geklickt. Bis ihn eines seltsam anschaute und sein Interesse weckte. Der junge Mann bekam nicht nur die Rolle, sondern in der Folge auch einen begehrten Nachwuchspreis. Ein Glücksfall.

„Nicht jeder, der die Ausbildung für Theater und Film durchlaufen hat, macht a priori eine Filmkarriere“, schränkt Fürneisen ein. „Es sind die wenigsten“.

„Es ist der schönste Beruf, den man nicht weiterempfehlen kann“, sagt Heinrich Schafmeister. Der Schauspieler ist Vorstand des Bundesverbandes der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS), der fast 2000 Mitglieder zählt. Schafmeister hat viel zu erzählen über die Schwierigkeiten, mit denen sein Berufsstand kämpft: unter anderem, dass immer weniger produziert werde, bei gleichzeitig sinkenden Gagen. Er zitiert aus einer Studie, die 2009 an der Universität Münster über die Lebenssituation von Schauspielern erstellt wurde: „55 Prozent verdienen weniger als 20 000 Euro brutto im Jahr. Nur fünf Prozent Privilegierte bekommen über 100 000 Euro“. Letztere aber prägten das Bild: roter Teppich, Glamour. „Es gibt kaum einen Beruf, der in der Öffentlichkeit so präsent ist und gleichzeitig so verzerrt dargestellt wird“, sagt Schafmeister.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false