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Die Fertigstellung der Fährschiffe am Standort Stralsund verzögert sich auf unbestimmte Zeit.

© dpa

Schiffsbau: Zwei Werften vor dem Aus

Zu viel vorgenommen: In Mecklenburg-Vorpommern stehen wieder zwei Werften vor der Pleite. 1800 Beschäftigte wären betroffen.

Kein leeres Ölfass, aus dem eine Gedenkflamme lodert. Kein Schiffbauer, der am Werkstor Mahnwache hält. Kein Transparent mit Durchhalteparolen, das die Fassade der hohen Werfthalle in Stralsund ziert. Wieder einmal stehen zwei Werften in Mecklenburg-Vorpommern vor der Insolvenz, ein wichtiges industrielles Standbein für eine ganze Region droht umzuknicken. Aber anders als bei früheren Krisen scheint diese Belegschaft ihr Schicksal ruhig abzuwarten.

„Irgendwie muss es ja weitergehen“, sagt vor dem Tor der Stralsunder Volkswerft ein junger Schweißer auf dem Weg nach Hause. „Die Schiffe müssen ja zu Ende gebaut werden.“ Ein anderer will sich „notfalls woanders Arbeit suchen“, schließlich sei er gut ausgebildet. Während zahlreiche osteuropäische Leiharbeiter mit prallgefüllten Plastiksäcken für immer von dannen ziehen, sagt ein Fertigungsmechaniker: „Das musste ja so kommen. So viele Schiffe auf einmal bauen zu wollen war utopisch.“ Zudem sei die Arbeit schlecht organisiert gewesen. „Eine Fähre haben wir zweimal gebaut. Was wir einen Tag montiert hatten, sollten wir am nächsten wieder abreißen.“

Die Volkswerft und die Wolgaster Peene-Werft mit rund 1800 Beschäftigten firmieren seit zwei Jahren unter dem Dach P+S-Werften. „Es fehlten die Ingenieure“, sagt auch Guido Fröschke von der IG Metall, die habe der Arbeitsmarkt nicht hergegeben. Es fehlten Konstruktionszeichnungen und die Produktion kam ins Stocken. Zwei Fähren und zwei Spezialfrachter wurden nicht termingerecht fertig. Statt Geld einzunehmen, um neue Aufträge vorzufinanzieren, mussten die Werften Vertragsstrafen zahlen.

Das Land investierte 270 Millionen in die Firmen

Vor der Herausforderung, auf den Bau von Spezialschiffen umzusteigen, stehen viele deutsche Werften. Die Umstellung sei „sehr gut fortgeschritten“, heißt es beim Branchenverband Schiffbau und Meerestechnik (VSM) in Hamburg. Mit Container- oder Tankschiffen kann kaum noch eine deutsche Werft gegen die übermächtige Konkurrenz aus Korea, China und Japan mithalten. Darum versuchen sie, mit Kreuzfahrt- und Forschungsschiffen, Lotsenbooten und Schwimmbaggern, Fähren und Offshore-Anlagen für Ölkonzerne oder Windparks ihr Überleben zu sichern. Für viele sei das ein schwieriger Weg, so der VSM.

Die P+S-Werften haben sich dabei offenbar verhoben, wie auch deren Geschäftsführer Rüdiger Fuchs zugibt. Der frühere Airbus-Manager hat sein Amt vor drei Wochen angetreten. Die Aufträge im Wert von über einer Milliarde Euro nutzen anscheinend nichts. Dabei hatten der Bund und die Landesregierung erst im Juni Beihilfen von bis zu 152 Millionen Euro bewilligt. Zulieferer, Mitarbeiter und Banken sollten ebenfalls helfen. Das reiche nur bis Weihnachten, kalkulierte Fuchs inzwischen, forderte einen Nachschlag vom Staat und drohte mit Insolvenz. Weder Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) noch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), in deren Wahlkreis die Volkswerft liegt, sind dazu bereit. Mehr Hilfe sei mit EU-Recht nicht vereinbar.

Die Linkspartei und die Grünen im Schweriner Landtag fordern inzwischen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Schließlich habe das Land nicht nur Bürgschaften, Kredite und Rettungsbeihilfen in Höhe von rund 270 Millionen Euro an die P+S-Werften ausgereicht, sondern sei quasi indirekt an ihnen beteiligt. Bis 2010 gehörten die Betriebe in Stralsund und Wolgast zur Bremer Hegemann-Gruppe. Als die in Schieflage geriet, gewährten Bund und Land ihnen einen Kreditrahmen über 326 Millionen Euro. Im Gegenzug musste Hegemann 93 Prozent seiner Anteile in eine doppelnützige Treuhandgesellschaft abtreten. In der haben als Gläubiger die NordLB und die KfW-Ipex sowie das Land eigentlich die Oberaufsicht.

Kritik auch an der Regierung

Deshalb nennt es Helmut Holter, Landtagsfraktionschef der Linkspartei, „ein Stück aus dem Tollhaus“, dass die Landesregierung von der neuen P+S-Schieflage überrascht wurde. Entweder sei ihr das massive Finanzproblem bewusst gewesen, dann habe sie fahrlässig öffentliche Gelder ausgegeben. Oder die Landesregierung habe keine Ahnung von der wahren Lage gehabt, dann habe die Kontrolle versagt. Auch Grünen-Fraktionschef Jürgen Suhr glaubt, die Regierung habe die Lage aus dem Blick verloren. SPD und CDU halten dagegen, die Landesregierung sei von der alten Geschäftsleitung nicht richtig informiert worden.

Seit der Wiedervereinigung hangelt sich Mecklenburg-Vorpommern von Werftenkrise zu Werftenkrise, die stets mit Personalabbau verbunden war. 1992 stürzte Ministerpräsident Alfred Gomolka (CDU), weil er nicht wollte, dass die DDR-Werften als Paket an den Bremer Vulkan verkauft werden. 1997 stellte sich heraus, dass der Vulkan eine knappe Milliarde Mark an Beihilfen in westdeutsche Kassen umgelenkt hatte, statt sie in die Werften zu stecken. Nach mehreren Verkäufen landeten die Werften in Wismar und Rostock-Warnemünde bei einem russischen Eigentümer, der 2009 Insolvenz anmeldete. Jetzt gehören sie einem anderen russischen Investor. Von damals 550 arbeitslos gemeldeten Schiffbauern sind heute laut Arbeitsagentur noch 80 ohne Job.

Gewerkschafter Fröschke sieht im Falle einer Insolvenz vor allem für die Peenewerft einen Lichtstreif am Horizont. Die Werft sei besser ausgelastet als die große Schwester in Stralsund, außerdem sichere die Arbeit an Marinefahrzeugen eine gute Basis. Die Volkswerft in Stralsund hingegen müsse sich auf wenige Spezialschiffe konzentrieren, von denen aber mindestens zwei gebaut werden sollten, um Konstruktionskosten für das sogenannte Folgeschiff zu sparen. Besser wäre es, die Schiffbauer kämen ohne Insolvenz aus der Schieflage.

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