zum Hauptinhalt
Massenhaft werden Güter in Leipzig/Halle verfrachtet. Im ersten Halbjahr lag das Volumen um ein Fünftel über dem Vorjahr. Inzwischen ist der ostdeutsche Flughafen nach Frankfurt am Main der zweitgrößte Frachtflughafen in Deutschland. Foto: p-a/dpa

© picture alliance / ZB

Wirtschaft: Schlaflose Nacht

In Leipzig ist in den letzten Jahren rund um den Flughafen ein riesiges Logistik-Cluster entstanden

Spät in der Nacht, wenn in München, Berlin oder Frankfurt die großen Flughäfen ihre Flugsteige hochklappen, wird es am Airport Leipzig/Halle richtig turbulent: Mit einer langen Lichterkette verzieren die einschwebenden Frachtmaschinen den Himmel, bevor sie sich um Mitternacht auf dem riesigen südlichen Vorfeld sammeln und von unzähligen Zügen mit Containern umschwirrt werden. 50 Maschinen stehen dann für ein, zwei Stunden am Boden und werden so schnell wie möglich mit Sendungen beladen. An guten Tagen sind das immerhin 240 000 Päckchen und Pakete oder 1500 Tonnen, die allein DHL Express hier umschlägt. Dazu kommen die Sendungen von Lufthansa-Cargo, die mit der gemeinsam mit DHL betriebenen Airline Aerologic rund um die Welt geflogen werden. Oder auch die in Leipzig stationierten russischen Riesenflieger Antonow 124, die für NATO- Staaten humanitäre und militärische Transporte bewältigen.

Leipzig/Halle, der Flughafen, den vor zehn Jahren kaum jemand kannte, hat inzwischen im deutschen Frachtranking Köln/Bonn auf Platz drei verdrängt. 367 000 Tonnen im Halbjahr bedeuten immerhin einen Zuwachs von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. „Wir sind ohne große Rückschläge durch die Krise gekommen und spüren jetzt kontinuierlich steigende Nachfrage“, sagt Eric Malitzke von DHL und strahlt, während er eine junge hübsche Dame als 3000. Mitarbeiterin „am größten Express-Hub des größten Logistikunternehmens der Welt“ vorstellt. Man sei damit auf gutem Weg, die einst angekündigte Personalstärke von 3500 Kollegen bis 2012 zu schaffen. Und für die großen Erweiterungsflächen im Osten, die bis zum Werkszaun von Porsche reichen, liefen heute bereits erste Vorplanungen: „Wir werden sicher hier weitere Divisionen unseres Konzerns ansiedeln“, deutet Malitzke an. Der Zugang zu einem weltweit funktionierenden Versandzentrum, das rund um die Uhr offen ist, lege es einfach nahe, dass man hier auch Waren bearbeitet.

Für die gesamte Region war die Ansiedlung von DHL ein wirtschaftlicher Urknall – auch wenn sich im Umfeld des Airports mehrere Bürgerinitiativen wegen der nächtlichen Geräuschkulisse mit Protesten immer wieder bemerkbar machen. Nach DHL kamen tatsächlich zahlreiche weitere Logistiker in die Region: Amazon etwa betreibt seit vier Jahren ein Versandzentrum mit bis zu 4000 Mitarbeitern in der Hochsaison. Der Medizinversender CEVA Logistics betreibt ein Warenhaus für den US-Konzern Medtronic, Schenker baut gerade eine Halle, von der aus Bauteile für BMW-Werke in China und Südafrika versendet werden sollen. Und auch das seit der Insolvenz leer stehende Quelle-Gebäude wurde unlängst verkauft und hat nach Ansicht von Immobilienexperten gute Aussichten, demnächst umgebaut und dann wieder genutzt zu werden.

„Von Leipzig aus garantieren wir die Lieferung bis zum Morgen des nächsten Tages, selbst wenn die Bestellung erst um 18 Uhr eingeht“, so Medtronic-Direktorin Sandra Hildebrandt. Das sei wichtig, weil Krankenhäuser Operationen oft sehr kurzfristig planen, dafür aber patientenspezifische Zulieferungen – etwa bei Herzklappen benötigen. Das gleiche Argument für seine Standortwahl – die gute zentrale Lage in Deutschland, aber auch der schnelle Versand von Bauteilen nach ganz Europa – nennt auch der kanadische Elektronik-Lieferant Future Electronics, der seit dem vergangenen Jahr ein Distributionszentrum gleich nebenan betreibt.

Während gerade im Südbereich des Flughafens für DHL der Beton für weitere Flugzeug-Stellplätze gegossen wurde und in diesem Jahr für rund 100 Millionen Euro ein Sicherheitszentrum für den Versand hochsensibler Waren durch die Schweizer DH-Beteiligungs AG entstehen soll, sind auch im Norden des Flughafens bereits wieder Bagger angerollt. Hier sollen ein neues Vorfeld und ein Hangar für Flugzeugwartungen gebaut werden – alles fast noch einmal so groß wie bei DHL. Offiziell hält der Flughafen sich noch bedeckt, für wen die Kapazitäten geschaffen werden. Eine Flughafensprecherin erzählt etwas von „dringend benötigter Infrastruktur, die allen Kunden offen stehen wird“. Doch hinter dem dreistelligen Millionenprojekt, das von der EU–Kommission, ebenso wie schon der Bau des DHL-Bereiches, als umstrittene Beihilfe argwöhnisch beobachtet wird, steckt die russische Volga-Dnepr-Gruppe. Sie hatte bereits im letzten Herbst den Bau einer Wartungsbasis für die größte russische Frachtairline Air Bridge Cargo angekündigt. Die Gesellschaft werde dann auch in Leipzig selbst im Frachtgeschäft aktiv, hieß es dazu im vergangenen Jahr während eines Logistikkongresses in Berlin.

Für die lärmgeplagten Anwohner ist der heutige Zustand also eher eine Art Vorgeschmack, auf das, was da noch kommen mag. Doch für DHL-Chef Malitzke, im Jahr 2005 übrigens noch als Geschäftsführer des Flughafens derjenige, der mit die Weichen für die Ansiedlung stellte, ist gerade der Nachtvorteil von entscheidender Bedeutung. Über die möglichen Folgen eines generellen Nachtflugverbotes in Frankfurt, über das derzeit juristisch gestritten wird, will er zwar jetzt noch nicht orakeln. Doch wenn es käme, wäre es wohl nicht zum Nachteil der Leipziger.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false