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Bleiberecht. Ein Euro-Austritt muss nach Meinung der Ökonomen verhindert werden. Auch die Occupy-Camp-Bewohner in Frankfurt am Main wollen die „Euro-Zone“ nicht verlassen, aber den Banken die Geschäfte erschweren. Foto: dpa-Bildfunk

© dpa

Wirtschaft: Schlafwandelnd in die Katastrophe

Ökonomen kritisieren die Krisenpolitik, fordern einen Schuldentilgungsfonds und das Eingreifen der EZB.

Berlin - Der Ton ist schrill, weil die Botschaft in der Öffentlichkeit und der Politik ankommen soll. Denn wenn sich die Krisenpolitik nicht ändert, dann droht dem Euro ein „Zusammenbruch mit unkalkulierbaren Kosten“. Von einem Desaster ist die Rede, in das Europa derzeit „schlafwandlerisch“ hineinwanke. Dagegen haben 17 Ökonomen nun einen Weckruf veröffentlicht. Unter der Überschrift „Raus aus der Sackgasse – Ein Weg aus der Krise“ kritisieren sie die bisherige Krisenpolitik und reklamieren einen Kurswandel. Zu den Unterzeichnern gehören die beiden deutschen Wirtschaftsweisen Peter Bofinger und Lars Feld sowie Beatrice Weder di Mauro, die bis vergangenen Februar dem Sachverständigenrat angehörte.

Einen Vorschlag des Sachverständigenrats greifen die Ökonomen auf: Die Einrichtung eines Schuldentilgungsfonds oder -paktes. In solch einen Fonds könnten die Staatsschulden übertragen werden, die 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigen. Für diese Schulden gäbe es dann eine Gemeinschaftshaftung. Weiter schlagen die 17 Ökonomen, die ihre Expertise im US-Institute for New Economic Thinking veröffentlicht haben, eine Banklizenz für den Rettungsschirm ESM vor, damit dieser seine „Feuerkraft“ erhöhe. Eine solche Lizenz lehnt die deutsche Regierung ebenso ab wie einen Schuldentilgungsfonds.

„Die Einschätzung, dass Europa an der Schwelle zu einer Katastrophe steht, wird von der Bundesregierung ausdrücklich nicht geteilt“, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter zu dem neuen Ökonomenvorschlag. „Das ist eine von vielen Expertenmeinungen, die wir zur Kenntnis nehmen.“

Die Wissenschaftler weisen hin auf Rezession und Massenarbeitslosigkeit in den überschuldeten Ländern; das menschliche Leid zu mildern sollte zur „ersten Priorität“ der europäischen Politiker gehören. Und dabei hätten arme und reiche Länder, Gläubiger und Schuldner durchaus ein identisches Interesse: Die politischen und ökonomischen Kosten eines Euro-Zusammenbruchs seien viel höher als die erforderlichen Transfers zur Lösung der Schuldenprobleme im Süden.

Kurzfristig schlagen die Ökonomen, die zu ihren Beratungen Ende Juni in Brüssel unter anderem EU–Währungskommissar Olli Rehn, den Großspekulanten George Soros sowie den CDU-Mittelstandspolitiker Peter Jungen hinzuzogen, neben dem Schuldentilgungsfonds folgende Maßnahmen vor: Eine Umschuldung der Staatsanleihen der Krisenländer von kurz- in langfristige, die Verlängerung könnte fünf Jahre betragen. Die EZB sollte zeitlich begrenzt aber verstärkt Staatsanleihen kaufen. Italien und vor allem Spanien werden derzeit von den hohen Risikoaufschlägen für ihre Anleihen tiefer in die Rezession gedrückt. An strukturellen Reformen wird eine Erhöhung des Rentenalters, Stellenabbau im öffentlichen Dienst sowie eine Umstellung von direkten Steuern (Einkommenssteuer) hin zu indirekten Steuern ( Mehrwertsteuer) empfohlen. Dadurch sollen die Arbeitskosten reduziert werden.

Wegen der Eurokrise verschlechtert sich weiter die Stimmung in der deutschen Wirtschaft. Das Münchner Ifo-Institut teilte mit, der Geschäftsklimaindex sei im Juli auf den niedrigsten Stand seit März 2010 gefallen. Dabei äußerten sich von den 7000 befragten Unternehmern vor allem Vertreter der Industrie skeptisch. „Ein Lichtblick“ sei indes im Handel auszumachen, wo sowohl die aktuelle Lage als auch die Erwartungen günstiger beurteilt würden als zuletzt.

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