zum Hauptinhalt

Schlecker-Versteigerung: Letztes Aufgebot

Bohrmaschinen, Gabelstapler, Computer: In Ehingen, am Sitz der einst größten Drogeriekette Deutschlands, kommt der letzte Rest von Schlecker unter den Hammer. Das Unternehmen versucht, die Konkursmasse zu versilbern. Aber die Erlöse sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die braune Kiste steht zwischen alten Regalen, Fliesen und Bohrmaschinen. Ganz unscheinbar. Auf den ersten Blick liegen darin nicht mehr als alte Zeitungen und Plastikverpackungen. Darunter aber verbirgt sich die Seele der einst größten Drogeriekette Deutschlands: Leicht verblasst liegen sie da, Anton und Christa Schlecker, gerahmt. Er, mit ernstem Blick am Schreibtisch, seine Frau hinter ihm, ein leichtes Lächeln im Gesicht. Eine weitere Zeitungsschicht darunter die Schlecker-Zentrale in Ehingen im Großformat. Vor dem Glaspalast stehen die Beete in voller Blüte, die Sonne spiegelt sich in der Fassade. Die Kiste mit den alten Bildern, die in dem Gebäude der Bau- und Dienstleistungsgesellschaft (BDG) in Ehingen-Berg steht, sie ist übrig geblieben von Anton Schleckers einstigem Drogerieimperium, das Anfang des Jahres pleiteging. Übrig geblieben, so wie 1397 andere Objekte aus der Insolvenzmasse, die im Zentrallager in Ehingen-Berg auf der Schwäbischen Alb an diesem Mittwoch versteigert werden. „Das hätte sich doch vor fünf Jahren keiner träumen lassen, dass der Schlecker pleitegeht“, sagt Norbert Zimmermann, während er langsam die Graf-Konrad-Straße in Ehingen-Berg hinunterfährt. Sein Landgasthof Zur Rose liegt genau zwischen Schleckerland – dem Sitz der Zentrale mit riesigem Shoppingcenter, Tankstelle und Baumarkt – und dem Zentrallager. Zimmermann kennt viele, die für Schlecker gearbeitet haben, jahrzehntelang. „Die sind Schlecker, so hat man bei uns zu denen gesagt“, erzählt er. Nun sind hunderte Arbeitsplätze weg, und in Ehingen an der Donau mit seinen 26000 Einwohnern, gibt es wenig Industrie.

„Wir merken es alle“, sagt Zimmermann und biegt zum Lagergelände ab, mehr als drei Fußballfelder groß. „Die Spediteure, die Geschäftskunden, die sind bei uns untergekommen“, erzählt er. Sauer auf Anton Schlecker ist der Hotelier nicht. Jahrzehntelang hätten die Leute bei Schleckers in Lohn und Brot gestanden. Er zeigt auf die Straße vor der Lagerzufahrt. Bis zu 30 Lastwagen hätten hier jede Nacht gestanden, als das Geschäft noch lief. „Ein paar wenige“, erzählt Zimmermann, „sind auch froh, dass hier jetzt nicht mehr so viele Lkw zum Lager langfahren.“ So weit das Auge reicht, ziehen sich die Lagergebäude an der Straße entlang, graue Kieselbauten auf grauem Asphalt unter grauem Himmel. Der Einweiser auf dem Parkplatz mit roter Schlecker-Mütze winkt die Autofahrer herein. Schon früh am Morgen sind die ersten gekommen, sie wollen vor der Auktion die Waren besichtigen. Im oberen Stockwerk des BDG-Gebäudes sind sie in Regalen dicht an dicht aufgereiht, Bohrmaschinen, Werkzeugkisten, Schrauben, aber auch Kopierpapier, Plastikschilder, Fliesen, Computer. Hinter den Bohrmaschinen, um die sich Männer in Arbeitskleidung drängeln, stehen ein paar hundert Aktenordner, in Schlecker-Blau, nur mit Klarsichtfolien gefüllt. Zeit, die Rückenbeschriftungen zu lösen, war nicht mehr: „Shopkonzept 2011“ steht da, „Optimierungen KW 43“, „Ihr Platz Fulda 2008“ oder „Ihr Platz Fliesenbestellungen 2008“. Ein Stockwerk tiefer neben der Kfz-Werkstatt stehen die Rollwagen, in denen früher günstige Waren vor den Filialen ausgestellt wurden, Shampoo, Putzmittel, Windeln. Sie sind in Folie verpackt und bis an die Decke gestapelt. In einigen liegen noch die Zettel des Räumungsverkaufs: „Alles zum 1/2 Preis“, „Bis zu 50 Prozent reduziert“. Auch auf den Plastikleisten kleben noch die Preise, Duschdas for Men, 1,59 Euro, Ovomaltine, 3,99 Euro, Babynahrung mit Gemüse und Rindfleisch, 0,85 Euro.

Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz sucht Käufer für die Lager

Auch wenn das Schlecker-Logo in Ehingen noch an den Gebäuden prangt, ist das Unternehmen seit der Schließung der letzten Filialen im Rest der Republik aus dem Stadtbild und dem Bewusstsein vieler Menschen verschwunden. Abgewickelt ist es noch lange nicht. Für 14 Lager, die Zentrale und fünf Tankstellen sucht Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz weiter nach einem Käufer. An diesem Mittwoch, noch während die Versteigerung läuft, sitzt der Wirtschaftsprüfer in seiner Kanzlei, rund 35 Kilometer entfernt in Neu- Ulm. Sein Büro liegt im zweiten Stockwerk des Glasbaus, an den Wänden hängt großflächige, extravagante Kunst, die sein Partner, der Ihr-Platz-Abwickler Werner Schneider sammelt. Die Tochterfirma, die in Berlin einst Drospa hieß, hatte wenige Tage nach Schlecker Insolvenz angemeldet. „Der Erlös aus der Versteigerung ist ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Geiwitz. Seit Januar kämpft sich der Wirtschaftsprüfer durch das Firmengeflecht der Schleckers, verhandelt mit der Familie, versucht alles zu Geld zu machen, was noch da ist. „Es wird wohl keine Quote geben“, sagt Geiwitz und meint damit: Die Gläubiger werden wahrscheinlich leer ausgehen. 1074791544 Euro wollen die 22738 Gläubiger von Schlecker – Mitarbeiter, Vermieter, Lieferanten. Jene, denen Schlecker für seine Waren Sicherheiten überlassen hat, werden bevorzugt behandelt. So hat der Kreditversicherer Euler Hermes bereits Geld aus dem Räumungsverkauf erhalten. Er brachte, wie ein mit dem Insolvenzverfahren Vertrauter erzählt, 130 Millionen Euro ein. Für die Mitarbeiter gibt es wenig Hoffnung, dass noch Geld fließt. Auch mit der Familie Schlecker hat Geiwitz noch keinen Vergleich geschlossen, zudem dauern die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen Anton Schlecker noch an. Vieles ist noch offen aus dieser komplizierten Insolvenz, Schlecker, der eingetragene Kaufmann, führte sein Unternehmen verschwiegen, haftete allein für den Untergang seiner einst 14000 Filialen in ganz Europa. Die meisten Auslandstöchter hat Geiwitz verkaufen können, für die größte Tochter in Spanien sollen bald mehr als 70 Millionen Euro fließen. „Auch für die Lager gibt es mehrere Interessenten“, sagt der Wirtschaftsprüfer – Kapitalgesellschaften, Logistiker, auch der österreichische Investor Rudolf Haberleitner soll darunter sein. Die Zentrale dagegen ist ein Problem für Geiwitz. Das sechsstöckige Gebäude mit verspiegelter Fassade hat Platz für 800 Mitarbeiter. Auf 24000 Quadratmetern verwaltete Schlecker dort sein Imperium. In großen silbern glänzenden Lettern prangt der Schlecker-Schriftzug vor dem Eingang. Bisher hat sich kein Interessent gefunden, kein Unternehmen, keine Verwaltung, die dort einziehen möchten. Ein Wohnhaus könnte es werden, vielleicht aber muss man es abreißen.

Bieten um Schleckers Bohrmaschinen

Im Zentrallager in Ehingen-Berg stehen hunderte Paletten, 27 Tore hat die imposante Halle, aus der Schlecker einst Waren in die ganze Republik losschickte. Auf einem Stapel dieser Paletten sitzt Auktionator Holger Haun von der Hanseatischen Industrie-Consult, der das „bewegliche Anlagevermögen“ von Schlecker an den Mann bringen will. Sein kleiner brauner Hammer fällt im Minutentakt. „Wir haben hier mehr als 1000 Positionen, da müssen wir ein bisschen ratzfatz machen“, sagt Haun in norddeutschem Dialekt. Rund 700 Bieter, viele in Arbeitskleidung, sitzen dem Anzugträger auf Bierbänken gegenüber, es riecht nach gebratener Rotwurst im Saal. Kreissägen für 40 Euro, Winkelschleifer für 100 Euro, Akkuschrauber für 60 Euro, ein Posten nach dem anderen geht weg. Es sind Unternehmer, die Spezialgeräte suchen, Privatleute, die eine günstige Bohrmaschine für zu Hause erstehen wollen. Der Steinmetz Jürgen Ott bietet mit für die Nummer 402: „1 Posten div. Maschinenwerkzeuge und Verbrauchsmaterialien“. Bei 400 Euro steigt er aus. „Das meiste hier ist mir zu teuer“, sagt Ott. Aus Inneringen ist er die 50 Kilometer hergefahren, ein paar Schnäppchen hat er schon gemacht. Dass das hier der Rest von Schlecker ist, der unter den Hammer kommt, „das ist mir egal“, sagt der Unternehmer. Auch Herrmann Schön, der eine Firma für Altbausanierungen hat, hat kein Mitleid. „Schlecker, Holzmann, das war alles Misswirtschaft, dem hat die Übersicht gefehlt“, sagt er. „Es ist mir ein Rätsel, wie man in so kurzer Zeit so viel Geld verbrennen kann.“ Nur billig, das funktioniere halt heute nicht mehr. Auf der Auktion sind auch Schön die Preise zu hoch. „Das geht ja fast an den Neupreis ran, und zum Teil sind die Sachen Jahre alt.“ Bald will er gehen, wohl mit leeren Händen, glaubt er. In der Schlecker-Zentrale ein paar Kilometer weiter brennen noch Lichter, die Blumen in den Beeten sind verwelkt. Derzeit arbeiten dort noch 148 Mitarbeiter für Schlecker, in der Lohnbuchhaltung, im Vertrieb, in der Rechtsabteilung. Sie wickeln ab. Auch Christel Hoffmann ist noch angestellt, die Gesamtbetriebsratsvorsitzende

bearbeitet mit drei Kollegen im Büro in Pforzheim die vielen Fragen der ehemaligen Mitarbeiter. 25000 Menschen verloren durch die Insolvenz ihren Job. Hoffmann bekommt Beschwerden über Zeugnisse, die zu Tausenden in allzu großer Eile ausgestellt wurden, Fragen zu den Geldern aus Altersteilzeit, zur Lohnsteuer. Und manche melden sich bei ihr, um ihre Verzweiflung mitzuteilen. Denn die wenigsten haben neue Arbeit gefunden, erzählt die Betriebsrätin. „Wenn überhaupt in Teilzeit oder Minijobs.“ Solche Arbeitsstellen wie bei Schlecker, mit Tarifbindung, Vollzeit, unbefristeten Verträgen, glaubt Hoffmann, „die gibt es im Handel kaum noch“. Die Betriebsrätin erzählt von Nervenzusammenbrüchen, von alleinerziehenden Müttern, die vor dem Nichts stehen und verzweifelt bei ihr anrufen. Den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zufolge haben mittlerweile mehr als 9000 ehemalige Mitarbeiter eine neue Stelle gefunden, doch sie sagen nichts über die Qualität der Arbeit aus. „Von den meisten Jobs, die die Frauen nun annehmen müssen, könnte auch ein Herr Rösler nicht leben“, sagt Hoffmann trotzig. Sie ist wütend, auf die Politik, die die Mitarbeiter hängen ließ, ohne Transfergesellschaft, auf Anton und Christa Schlecker, die am Ende kein Geld mehr geben wollten, die ihre Verantwortung nicht wahrgenommen haben, „obwohl die Familie Schlecker nicht am Hungertuch nagen wird“, sagt sie. „Die Mitarbeiter haben wohl den größten Anteil am Erfolg und Wohlstand der Familie Schlecker.“ 17 Jahre lang arbeitete Hoffmann im Betriebsrat. „Anton, Christa und Tochter Meike Schlecker habe ich nie persönlich kennengelernt“, sagt sie. Nur der Sohn Lars, der sei nach der Insolvenz einmal vorbeigekommen und habe mit den Betriebsräten gesprochen. „Danach habe ich ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen und nichts mehr von ihm gehört.“

Hoffen auf Investor Haberleitner

Bald, wenn die Tankstellen geschlossen werden, stehen 21 weitere Leute auf der Straße. Vier machen zum Ende des Jahres dicht, im Februar die Tankstelle im Schleckerland in Ehingen. Allerdings gibt es einen Hoffnungsschimmer: Der österreichische Investor Haberleitner kündigte vor wenigen Tagen an, 600 Schlecker-Filialen neu eröffnen und 3000 Menschen einstellen zu wollen. „Zumindest tut sich was“, sagt Hoffmann. Doch ob er ehemalige Schlecker-Mitarbeiter einstellt? Und zu welchen Bedingungen?, fragt sie. Was aus den vielen Schlecker- und Ihr-Platz-Filialen geworden ist, mit denen der Patriarch einst das Land überzogen hatte, weiß so genau niemand. Ein paar hundert hatten Einzelhändler übernommen, eine Handvoll werden in Eigenregie von ehemaligen Mitarbeitern weitergeführt. In Ehingen-Berg lichten sich die Reihen bei der Versteigerung, an der Kasse stehen die Leute Schlange, um ihre Waren zu bezahlen. Einen Raum weiter stapeln sich die Regale der Handelskette, die alten weißen, aber auch rosafarbene, hellblaue, hellgrüne. Sie waren Teil des neuen Shopkonzepts, mit unterschiedlichen Farben für die verschiedenen Einkaufsbereiche. Es sollte Schlecker wieder nach vorne bringen. Das letzte Aufbäumen gegen die Konkurrenten, die Schlecker mit ihren schicken Läden die Kunden stahlen. Es kam zu spät.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false