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Erst Richterin, dann Schlichterin: Renate Jaeger hat am Bundesverfassungsgericht und am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gearbeitet.

© Doris Spiekermann-Klaas

Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft: „Die Leute haben auf mich gewartet“

Beim Streit mit dem Anwalt hilft Renate Jaeger. Seit einem Jahr leitet sie die Schlichtungsstelle. Der Andrang ist groß.

Kennen Sie den schon? Sagt der Angeklagte zu seinem Rechtsanwalt: „Wenn ich mit einem halben Jahr davonkomme, kriegen Sie 10 000 Euro von mir.“ Nach dem Prozess meint der Anwalt: „Das war ein hartes Stück Arbeit, die wollten Sie doch glatt freisprechen.“

11 600 Treffer bekommt man, wenn man im Internet nach Anwaltswitzen sucht, der 10 000-Euro-Witz ist einer der harmlosen. Über kaum einen Berufsstand gibt es so viele, vor allem so viele böse Witze wie über Anwälte. Das Klischee: Der Anwalt geht über Leichen und denkt nur an seinen Gewinn.

Viele Mandanten glauben das wirklich. Die Höhe der Anwaltsgebühren ist der häufigste Streitpunkt, bestätigt Renate Jaeger. Die resolute 71-Jährige weiß, wovon sie spricht. Seit Januar vergangenen Jahres leitet die Juristin die Schlichtungsstelle für die Rechtsanwaltschaft in Berlin und hilft Mandanten und Anwälten, ihre Auseinandersetzungen gütlich zu regeln, also ohne die Gerichte zu bemühen.

Dabei war Jaeger selbst Richterin, sogar eine sehr erfolgreiche. Am Bundessozialgericht hat sie gearbeitet, dann am Bundesverfassungsgericht und schließlich am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. In ihrem Büro in Mitte hängen Radierungen, Abschiedsgeschenke von Kollegen und Vorgesetzten, die an die verschiedenen Stationen ihres Richterinnenlebens erinnern. Auffällig häufiges Motiv: starke Frauen. So wie Renate Jaeger selbst. Mit Tatkraft, Witz und Ehrgeiz hat sie nicht nur Karriere gemacht, sondern auch noch zwei Kinder großgezogen. Die Tochter ist heute 40, der Sohn 46. Beide arbeiten als Anwälte. Das verschafft der Mutter Einblicke in eine Welt, die sie als Richterin selbst nicht erfahren hat.

Mit dem Blick von außen kann Jaeger verstehen, warum viele Verbraucher an den Anwaltsrechnungen verzweifeln. „Das deutsche Kostenrecht ist ein Mysterium“, sagt sie. „Für Laien ist es schwer zu verstehen, was der Anwalt abrechnen darf und in welcher Höhe.“ Vor allem nach verlorenen Prozessen gibt die Rechnung des Anwalts dem Mandanten den Rest. Dabei könnte der Advokat die Wogen leicht glätten. „Er sollte dem Mandanten einen Begleitbrief schreiben und erklären, für welche Tätigkeiten er welche Gebühren nimmt“, schlägt die Schlichterin vor. „In vielen Fällen wäre der Streit damit erledigt.“

Denn tatsächlich scheinen die allermeisten Kanzleien korrekt zu arbeiten. Das zeigt ein Blick auf die bisherige Bilanz der Schlichtungsstelle. Bis Ende 2011 hat Jaeger gerade einmal 27 Schlichtungsvorschläge gemacht – bei 472 Fällen, die insgesamt erledigt wurden. Das ist wenig.

Viele Anträge lehnte Jaeger schon aus formalen Gründen ab. Wenn der Streitwert über 15 000 Euro liegt oder sich einer der Beteiligten bereits an ein Gericht oder an die Staatsanwaltschaft gewandt hat, darf die Schlichtungsstelle den Fall nicht mehr annehmen. Auch Fälle, in denen ein Beweisverfahren nötig wäre, scheiden aus. Das Schlichtungsverfahren läuft ausschließlich schriftlich ab. Lässt sich ein Streit nur mithilfe von Zeugen klären, muss sich die Schlichtungsstelle heraushalten. In 130 Fällen prüfte Jaeger inhaltlich und kam zu dem Schluss, dass die Beschwerde nicht begründet war.

Nur wenige Schlichtungsvorschläge hatten Bestand.

„Wir brauchen mehr Personal“, sagt Schlichterin Renate Jaeger. Doch dafür müsste die Anwaltschaft aufkommen.
„Wir brauchen mehr Personal“, sagt Schlichterin Renate Jaeger. Doch dafür müsste die Anwaltschaft aufkommen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Doch selbst von den 27 Schlichtungsvorschlägen hatten nur wenige Bestand. Nur neun sind von den Parteien angenommen worden, in 18 Verfahren zog zumindest eine der Seiten nicht mit. Das ist ihr gutes Recht. Das Verfahren ist freiwillig. Sowohl der Anwalt als auch der Mandant müssen den Schlichterspruch nicht annehmen.

Die Unverbindlichkeit des Verfahrens war eine der Voraussetzungen dafür, dass die Anwaltschaft die Schlichtungsstelle überhaupt akzeptiert hat. Denn während Versicherungen oder Banken schon vor Jahren eigene Ombudsstellen eingerichtet hatten, tat sich die Anwaltschaft lange Zeit schwer damit, sich in die Karten schauen zu lassen. Verbraucher, die sich von ihrem Anwalt schlecht behandelt fühlten, mussten sich entweder an die Beschwerdestellen der Rechtsanwaltskammern wenden, oder sie mussten sich einen zweiten Anwalt nehmen, um vor Gericht gegen den ersten vorzugehen.

Dabei war der Bedarf nach einer neutralen und kostenlosen Schlichtung groß. So groß, dass die neue Stelle schon Fälle bekam, als es sie noch gar nicht gab. Als sie im Januar 2011 startete, fand Renate Jaeger bereits knapp 250 Anträge vor – Altlasten aus den Jahren 2009 und 2010. „Die Leute haben schon auf mich gewartet“, erzählt sie. 800 neue Fälle kamen 2011 hinzu, seit diesem Jahr sind es rund 100 pro Monat. Alle möglichen Rechtsbereiche sind dabei, sogar das Pferderecht. Die meisten Fälle drehen sich aber um die Bereiche, in denen die Emotionen besonders hochkochen: Familien- und Erbrecht, Streitigkeiten mit den Nachbarn oder den Miteigentümern von Wohneigentum. Mehr als 1260 Anträge sind bis Mitte März bei der Schlichtungsstelle insgesamt eingegangen, knapp die Hälfte wartet noch darauf, erledigt zu werden.

Doch das dauert. Das juristische Team besteht aus drei Anwältinnen und Renate Jaeger, alle arbeiten in Teilzeit. Das führt zu Wartezeiten. 165 Tage mussten die Antragsteller im vergangenen Jahr warten – im Schnitt. Der längste Fall zog sich über 360 Tage. „Wir brauchen mehr Personal“, sagt die Schlichterin. Doch dafür müsste die Anwaltschaft aufkommen. Drei Euro bezahlt jeder der 150 000 Anwälte für die Finanzierung der Stelle – im Jahr. 50 000 Euro davon gehen an die Chefin. Und die möchte mehr. Nicht für sich, sondern um das Team aufzustocken. Zwei Euro mehr pro Anwalt würden reichen, um eine weitere Juristin und eine weitere Sekretariatskraft in Vollzeit zu bezahlen. Zu viel? Nein, meint Jaeger: „Das ist doch weniger als das, was man in den Klingelbeutel wirft.“

Kontakt: Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft, Neue Grünstraße 17/18, 10179 Berlin, Telefon: 2844417-0.

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