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Hyperinflation. Bevor der Simbabwe-Dollar 2009 abgeschafft wurde, lag die Teuerungsrate bei 231 Millionen Prozent.

© dpa

Schreckgespenst Inflation: Vor allem Energie- und Lebensmittelpreise sind gestiegen

Die Inflation bleibt in diesem Jahr vermutlich gering. Langfristig aber werden die Preise in Folge der Krise schneller steigen, sagen Experten voraus. Inflationsraten von über zwei Prozent werden dann die Normalität.

Tanken macht gerade keinen Spaß, Rauchen schon lange nicht mehr und jetzt wird auch noch der Kaffee richtig teuer. 50 Cent mehr kostet das Päckchen bei Edeka und Rewe. Die Begründung: Der Rohkaffeepreis sei in den vergangenen Monaten um 50 Prozent gestiegen. Überhaupt scheint alles teurer zu werden. Im Januar stieg die Inflationsrate in Deutschland auf 1,9 Prozent, ein Zweijahreshoch. In der Euro-Zone lag sie sogar bei 2,4 Prozent. Bei bis zu zwei Prozent spricht die Europäische Zentralbank von stabilen Preisen. In diesem Jahr werde die Zielmarke wohl noch öfter überschritten, sagt EZB-Präsident Jean-Claude Trichet. Wird das Leben deutlich teurer?

„Nein“, sagt Roland Döhrn, Konjunkturchef beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Gestiegen sind bislang vor allem Energie- und Lebensmittelpreise. Der Ölpreis liegt erstmals seit Oktober 2008 wieder über 100 Dollar je Barrel, wegen der höheren Nachfrage und wegen der Umwälzungen im Nahen Osten. Die Preissteigerung wird aber erst bedrohlich, wenn auch die Kerninflationsrate steigt, bei der importierte Rohstoffe und manche Lebensmittel herausgerechnet werden. Aktuell liegt die Kerninflationsrate bei einem Prozent. Am höchsten sei ohnehin die gefühlte Preissteigerung. „Der Verbraucher sieht vor allem die Preise an der Tankstelle, an der er jeden Tag vorbeifährt“, sagt Döhrn. „Wenn die Mobilfunkgebühren sinken, bekommt er das nicht mit, weil er nur alle zwei Jahre seinen Handyvertrag erneuert.“

Entwarnung gibt der Konjunkturexperte deshalb noch lange nicht. Denn die Hersteller werden die hohen Rohstoffkosten auf ihre Preise umlegen. Experten sprechen hier von „importierter Inflation“. Das gleiche Risiko droht aus den Schwellenländern. In Indien liegt die Inflationsrate bei 8,6 Prozent, in China sind es 5,1 Prozent. „In fünf bis zehn Jahren kann das ein Problem werden“, sagt Michael Harms, Chefstratege bei der Privatbank Delbrück Bethmann Maffei.

RWI-Experte Döhrn fürchtet vor allem die deutschen Gewerkschaften. „Das ist eine sehr gefährliche Situation für die Lohnpolitik“. Wenn die Arbeitnehmer jetzt höhere Löhne fordern, steigen die Personalkosten für die Arbeitgeber. Und diesen Anstieg versuchen die Firmen dies über höhere Preise ausgleichen. Till van Treeck vom gewerkschaftsnahen Institut IMK sieht das anders. „Eine Lohn-Preis-Spirale gibt es erst, wenn die Wirtschaft an ihre Kapazitätsgrenzen stößt“, sagt er. Dann könnten höhere Preise problemlos am Markt durchgesetzt werden. In Deutschland seien die Kapazitäten aber lange nicht wieder voll ausgelastet. Abgesehen davon seien die Löhne hier, verglichen mit dem Rest Europas, in den letzten zehn Jahren langsam gestiegen. In der Konsequenz seien auch die Lohnstückkosten – das Verhältnis von Arbeitsproduktivität und -kosten, hierzulande viel langsamer gestiegen als in anderen europäischen Ländern. Entsprechend wettbewerbsfähiger waren die deutschen Firmen. „Wenn die Inflationsrate bei uns jetzt steigt, wäre das nur gut, damit sich die Leistungsbilanzen im Euroraum angleichen“, argumentiert van Treeck. Auch Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, sieht keine Gefahr für eine Lohn- Preis-Spirale in Deutschland. „Bei drei Viertel der Beschäftigten, die überhaupt mit Tarifverträgen arbeiten, laufen die Verträge noch bis Ende 2011“, sagt Krämer.

In den Schuldenstaaten am Rand der Euro-Zone sind Lohnerhöhungen derzeit überhaupt kein Thema. Wie stark die Inflation sein wird, hängt davon ab, wie sich die Wirtschaft in Europa erholt. „Jetzt ist es nur die Energie, aber wenn die Krise in zwei Jahren völlig ausgeschwitzt ist, werden die Preise nachhaltig steigen. Langfristig wird es schwierig, die Inflation unter zwei Prozent zu halten“, sagt Jörg Krämer.

Hinzu kommt die Geldmenge. In der Krise haben die Zentralbanken so viel Geld wie möglich in das System gepumpt. Nach der Lehman-Pleite war das Vertrauen in der Finanzwelt so erschüttert, dass sich die Banken untereinander kein Geld liehen. Also hat die EZB ebenso wie die US-Notenbank Fed ihren Banken mehr Kredit gewährt als üblich, mit längeren Laufzeiten und zu historisch niedrigen Zinssätzen.

Inflationswirksam ist das nach Meinung von IMK-Experte van Treeck bislang nicht. Denn es sei kaum Geld in der Realwirtschaft angekommen. Ablesen kann man das an der Geldmenge M3, die seit der Krise nicht gestiegen ist. „Sollte die EZB wegen des Ölpreises jetzt die Leitzinsen erhöhen, wäre das mit Kanonen auf Spatzen geschossen“, sagt van Treeck. „Neben dem Ölpreis wäre das ein zusätzlicher Schock für die Wirtschaft“, sagt auch RWI-Experte Döhrn. Sollte die Inflation tatsächlich nachhaltig steigen, glaubt van Treeck, hätte die Zentralbank alle Möglichkeiten, das Geld schnell wieder abzuschöpfen. Ausschlaggebend dafür ist nicht nur der Zins, sondern auch die Menge, die die EZB den Banken zuteilt.

Commerzbank-Volkswirt Krämer glaubt, dass die EZB die Zinsen „frühestens nach der Jahreswende“ erhöht. Der hiesigen Wirtschaft werde das helfen, die hohen Rohstoffpreise auszugleichen: „Deutschland wird noch sehr lange sehr stark wachsen.“ Langfristig aber werde es der Zentralbank schwerfallen, die Preise stabil zu halten: „Die Geldpolitik der EZB ist zu expansiv, sie ist viel zu sehr im Hier und Jetzt verankert“, kritisiert Krämer.

Bleibt die Frage, wo das ganze Geld geblieben ist. Einen Hinweis, wenn auch sicher nicht die ganze Antwort, gibt Michael Harms von Delbrück. „Die Hedge- Fonds-Industrie ist nicht kleiner geworden,“ sagt der Banker. Die Banken verleihen das Zentralbankgeld auch an Kapitalgesellschaften, die damit Übernahmen finanzieren oder auch mal auf dem Rohstoffmarkt spekulieren – und so dazu beigetragen haben, dass die Preise steigen.

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