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Schieflage: Griechenland kämpft um neue Kredite, sonst droht die Pleite.

© dpa

Schuldenkrise: Ein Herkulesplan für Griechenland

Kredite allein helfen Griechenland nicht weiter. Das Land braucht dringend Investitionen, damit die Wirtschaft wieder wächst.

Berlin - Jorgo Chatzimarkakis traute seinen Augen nicht. Der gebürtige Grieche ist FDP-Abgeordneter im EU-Parlament und Berichterstatter für den Haushaltsausschuss. Dort kontrolliert er unter anderem die Fördertöpfe. Im vergangenen Jahr fiel ihm auf: Ausgerechnet das bettelarme Griechenland hat erst fünf Milliarden Euro für die Förderung seiner Wirtschaft abgerufen. Dabei stünden ihm bis 2013 insgesamt rund 20 Milliarden zu. Schuld daran sei vor allem die träge Verwaltung, aber auch die Tatsache, dass jedes Land zunächst einmal einen Eigenbeitrag leisten müsste, um an die Mittel zu kommen. „Da nimmt man den Leuten alle Hoffnung und sagt immer nur Sparen, Sparen, Sparen. Dabei bräuchte das Land dringend ein Konjunkturprogramm“, sagt Chatzimarkakis.

Die Erkenntnis ist inzwischen angekommen: Anstatt immer nur neue Kredite zu vergeben, mit denen das Land Schulden zurückzahlt, sollte die EU den Griechen dabei helfen, selbst wieder Geld zu verdienen. Von einem neuen Marshallplan ist die Rede. Unter diesem Namen haben die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg Milliarden zur Verfügung gestellt, um die westeuropäische Wirtschaft aufzubauen. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso will Griechenland nun vorab eine Milliarde Euro aus verschiedenen EU-Fonds zukommen lassen. Auch Ideen für die Verwendung des Geldes gibt es schon reichlich. Doch was sind die Stärken der griechischen Wirtschaft?

Der Status quo ist beklagenswert. Griechenland ist eine mehr oder weniger abgeschottete Wirtschaft. Es gehöre dem europäischen Binnenmarkt nur theoretisch an, spottete IWF-Chef John Lipsky kürzlich. Die Grenzen zur Türkei, zu Albanien und Bulgarien waren politisch bedingt lange Zeit dicht. Das Handelsdefizit lag 2010 bei gut 31 Milliarden Euro. Kein Wunder, steuerte die Industrie doch nur ein Achtel zur Wirtschaftsleistung bei. Die stärksten Säulen waren Handel, Tourismus, Transport und Kommunikation.

Jorgo Chatzimarkakis hat gemeinsam mit dem in Athen ansässigen Wissenschaftler Jens Bastian ein Konzept geschrieben, Herkulesplan nennen sie es. Darin fordern sie ein EU-Investitionspaket in Höhe von 30 Milliarden Euro. So viel käme zusammen, würde man Geld aus der nächsten Förderperiode vorzeitig auszahlen. Investieren würden sie in die Gesundheitswirtschaft, in Tourismus, IT-Wirtschaft, erneuerbare Energien – und eine Reform der Steuerverwaltung. Da würde auch Gustav Horn ansetzen, Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung: „Hier könnte ein Investitionsplan viel erreichen, etwa für die Ausbildung von Beamten oder eine bessere Technik.“

Zu den wenigen Exportschlagern der Griechen gehören Medikamente, vor allem günstige Nachahmerprodukte, die zu einem großen Teil in Deutschland verkauft werden. 2009 betrug der Umsatz in der Arzneimittelbranche 5,1 Milliarden Euro.

Auch die Medizintechnikbranche ist in den Jahren vor der Krise jährlich um mehr als zehn Prozent gewachsen. Die Unternehmen haben aber ein Problem: Seit der Krise zahlen die öffentlichen Krankenhäuser ihre Rechnungen nicht mehr. Eine Chance liegt auch im Gesundheitstourismus. Rehazentren oder Schönheitskliniken mit Blick auf das Meer könnten auch die reichen Scheichs aus den nahen Golfstaaten anziehen. Gut ausgebildete Fachkräfte gibt es in Griechenland genügend, lobt die deutsche Gesellschaft Germany Trade & Invest, die Investoren vor Ort berät.

Eine weitere Erwerbsquelle könnte die Sonnenenergie sein. Die Idee: Die Griechen könnten Solarstrom produzieren und ihn dann Richtung Nordeuropa verkaufen. Darauf kamen dieser Tage Altkanzler Helmut Schmidt und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Der Teufel steckt leider im Detail, und zwar beim Stromnetz. Das ist nämlich so schwach, dass in 16 von 54 griechischen Bezirken derzeit überhaupt keine Solaranlagen angeschlossen werden können. Und es gibt bei weitem nicht genügend Kuppelstellen, um den Strom grenzüberschreitend fließen zu lassen. Auch in Griechenland selbst liegt einiges im Argen. In einem von der EU geförderten Forschungsprojekt über die Verbreitung von Solarenergie ist von einer „enttäuschenden Entwicklung“ in Griechenland in den vergangenen vier Jahren die Rede. Hauptursache: bürokratische Hemmnisse beim Aufbau von Solaranlagen. Die deutsche Solarwirtschaft glaubt deshalb erst „mittelfristig“ an einen Sonnenaufschwung in Athen.

Da ist es gut, dass zumindest der Tourismus noch läuft – und zwar besser denn je. Deutsche Urlauber scheren sich wenig um die Krise in Griechenland: „Griechenland liegt bei den Buchungszahlen zweistellig über der Entwicklung des Vorsommers“, sagte Volker Böttcher, Chef des Marktführers Tui Deutschland, der „Wirtschaftswoche“. Auch die zur Rewe-Gruppe gehörende Dertour verzeichnet ein „hohes“ zweistelliges Umsatzplus. Immerhin „gut einstellig“ ist das Buchungsplus bei Thomas Cook.

Die deutsche Reisebranche steht zu Griechenland – und hat doch auch Verbesserungsvorschläge: „Das Preis-Leistungs- Verhältnis ist immer mal wieder ein Thema“, heißt es in der Branche. Zumal im Vergleich mit den Türken. Die hätten im Übrigen in den vergangenen Jahren viel investiert in neue Hotels, Flughäfen, Straßen. Und mit der Spezialisierung auf All-Inclusive-Angebote viel Erfolg, zumal bei Familien, die dann mit einem festen Budget rechnen können. In den vergangenen Jahren pendelte die Zahl der Besucher in Griechenland zwischen 2,2 und 2,4 Millionen, während es in der Türkei inzwischen 4,5 Millionen Deutsche sind. Wenn die Griechen mal wieder Geld haben, so der Tipp aus der Tourismuswirtschaft, dann sollten sie es in Hotels investieren.

Das Meer dient den Griechen nicht nur zum Baden, es ist auch ein wichtiger Transportweg. Griechenland liegt strategisch günstig zwischen Europa, Asien und Afrika. Der Hafen von Thessaloniki etwa könnte zum Drehkreuz für das Mittelmeer werden, zwischen Balearen und Balkan, zwischen Europa und Fernost.

Das Ausland kann beim Umbau der Wirtschaft allerdings nur bedingt helfen, glaubt Michael Bräuninger, Chefvolkswirt des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Instituts. „Die Griechen müssen sich selbst fit machen – das Entscheidende sind wettbewerbsfähige Löhne und qualifizierte Arbeitskräfte.“ Dafür bräuchten sie vor allem einen langen Atem. „Es wird ein Jahrzehnt dauern, dann kann Griechenland wieder wettbewerbsfähig sein.“

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