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Wirtschaft: Schuldentourismus mit Hindernissen

Annoncen werben derzeit kräftig für die „EU-Privatinsolvenz“. Doch die Flucht vor Gläubigern ins Ausland kann böse enden

„Schuldenfrei in zwölf Monaten durch Privatinsolvenz im Ausland!“ So oder so ähnlich lauten die einschlägigen Zeitungsanzeigen. Die EU macht’s möglich – behaupten zumindest so genannte Sanierungsberater. Sie verweisen dabei auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH). Demnach ist ein Insolvenzverfahren, dem sich ein im EU-Ausland lebender deutscher Staatsbürger unterwirft, grundsätzlich auch in Deutschland anzuerkennen. Ihr auf den ersten Blick verlockendes Angebot: Während der Schuldner in Deutschland sechs Jahre lang alle Einnahmen abgeben müsse, die über der Pfändungsgrenze liegen, komme er zum Beispiel in Frankreich und in den Niederlanden bereits nach zwölf beziehungsweise 36 Monaten in den Genuss der Restschuldbefreiung. Voraussetzung sei „lediglich“ ein Wohnsitz in dem betreffenden Land. Gegen eine Gebühr werde alles Notwendige organisiert.

Doch der schöne Schein trügt. „Das Insolvenzrecht ist komplizierter als dem Leser weisgemacht wird“, warnt Frank Gallep, Justitiar der Zyklop Inkasso Deutschland AG in Krefeld. Wer sich auf den „Schuldentourismus“ einlasse, könne ein böses Erwachen erleben. In der Tat ist die Hoffnung, seine Verpflichtungen auf schnelle und bequeme Weise loszuwerden, trügerisch. Es muss eine Wohnung angemietet und der Lebensmittelpunkt in das betreffende Land verlegt werden; eine Briefkastenadresse reicht nicht aus.

„In Frankreich ist der Aufenthalt durch Benzinquittungen, Strom-, Wasser- und Telefonrechnungen und Vereinsaktivitäten nachzuweisen“, erläutert Marion Saupe, Rechtsanwältin im elsässischen Mulhouse, die Hürden des Verfahrens. Die Insolvenzrichter forderten lückenlose Nachweise. Stelle sich heraus, dass der Wohnsitz getürkt wurde, sei das gesamte Verfahren hinfällig. Die attraktiven Fristen beziehen sich darüber hinaus immer nur auf besondere Umstände. In Österreich etwa müssen 30 Prozent der Schulden zurückgezahlt werden, um nach zwei Jahren den Rest erlassen zu bekommen. In Holland – dort gibt es die Restschuldbefreiung nach drei Jahren – bestimmt der zuständige Richter die Quote nach freiem Ermessen. In Belgien verlängert sich das Verfahren auf fünf Jahre, sobald die Rückzahlungen nicht eingehalten werden. In Frankreich ist eine dauerhafte und hoffnungslose Insolvenz Voraussetzung für eine schnelle Lösung. Außerdem dürfen die Schulden nur „in gutem Glauben“, etwa durch eine geplatzte Bürgschaft , entstanden sein. „Notorische Kreditkäufer haben zum Beispiel schlechte Karten“, sagt Juristin Marion Saupe.

Weitere unerwünschte Nebenwirkungen: Nicht selten ordnen die Richter an, dass sämtliche Post des Schuldners an den Insolvenzverwalter weiterzuleiten ist. Am Ende kann die Restschuldbefreiung unter Umständen auch versagt und eine Summe festgelegt werden, die über einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren abgetragen werden muss. Ein Zurück in deutsches Recht gibt es dann nicht mehr. Umgekehrtes Risiko: Der Wohnsitz im Ausland muss mindestens ein halbes Jahr vor dem Insolvenzantrag genommen werden. „Aufmerksame Gläubiger bekommen das Ganze spitz und stellen den Insolvenzantrag in Deutschland“, weiß Zyklop-Experte Frank Gallep. „Dann waren alle Kosten und Mühen umsonst, denn nach EU-Recht ist das zuerst befasste Gericht zuständig.“

Egal, wo die Reise schließlich endet: Ganz billig ist sie nicht. Gute Ratschläge auf dem Papier gibt es zwar schon für 149 Euro. Eine Full-Service-Betreuung inklusive Wohnsitzbeschaffung und Postservice – natürlich ohne Erfolgsgarantie – kostet immerhin 10 000 Euro. „Das Gros der deutschen Privatschuldner kann eine solche Summe ohnehin nicht aufbringen“, so Frank Gallep. „Und wem das dennoch gelingt, der bietet die Summe am besten seinen Gläubigern zum Vergleich an. Denn so wird man seine Sorgen am ehesten los.“

Manfred Godek

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