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Wirtschaft: „Schwarz-Gelb will eine andere Republik“

Frank Bsirske, Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, über das rot-grüne Scheitern, Neoliberalismus und Westerwelle

Herr Bsirske, wie finden Sie Lafontaine?

Er hat in den vergangenen Jahren immer wieder den Finger in die Wunde neoliberaler Widersprüche gelegt.

So wie Sie auch. Das geplante Wahlbündnis mit Lafontaine und Gysi müsste also Ihre Sympathie finden.

Verdi ist eine eigenständige und überparteiliche Organisation. Eine der großen Stärken der Gewerkschaften liegt darin, die Interessen vieler Menschen unabhängig vom Parteibuch zu vertreten. Wir verhalten uns also parteipolitisch neutral, beziehen aber sehr wohl politisch Stellung.

Es gibt im DGB Schätzungen, wonach ein Fünftel aller Gewerkschaftsfunktionäre mit dem neuen Linksbündnis sympathisiert.

Wir haben viele Jahre unsere Vorbehalte gegen die Agenda-Politik deutlich gemacht, leider ohne Erfolg. Deshalb ist es kein Wunder, wenn Stimmen, die sich auch gegen die Agenda 2010 stellen, innerhalb der Gewerkschaften eine gewisse Beachtung finden.

Auch Unterstützung?

Wir werden unsere Themen und unsere Forderungen in den nächsten Monaten in die Diskussion einbringen. Die Wahlentscheidung muss jede und jeder für sich selbst treffen. Mit der Unterstützung einzelner Parteien oder Bündnisse hat das nichts zu tun.

Wird Ihnen nicht mulmig angesichts der Zersplitterung der Linken?

Mir macht vor allem die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt Sorgen. Es spricht wenig dafür, dass wir mit dem eingeschlagenen Kurs die nötigen Impulse für Wachstum und Beschäftigung bekommen. Und mit Schwarz-Gelb würde dieser Kurs noch forciert. Das macht mir Sorgen.

Und klingt doch überraschend abgeklärt. Sie sind seit vielen Jahren Mitglied der Grünen und gehören zur Generation der 68er, die sehr lange auf Rot-Grün hingearbeitet hat und nun das Scheitern erlebt. Ist das keine bittere Stunde?

Natürlich treiben mich fünf Millionen Arbeitslose um und natürlich beschäftigen mich Politikkonzepte, die die Gefahr einer Deflation, einer schweren Wirtschaftskrise verstärken. Wir brauchen in dieser Situation Beschäftigungsimpulse und nicht ein Hineinsparen in die Krise.

Dann ist es ja nur gut, dass es mit Rot-Grün zu Ende geht.

Darüber will ich nicht spekulieren. Aber es ist offensichtlich, dass es der SPD, anders als den bei den letzten Wahlen stabilen Grünen, nicht gelingt, ihre Wähler zu mobilisieren. Seit der Agenda 2010 wird den Sozialdemokraten ihr Profil, die Verbindung von sozialer Gerechtigkeit und Innovation, nicht mehr abgenommen. Wenn die SPD Teile ihrer Positionen nicht korrigiert, wird sie keinen Anschluss mehr finden an bedeutende Teile ihrer Stammwählerschaft, von denen viele bei neun Landtagswahlen in Folge aus Protest zu Hause geblieben sind.

Also hat das einst so viel versprechende rot-grüne Reformprojekt wegen der SPD nicht funktioniert?

Die Agendapolitik der rot-grünen Bundesregierung hat viele Menschen verunsichert und enttäuscht. Aber das Problem liegt tiefer: Seit langem erleben wir eine Meinungsführerschaft des Neoliberalismus – mit den Versprechen auf mehr Wohlstand, mehr Beschäftigung, mehr Wachstum und mehr Freiheit. Dazu müsse nur immer weiter dereguliert und privatisiert werden. Im Ergebnis gibt es durch die Umverteilung von unten nach oben eine schleichende Werteverschiebung: Weg von dem, was sich als moderner Sozialstaat herausgebildet hat, hin zum Fürsorgestaat, in dem die Bürger in eine Bittstellerrolle gegenüber dem Staat gedrängt werden.

Sie übertreiben.

Nein. Wir haben zwei Jahrzehnte neoliberaler Politik hinter uns, die auf bestimmten Dogmen fußt. Dazu gehört die Annahme perfekter Märkte und der Glaube, mit einem breiten Niedriglohnsektor und einer Steuerpolitik zu Gunsten der Reichen werde es schon einen Wachstumsschub geben. Die Erfahrungen, die wir mit dieser Politik über viele Jahre gemacht haben, widerlegen das nachdrücklich. Sie hat nicht nur nicht funktioniert, sondern die Krise verschärft. Dafür tragen Rot-Grün ebenso Verantwortung wie Schwarz-Gelb, die 16 Jahre regiert und zuletzt immer wieder eine Verschärfung der Agendapolitik gefordert haben.

Warum bestraft dann der Wähler vor allem die SPD?

Während es den Grünen gelungen ist, ihr öko-libertäres Profil zu vermitteln, hat die SPD bei Teilen ihrer Stammwählerschaft ein Glaubwürdigkeitsproblem beim Thema soziale Gerechtigkeit. Die SPD wird auf ihre Stammwähler hören müssen, wenn Rot-Grün noch eine Perspektive haben soll. Eine Politik, die die Reichen reicher und die Armen ärmer macht, hat dort auf Dauer keine Chance.

Was erwarten Sie von einer schwarz-gelben Regierung?

Zu befürchten ist eine Kampfansage an Arbeitslose und Arbeitnehmer, wie sie von Guido Westerwelle und Friedrich Merz immer wieder zu hören war. Ich kann nur warnen: Wenn der Kündigungsschutz gelockert, der Druck auf die Löhne erhöht und Tarifverträge zunehmend in Frage gestellt werden, wäre das ein Rückfall in die 50er Jahre und würde zudem die Binnennachfrage weiter schwächen. Und das ist doch unser Kernproblem: Wir sind Exportweltmeister, international also äußerst wettbewerbsfähig; gleichzeitig haben wir eine extrem schwache Binnenkaufkraft. In einer Konstellation, in der Löhne und Preise in Deutschland fallen, investieren die Unternehmen nicht genug, gehen die Steuereinnahmen zurück und lassen sich die öffentlichen Haushalte nicht konsolidieren.

Wissen das die wichtigen Leute in Union und FDP?

Da muss man Zweifel haben. Es sind da Akteure am Werk, die bislang nicht durch Seriosität aufgefallen sind. Mal Guido-Mobilist, mal Partei der Besserverdienenden, dann in den Big-Brother-Container und anschließend Auftritt als Gewerkschaftsfresser – das steht nicht für ein seriöses Programm. Zukunftssicherung für unser Land sieht anders aus.

Wie wird sich eine schwarze Republik auf die Gewerkschaften auswirken?

Schwarz-Gelb möchte die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen erschweren. Bei der FDP gehört es zum Programm, die institutionellen Grundlagen gewerkschaftlicher Arbeit beschneiden zu wollen, die Junge Union will Warnstreiks verbieten. Alles in allem ist das ein Programm für eine andere Republik. Wir wollen, dass auch in Zukunft Arbeitnehmerinteressen wirksam vertreten werden. Arbeit darf nicht arm machen, deshalb werden wir uns auch weiter für einen gesetzlichen Mindestlohn einsetzen.

Was macht Verdi in den nächsten Monaten, was macht der Verdi-Vorsitzende?

Ich habe meinen Urlaub gestrichen. Wir werden die Zeit nutzen, um unsere Positionen und Forderungen in der gesellschaftlichen Debatte deutlich zu machen. Es geht um eine Weichenstellung: Noch tiefer in die Krise oder mit Wachstumsimpulsen aus der Krise heraus.

Was für Impulse?

Wir brauchen ein öffentliches Investitionsprogramm in der Größenordnung von 40 Milliarden Euro, davon 20 Milliarden sofort und der Rest in den folgenden Jahren. Das Geld ist notwendig für Forschung und Entwicklung und für den Bildungssektor, um dort in Zukunftssicherung zu investieren. Wir brauchen ausreichend Ausbildungsplätze für Schulabgänger, ein viel intensiveres Weiterbildungsangebot und bessere Betreuungsmöglichkeiten im vorschulischen Bereich. Noch sind wir international überaus wettbewerbsfähig, aber wenn wir weiter den gesamten Bildungsbereich vernachlässigen, könnte das bald vorbei sein.

Ist es denkbar, dass Sie im Wahlkampf bei einer Lafontaine/Gysi-Veranstaltung auftreten?

Wenn die CDU mich zu einer Diskussion über die Zukunft des Landes einlädt, werde ich teilnehmen. Für alle anderen Parteien gilt das genauso.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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