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Wirtschaft: Schwarzes Glück

In Aserbaidschan wird wieder Öl gefördert. Den neuen Reichtum könnte die Korruption zunichte machen

Alfred Guliyev tritt einen Schritt zurück, um die neue Villa Nobel zu bewundern, ein herrschaftliches Wohnhaus, das renoviert wird, während die aserbaidschanische Hauptstadt Baku – eine der ältesten Ölstädte der Welt – sich für einen neuen Aufschwung rüstet. „Baku kommt wieder, und bald werden wir im Reichtum schwimmen“, sagt Hausverwalter Guliyev. Die Villa wurde 1885 gebaut, damals erfreute sich Baku seines ersten Ölreichtums. Sie erzählt die wechselvolle Geschichte Aserbaidschans. Die Villa beherbergte die Mitarbeiter der Familie Nobel, berühmt durch den Preis, der ihren Namen trägt, die in jener Zeit einen Großteil der russischen Ölindustrie kontrollierte. Unter den Sowjets, als die Stadt zu einem toten Fleck wurde, war die Villa eine Ruine. Nun, da die Aserbaidschaner Baku wieder reich machen wollen, spiegelt die drei Millionen US-Dollar teure Renovierung der Villa Nobel die Hoffnung wider, die durch das Land zieht.

Ein von dem britischen Ölkonzern British Petrol (BP) geführtes Konsortium wird bald täglich eine Million Barrel Öl im Kaspischen Meer fördern und durch eine neue Pipeline pumpen, die bei Baku beginnt, Aserbaidschan durchquert und durch Georgien und die Türkei führt, wo sie am Mittelmeerhafen Ceyhan in einer Verladestation endet. Sobald die ersten Frachter Anfang nächsten Jahres beladen werden, wird Aserbaidschan mit Geld überschwemmt werden.

„Bis 2010 könnten die Einnahmen das Zweifache des jetzigen Bruttoinlandsprodukts betragen“, sagt David Woodward von BP. Die aserbaidschanische Wirtschaft wird Schätzungen zufolge bereits in diesem Jahr um 20 Prozent wachsen.

Doch im Gegensatz zu den meisten heute entstehenden Ölmächten hat Baku das alles schon erlebt. Seine Landschaft ist übersät mit den Abfällen des vergangenen Ölrauschs. Neben verblassten Juwelen wie der Villa Nobel stehen Wälder von sowjetischen Bohrtürmen immer noch am Kaspischen Meer und rosten inmitten schwarzen Schlamms vor sich hin. Und manch einer sorgt sich, dass der bevorstehende Ölreichtum, wenn er nicht richtig verwaltet wird, wieder in einem wirtschaftlichen Niedergang enden könnte.

Aserbaidschan ist nicht das einzige Land der Region, das mit gewaltigen Öl- und Erdgasprojekten das große Los zieht. Auf der anderen Seite des Kaspischen Meers wird auch Kasachstan für jahrelange Auslandsinvestitionen, die überwiegend in die Förderung der Erdölreserven flossen, entlohnt. Doch westliche Regierungen warnen, dass ohne eine Reform der korrupten politischen Systeme sich die Ölbonanza für diese Staaten mehr als Fluch denn als Segen erweisen könnte.

„Wir haben die Chance, ein neues Norwegen zu schaffen, eine Demokratie, die auf einem Rechtsstaat basiert. Oder wir enden wie Nigeria“, sagt Eldar Namazov, ein früherer Berater des aserbaidschanischen Präsidenten, der jetzt in der Opposition ist. Aserbaidschan will zwar sicherstellen, dass das Geld nicht verschleudert wird. Doch noch ist unklar, was der Staat mit dem zu erwartenden warmen Geldregen machen wird. „Es kommt einfach darauf an, wie viel sie ausgeben und wie vernünftig sie es einsetzen werden“, sagt Basil Zavoico, Repräsentant des Internationalen Währungsfonds in Baku. „Das macht den Unterschied aus.“

Die Regierung hat die Wirtschaftsexperten bereits jetzt alarmiert, indem sie einen massiven Anstieg der Haushaltsausgaben um 70 Prozent für das kommende Jahr beschlossen hat, der eine Inflation anfachen könnte. Die Sorgen werden verstärkt durch die in Aserbaidschan herrschende Korruption. Der Kaukasusstaat wird seit mehr als einem Jahrzehnt von der gleichen Familie regiert – zunächst von Heydar Alijew, einem KGB-Boss in Sowjetzeiten, und seit 2003 von dessen Sohn Ilham Alijew.

Die Wirtschaft wird dominiert von undurchsichtigen staatlichen Monopolen, die von Verbündeten des Präsidenten geleitet werden. Auf dem Korruptionsindex der Antikorruptionsorganisation Transparency International, auf dem der letzte Rang für das korrupteste Land steht, nimmt Aserbaidschan Platz 137 von 158 ein. Jeder Anstieg der Staatsausgaben, so fürchtet man, werde nur Alijew und seinen Freunden dienen.

Große Hoffnungen auf eine bessere Kontrolle durch die Öffentlichkeit bei der Frage, wie das Geld ausgegeben wird, hatte man auf die Parlamentswahlen Anfang November gesetzt. Doch diese Hoffnungen wurden zunichte gemacht: Alijews „Neues Aserbaidschan“ (YAP) errang einen komfortablen Sieg, der westlichen Beobachtern zufolge durch Wahlrechtsverstöße zustande kam.

„Dieses Parlament wird nicht in der Lage sein, die Öleinnahmen zu kontrollieren“, sagt Ali Kerimli, ein Führer des oppositionellen Wahlblocks Azadliq’ (Freiheit), der nur eine Hand voll Sitze errang.

Seit Mitte der neunziger Jahre ist die Hoffnung nach Aserbaidschan zurückgekehrt, als ein Konsortium aus westlichen Ölmagnaten mit dem inzwischen unabhängigen Land einen Vertrag zur Ölförderung unterzeichnete, der weithin als „Jahrhundertvertrag“ galt.

Doch die Armen des Landes erwarten nicht, dass der Reichtum bei ihnen ankommt. „Ilham und seine Leute werden all das Geld einfach in ihre eigenen Taschen stecken“, sagt der arbeitslose Ali Ismailov. „Für uns wird nichts übrig bleiben.“

Texte übersetzt und gekürzt von Svenja Weidenfeld (Öl), Christian Frobenius( Iran und Russland), Matthias Petermann (US-Wachstum).

Guy Chazan

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