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Wirtschaft: Schweden-Sofas statt Kohlehalden

In Dortmund werden Industriegelände wiederbelebt – mit Zukunftsbranchen will die Revierstadt die Arbeitslosigkeit bekämpfen

Dortmund-Hörde ist nicht gerade eine Perle. Alte Industrieanlagen ragen bis an die Wohnviertel heran. Pipelines und Rohre überspannen Häuser, die sich hinter einem Dreckputzmantel verstecken. Sie verraten, womit die Einwohner lange Zeit ihr Geld verdient haben: dem Stahlkochen. 160 schmutzige Jahre währte die Tradition in der größten Stadt des Ruhrgebiets. Am 28. April 2001 war damit endgültig Schluss. An diesem verregneten Samstag erlosch auf dem Gelände der Thyssen-Krupp AG der letzte Hochofen der Stadt.

„Der Tag, an dem das letzte Mal Stahl in Dortmund gekocht wurde, war wie jeder andere auch. Es gab keine Demonstrationen vor dem Rathaus und keine schwarzen Fahnen“, erinnert sich Dortmunds Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer. Einfach so weggesteckt hat die Stadt den Niedergang der Montanindustrie jedoch bis heute nicht. 80000 Arbeitsplätze gingen verloren. Das dritte Zugpferd Dortmunds, die Brauereien, wurde gleich mit in den Abgrund gerissen. Denn: Für die durstigen Bergarbeiter und Stahlgießer fand sich kein Ersatz. Früher arbeiteten bis zu 8000 Menschen in den Dortmunder Brauereien, heute sind es gerade noch 1000.

Von den großen Revierstädten hat Dortmund mit mehr als 14 Prozent eine der höchsten Arbeitslosenquoten. Trotzdem wünscht sich Bürgermeister Langemeyer die großen Industrieanlagen, in denen Tausende von Arbeitnehmern in Lohn und Brot standen, nicht mehr zurück. „Die Menschen haben gelernt, dass man nach vorne schauen muss und ihre Kinder nur eine Zukunft in neuen Branchen haben“, sagt er. Neue Branchen, das sind Logistik, Mikrosystemtechnik und Software.

Vor allem mit der Logistik hat Dortmund gewonnen. Über 13000 Menschen arbeiten mittlerweile in mehr als 600 Unternehmen. Anfang der 90er Jahre existierte der Bereich praktisch noch nicht. Neben der guten Verkehrsanbindung profitiert die Stadt vor allem von den großen Industriegeländen vergangener Tage. Beispiel Ikea: Die schwedische Möbelkette hat ein riesiges Zentrallager für 75 Millionen Euro auf dem ehemaligen Gelände der Deutschen Kohlereserve errichtet. Früher lagerten hier zehn Millionen Tonnen Steinkohle für den Versorgungsnotfall. Heute können 171 Lkw gleichzeitig an das Lager andocken. Alles, was Kunden bei Ikea per Telefon, Fax oder Internet bestellen, wird von Dortmund aus geliefert.

Dortmund-Project schafft Stellen

Der Strukturwandel in der Revierstadt hat jede Menge solcher Industriegelände frei werden lassen. 700 bis 800 Hektar Fläche im Kerngebiet stehen in den nächsten Jahren für neue Zwecke zur Verfügung. Und die sollen zügig Investoren schmackhaft gemacht werden. Für diese Aufgabe ist seit drei Jahren das Dortmund-Project verantwortlich. Mit der in Deutschland einzigartigen Initiative wollen Stadt, Wirtschaft und Wissenschaft den Strukturwandel beschleunigen und bis 2010 rund 70000 Arbeitsplätze schaffen. „Das ist sicher ein ehrgeiziges Ziel“, sagt Gerhard Langemeyer. „Aber wir liegen voll im Plan.“ 7000 Jobs seien seit Bestehen des Projects hinzugekommen.

Dass sich in der Stadt etwas tut, merkt auch das Einwohnermeldeamt. Zuzügler haben dafür gesorgt, dass Dortmund als eine der wenigen Ruhrgebietsstädte wächst. Sogar Rivale Essen konnte überrundet werden. Noch zu Beginn des Dortmund-Projects hatte die Statistikbehörde NRW der Stadt bis zum Jahr 2015 einen Rückgang der Bevölkerung um rund 50000 Einwohner prophezeit. „Gerade junge Menschen kommen wegen eines Ausbildungsplatzes zu uns“, sagt Langemeyer. Die Universität Dortmund bildet deutschlandweit die meisten Informatiker aus.

Auch Hörde soll davon profitieren. Wo früher Stahl gekocht wurde, rauchen jetzt die Köpfe von jungen Softwareentwicklern. Sie können künftig nach Dienstschluss Segeln gehen. 2006 wird das alte Kochergelände Phoenix Ost geflutet. „Dann entsteht ein See so groß wie die Hamburger Binnenalster“, sagt Pascal Ledune vom Dortmund-Project.

Tobias Symanski[Dortm]

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