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Marijn Dekkers.

© AFP

Schweigender Holländer: Rätsel über Dekkers Strategie bei Bayer

Marijn Dekkers lässt bei der Führung von Bayer keine Strategie erkennen. Mitarbeiter sind besorgt.

Von Carla Neuhaus

Berlin - Auch wenn der gebürtige Niederländer fließend Deutsch spricht, ein paar Begriffe fehlen im Wortschatz des Marijn Dekkers noch. Den Ausdruck „Herumeiern“ hat der Vorstandsvorsitzende des Chemie- und Pharmakonzerns Bayer erst diese Woche auf der Bilanzpressekonferenz hinzugelernt. Ein Journalist hatte ihm vorgehalten, er eiere herum, weil er nicht sage, ob er langfristig an der Drei-Säulen-Strategie des Unternehmens festhalten wolle. „Herumeiern nennen Sie das?“, fragte er zurück. „Das ist ein Wort, das ich bisher noch nicht kannte.“

Seit Oktober steht Dekkers bei Bayer an der Spitze. Noch ist unklar, in welche Richtung der Konzern unter seiner Führung steuern wird. Derzeit gliedert sich das Unternehmen in die drei Geschäftssparten Gesundheit, Pflanzenschutz und Chemie. Im Raum steht die Frage, ob sich Dekkers von der Chemiesparte trennen würde, um Geld für einen Zukauf zum Beispiel aus dem Pharmabereich einzusammeln. Dekkers Antwort auf diese Frage ist vage. „Wenn wir viel Geld brauchen, ist es eine extreme Möglichkeit, einen Teilkonzern zu verkaufen“, sagte er. Einen Übernahmekandidaten, dessen Kauf finanziert werden müsste, scheint es aber noch nicht zu geben. „Wir haben keine direkte große Planung“, sagte Dekkers. „Aber wenn uns etwas zum Kauf angeboten wird, gucken wir uns das sehr gut an.“

Branchenbeobachter rätseln, was Dekkers plant. Falls er etwas plant. „Aus dem, was er bisher geäußert hat, ist keine klare Strategie erkennbar“, sagt Yüksel Karaaslan, Betriebsratschef der Berliner Pharmatochter, ehemals Schering. Die Mitarbeiter seien deshalb verunsichert. „Wenn auf einmal Spartenverkäufe im Raum stehen, führt das zu Irritationen.“

Karl-Heinz Scheunemann von der Landesbank Baden-Württemberg geht davon aus, dass Bayer zumindest mittelfristig an der Chemiesparte festhalten wird. „Im vergangenen Jahr war sie ein Ertragsbringer“, sagt er. Denn anders als Gesundheit und Pflanzenschutz konnte diese Sparte zuletzt von der guten Konjunkturlage profitieren. Bayers Kunststoffe stecken zum Beispiel in Autos oder Elektrogeräten. Für einen Verkauf der Sparte spricht hingegen, dass Dekkers für sie gerade jetzt einen guten Preis erzielen könnte.

Für jemanden wie Dekkers’ Vorgänger Werner Wenning, der im Unternehmen Karriere gemacht hat, „wäre es undenkbar gewesen, sich von der Chemiesparte zu trennen“, sagt Analyst Jens Hasselmeier von Independent Research. „Als Person von außen kann Dekkers jedoch viel leichter Maßnahmen durchsetzen, die nicht sehr populär sind.“

Dekkers ist der erste Vorstandsvorsitzende in der Geschichte von Bayer, der von außen kommt. Bevor er Wenning am 1. Oktober 2010 im Amt beerbte, war er neun Monate einfacher Vorstand – der teuerste Praktikant des Konzerns, wie vielfach gescherzt wurde. Um das Unternehmen kennenzulernen, ist er in dieser Zeit viel herumgereist und hat sich die einzelnen Niederlassungen angeschaut. „Das zeigt, dass er mit Leidenschaft an die Sache rangeht“, sagt Hasselmeier.

Bevor Dekkers zu Bayer kam, leitete der studierte Chemiker in den USA Thermo Electron, einen Hersteller von Laborgeräten. 2006 gelang ihm dort ein Coup, in dem er den größeren Rivalen Fisher Scientific übernahm. Das neu entstandene Unternehmen Thermo Fisher Scientific ist heute einer der führenden Hersteller auf diesem Markt.

Dass Dekkers unbeliebte Maßnahmen durchsetzen kann, hat er auch bei Bayer bereits bewiesen. So verkündete er bereits wenige Wochen nach seinem Amtsantritt einen Stellenabbau. Weltweit sollen 4500 Stellen wegfallen, in Deutschland sind es 1700. „Das schafft nicht gerade Popularität“, sagt Betriebsrat Karaaslan. „Die Mitarbeiter fragen sich, ob der Stellenabbau ein erster Vorbote für einen kompletten Umbau des Konzerns ist.“ Er wünsche sich, dass Dekkers sich klarer positioniert.

Im Januar hat Dekkers zudem eine neue Philosophie im Unternehmen eingeführt. Er nennt sie „Life“. Die einzelnen Buchstaben des Wortes stehen für die Werte, an denen sich die Mitarbeiter orientieren sollen: Führung (Leadership), Integrität, Flexibilität und Effizienz. Nach der Philosophie fehlt jetzt also nur noch die Strategie. Carla Neuhaus

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