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Science Match: Moleküle zum Tanzen bringen

Wie die Digitalisierung die Medizin verändert zeigten Wissenschaftler beim "Digital Science Match".

Einige Male musste Stella am Freitag doch einschreiten. Mit ihrem orangenen Kleid, in das leuchtende LED-Lichter eingenäht waren, geleitete sie die Wissenschaftler tanzend von der Bühne, wenn sie ihre Redezeit von fünf Minuten überschritten. Beim „Digital Science Match“ im ehemaligen Kino Kosmos präsentierten mehr als 30 Wissenschaftler in Kurzvorträgen ihr Forschungsprojekte, in denen sie Big Data, Künstliche Intelligenz oder Machine Learning nutzen oder weiterentwickeln. Sie demonstrierten dabei, wie sehr die Digitalisierung vor allem die Biologie und Medizin erfasst hat.

„Wir können jetzt Bilder von Molekülen machen und gucken, wie sie durch die Zellmembran tanzen“, sagt Tim Conrad von der FU Berlin. Solche Computersimulationen zeigten gleich mehrere Wissenschaftler. Helmut Grubmüller vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie demonstrierte Animationen von Viren oder dem Ribosom, der Proteinfabrik in den Zellen. Die in dieser Fabrik erzeugten Eiweiße müssen durch einen Tunnel. Hier setzen viele Antibiotika an. „Wir dachten, dass sie den Tunnel wie ein Korken blockieren“, sagt Grubmüller. Doch die Simulationen zeigten, dass sie nur die Form des Tunnels verändern und die Reaktionen, die dort stattfinden.

„Hätte er unseren Stoff genommen, könnte Prince noch leben“

Die Wirkung von Medikamenten war auch das Thema von Markus Weber. Der Wissenschaftler vom Zuse-Institut Berlin hat versucht, am Computer ein Schmerzmittel zu erzeugen, das weniger Nebenwirkungen hat. Die Idee war, einen Wirkstoff zu finden, der nur dort im Körper aktiv ist, wo eine Entzündung vorliegt, nicht in anderen Organen. „Entzündetes Gewebe ist etwas wärmer und hat einen geringeren pH-Wert“, erklärt Weber. Mit einem Supercomputer hat er dann die Reaktion von Molekülen simuliert und dabei eines gefunden, das sich nur in einem Atom vom weit verbreiteten Schmerzmittel Fentanyl unterscheidet. An einer Überdosis dieses synthetischen Opioids ist auch Popstar Prince vor einem Jahr gestorben. „Hätte er unseren Stoff genommen, könnte Prince noch leben“, sagt Weber.

Neben solchen Simulationen bietet vor allem Big Data enormes Potenzial. Doch wer mit den Datenmassen alltäglich zu tun hat, kennt auch ihr größtes Problem: Etwa 80 Prozent der Zeit müssen die Experten damit verbringen, die Daten überhaupt nutzbar zu machen. „Daten kommen leider nicht in netten Formaten“, sagte Reinhard Schneider und zeigte dazu das Bild einer Mülldeponie. Manchmal seien sie voller Rechtschreibfehler oder ein und dieselbe Krankheit wird in den Krankenakten unterschiedlich benannt. Nur etwa 50 Prozent der klinischen Daten seien verwertbar, sagte der Leiter der Bioinformatik Core Facility an der Universität Luxemburg. Der Frust der Data Scientists hat sogar zu einer Initiative geführt, dem „Clinical data interchange standards consortium“ (CDISC), das sich um Standards für die Erhebung klinischer Daten bemüht.

Bei einem Projekt hat Schneider die Datenerhebung allerdings von Anfang an selbst in der Hand: Von rund 800 der etwa 1000 Patienten in Luxemburg mit der Schüttellähmungserkrankung Parkinson werden derzeit in einer Beobachtungsstudie über vier Jahre klinische, ernährungs- und umweltrelevante Daten gesammelt. „Vom ersten Tag an die IT in Händen zu haben ist eine sehr ungewöhnliche Situation“, sagt Schneider.

Clevere Schuhe für Parkinson-Patienten

Dadurch konnte sein Team nicht nur Daten über Blutuntersuchungen oder Hirnscans der Patienten sammeln, sondern auch Apps und sogar „Smart Shoes“ entwickeln. Die „cleveren Schuhe“ zeichnen das Gehverhalten der Patienten auf, deren Laufbewegungen mit fortschreitender Erkrankung ruckartiger und unbeholfener werden. Die Schuhe können zurückmelden, wann die Stolpergefahr zu groß wird. „Solche mobilen Anwendungen helfen, kontinuierliche Daten über eine Krankheit zu bekommen, und nicht nur einzelne Datenpunkte weniger Arztbesuche“, sagt Schneider, der in Luxemburg mithilfe der Erfahrung und Infrastruktur der Banken-IT inzwischen einen biomedizinischen Datenknotenpunkt aufgebaut hat.

Nutzbar macht der Bioinformatiker die Informationen beispielsweise über eine „Parkinson’s disease map“, mit der Ärzte oder Forscher durch verschiedenste Arten von miteinander verknüpften Informationen navigieren können.

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