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Wirtschaft: Selbst der Regenwurm wird vom Fiskus überprüft

Deutsche Steuerbehörden lassen nichts durchrutschen VON ULRICH ERTNERKühle Rechner, die sich in diesen Tagen dem saisonüblichen Jahresendgeflügel kulinarisch widmen wollen, sollten um Putenfleisch einen Bogen machen.Denn die Preisgestaltung für das Federvieh könnte die Gaumenfreuden nachhaltig vermiesen.

Deutsche Steuerbehörden lassen nichts durchrutschen VON ULRICH ERTNER

Kühle Rechner, die sich in diesen Tagen dem saisonüblichen Jahresendgeflügel kulinarisch widmen wollen, sollten um Putenfleisch einen Bogen machen.Denn die Preisgestaltung für das Federvieh könnte die Gaumenfreuden nachhaltig vermiesen.Der Grund: Der Preis für den Braten kann unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob das ursprünglich im Karton verpackte Fleisch gewürzt oder ungewürzt gewesen ist.Das ist das Ergebnis der Recherchen des Finanzge richts Bremen, das sich mit dieser bedeutenden Frage in einem Urteil befaßt hat (11.Juli 1995) - in gebotener Gründlichkeit: Gutachter kamen zu dem Ergebnis, daß das Fleisch nicht überall gewürzt war.Fazit der mit hohem persönlichen Einsatz durchgeführten Untersuchung: "Weder beim Lecken an den augenscheinlich ungewürzten Stellen, noch beim Verzehr der gebratenen Stücke konnte eine ins Innere eingedrungene Würzung festgestellt werden." Damit war der Fall natürlich nicht abgeschlossen - der Steuerpflichtige reichte eine Klage ein.Daraufhin wurde der Wissenschaftliche Direktor im Institut für Technologie der Bundesanstalt für Fleischforschung zum Sachverständigen bestellt mit der Auflage, ein Gutachten entsprechend der DIN-Norm 10954 und der ISO-Norm 4120 zu erstellen.Nur soviel: Den Ergebnissen des Wissenschaftlers, daß "Pfefferpartikel von Stecknadelstich- bis Stecknadelkopfgröße mit bloßem Auge wahrnehmbar" seien und das Fleisch folglich "als gewürzt gelten" könne, hielt das Finanzamt entgegen, der Gutachter habe den Kartoninhalt fälschlicherweise nicht als "Gemisch", sondern als "Wareneinheit" behandelt.Das Gericht aber geißelte in seinem Urteil die Untersuchung der Finanzverwaltung als fehlerhaft, stellte fest, daß das Fleisch wohl doch gewürzt war, und gab dem Steuerpflichtigen Recht. Mit Tieren und ihren Erzeugnissen haben die Finanzbehörden überhaupt so ihre Probleme: Die Frage nämlich, wann eine Kuh eine Kuh ist, läßt sich steuerlich gar nicht so einfach beantworten.Eine Aufgabe für hochkarätige Experten - den Bundesfinanzhof (Urteil vom 12.September 1988): "Weibliche Zuchtrinder" (Volksmund: Kühe) gelten erst mit der Geburt eines Kalbes als "fertiggestellt".Und das ist regelmäßig erst zwei Jahre nach der eigenen Geburt des Zuchtrindes der Fall.Das aber wiederum führt dazu, daß steuerlich eine Kuh eine Kuh sein kann, wenn sie als Jungtier von Dritten gekauft worden ist, während sie keine Kuh sein kann, wenn sie zwar geboren wurde, oder, wie die Rechtsprechung es nennt, "mit deren Herstellung begonnen wurde", aber im steuerlichen Sinne noch nicht fertiggestellt ist. Die konsequente Anwendung steuerlicher Logik läßt sich auch eindrucksvoll an der Beantwortung der Frage ablesen, was passiert, wenn Milch in einem Automaten auf Kakao trifft.Die Oberfinanzdirektion Koblenz in einer Dienstanweisung (AzS7222A-St51): Tatsächlich nämlich darf die Abgabe von Kaffee, Kakao, Tee und Suppe umsatzsteuerlich nicht einfach zusammengerührt werden.Denn während die Steuersätze für Kaffee und Tee (15 Prozent) oder Suppe (7 Prozent) noch recht eindeutig sind, müssen die Automatenaufsteller bei Kakao auf den Milchanteil abstellen.Beträgt dieser mindestens 75 Prozent, kann der Unternehmer den ermäßigten Steuersatz (7 Prozent) anwenden.Ansonsten muß er 15 Prozent abführen. So verwundert es nicht, daß selbst ein Regenwurm kaum der Regelungswut deutscher Finanzbehörden zu entkommen vermag, wenn nämlich geklärt werden muß, ob der Wurm normalsteuerpflichtiges Tierfutter oder ein ermäßigt besteuertes Weichtier ist.Ein Fall für das Finanzgericht Düsseldorf (EFG 1994, 1123).Das Finanzamt nämlich unterwarf die Erlöse aus dem Verkauf der Regenwürmer dem vollen Umsatzsteuersatz von 15 Prozent.Dagegen meinte der Regenwurmverkäufer, der ermäßigte Steuersatz für Weichtiere von 7 Prozent finde Anwendung.Die Finanzverwaltung hingegen beharrte auf dem vollen Steuersatz mit der Begründung, daß nur Fische und Krebstiere, Weichtiere und andere wirbellose Wassertiere, ausgenommen Zierfische, Langusten, Hummer, Austern und Schnecken, dem ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent unterlägen.Geschickt brachten die Finanzbeamten die Tarifnummer 0307 ins Spiel.Jene umfaßt zunächst Weichtiere - auch ohne Schale -, lebend, frisch, gekühlt, gefroren, getrocknet, gesalzen oder in der Salzlake.Überdies seien in den zugehörigen Untergruppierungen Regenwürmer nicht erwähnt, so daß die Zuordnung zu der Tarifnummer 0307 nur dann vorzunehmen wäre, wenn es sich bei den Regenwürmern um "Weichtiere im Sinne dieser Tarifnummer" handeln würde. Auf daß sich der Regenwurm nicht aus dem höheren Steuersatz herauswinde, schoben die Finanzrichter nach: Maßgeblich sei die zoologische Einordnung und diese ergebe, daß Regenwürmer nicht zu den Weichtieren gehörten.O-Ton: "Die vertriebenen Regenwurmarten Lumbricus terrestris (Gemeiner Regenwurm), Lumbricus rubellus und Lumbricus castaneus gehören zur Familie der Lumbricidae, der einheimischen Regenwürmer.Dem gegenüber bilden die Mollusca (Weichtiere) einen eigenständigen Stamm." Ergo: Der Regenwurm wird mit 15 Prozent besteuert.Der Kläger hat Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt. Prof.Dr.Ulrich Ertner, ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in Berlin.

ULRICH ERTNER

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