zum Hauptinhalt
Störfaktor. „Wenn sich keiner gestört fühlt, hätte ich noch zu wenig verändert“, sagt Yzer über Reformen in ihrer Verwaltung.

© Doris Spiekermann-Klaas

Senatorin Cornelia Yzer: „Berlin hat sich 20 Jahre lang ausgeruht“

Cornelia Yzer, Berlins Senatorin für Wirtschaft, Technologie und Forschung, über Fördergeld für Zalando, lahme Verwaltungen und persönliche Entscheidungen.

Als Cornelia Yzer um kurz nach halb zehn Uhr morgens durch die Pforte des Tagesspiegel-Verlagshauses am Anhalter Bahnhof kommt, hat sie schon zwei Termine hinter sich. Der erste begann um 7.30 Uhr. „Frühstückstreffen werden immer beliebter in Berlin, stelle ich fest“, sagt sie – und nimmt noch einen Kaffee. Den fünften an dem Tag. Yzer bringt viel Zeit mit, da es diesmal nicht nur um den Standort Berlin gehen soll – sondern auch um sie selbst.

Cornelia Yzer, geboren 1961 in Lüdenscheid (NRW), war bis 1998 Bundestagsabgeordnete und Mitglied im CDU-Bundesvorstand. Dann konzentrierte sie sich auf ihre Funktion als Hauptgeschäftsführerin des Pharma-Verbandes VFA. Im September 2012 löste sie Sybille von Obernitz als Senatorin ab.

Frau Yzer, Berlins Wirtschaft wächst schneller als im Bundesdurchschnitt die Zahl der Erwerbstätigen steigt. Wie groß ist Ihr persönlicher Anteil daran?

Um es gleich klarzustellen: Es sind ja die Unternehmen, die investieren. Das schlägt sich in überdurchschnittlich hohem Wirtschaftswachstum nieder – 2,2 Prozent in 2014 und im laufenden Jahr rechnen wir mit einem genauso starken Plus. Aber was ich in Anspruch nehmen würde, ist, dass wir die Rahmenbedingungen, die ihnen die Entscheidungen für Investitionen am Standort Berlin leicht machen, setzen. Und hier haben wir in den vergangenen drei Jahren grundlegende Veränderungen vorgenommen.

Zum Beispiel?

Wir machen effektiveren Gebrauch von den Wirtschaftsförderinstrumenten, etwa den GRW-Mitteln als das Förderinstrument schlechthin – auch gerade für Investitionen der Industrie. Da hat Berlin über Jahre hinweg die zur Verfügung stehenden Bundesmittel nicht ausgeschöpft. Das haben wir letztes Jahr mit 58 Millionen Euro geschafft. Und nicht nur das: Wir haben uns auch an der Resterampe anderer Bundesländer bedient und noch einmal rund vier Millionen Euro nach Berlin geholt.

Mit „wir“ meinen Sie wohl sich selbst und Ihre Mitarbeiter. Aber was davon wollen Sie für sich persönlich verbuchen?

Dass die Verwaltung heute sehr dienstleistungsorientiert handelt, ist sicherlich auch damit in Zusammenhang zu bringen, dass ich die Verwaltung grundlegend reorganisiert habe.

In Ihrer ersten Zeit waren Sie viel mit Personalfragen und der Struktur der Wirtschaftsverwaltung und Förderorganisationen beschäftigt. Ist das jetzt alles geklärt?

Es ist eine Daueraufgabe, Strukturen anzupassen. Status quo zu bewahren bedeutet Rückschritt. Man muss immer nachsteuern. Aber große Reorganisationsaufgaben sind zu Beginn einer Amtszeit zu erledigen. Das habe ich gemacht.

Welche Aufgaben genau?

Wir haben zum Beispiel den sogenannten einheitlichen Ansprechpartner in der Verwaltung neu aufgestellt und die Abteilung zum persönlichen Kundenbetreuer für alle Unternehmen ausgerichtet. Ich habe eingeführt, dass die Mitarbeiter effizient alle Investoren und Bestandsunternehmen in Berlin durch den administrativen Dschungel lotsen. Früher hatten wir 80 Anfragen auf Begleitung im Jahr, inzwischen sind es 1000 – im Monat! Wichtig war auch die Zusammenführung von Wirtschafts- und Technologieförderung unter dem Dach von Berlin Partner. Eine Fusion, über die zuvor acht Jahre lang diskutiert worden war. Oder die Neujustierung und bürokratische Entschlackung der EU-Förderprogramme sowie die Beschleunigung der Abläufe bei der Investitionsbank IBB.

Wer verändert, stört auch.

Das ist nicht schlimm. Im Gegenteil: Wenn sich keiner gestört fühlt, hätte ich noch zu wenig verändert ...

Der ehemalige Messe-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Kamp oder IBB-Vorstandsvorsitzende Ulrich Kissing, den Sie entlassen haben, wissen, was Sie meinen. Wer berät Sie bei derartigen Entscheidungen?

Ich habe Expertise im Haus, mache vieles in Abstimmung mit meinen beiden Staatssekretären. Und man bindet andere Akteure ein. Im Falle der IBB gab es keinen Spielraum, da musste gehandelt werden, da es um einen auch strafrechtlich relevanten Sachverhalt ging.

Deshalb musste Kissing quasi über Nacht gehen?

Es ist kein Nachteil in meinem Amt, wenn man selbst in der Wirtschaft vergleichbare Positionen wahrgenommen hat, dann weiß man relativ gut, wie man handeln muss. Und ich stimme mich im Verwaltungsrat vollumfänglich mit den Mitgliedern ab. Politik bedeutet Netzwerkarbeit, keine Frage, aber am Ende muss man als Verantwortliche selbst die Entscheidungen treffen.

Entscheiden Sie eher spontan oder überlegen Sie lange?

Ich bin weniger ein Bauch-Mensch als ein Zahlen-Daten-Fakten-Mensch. Und Entscheidungen werden nicht besser, je länger man wartet.

"Man schob noch Aktenwagen durch die Gegend"

Störfaktor. „Wenn sich keiner gestört fühlt, hätte ich noch zu wenig verändert“, sagt Yzer über Reformen in ihrer Verwaltung.
Störfaktor. „Wenn sich keiner gestört fühlt, hätte ich noch zu wenig verändert“, sagt Yzer über Reformen in ihrer Verwaltung.

© Doris Spiekermann-Klaas

Als Sie vor zweieinhalb Jahren als Quereinsteigerin in den Senat eingetreten sind: Was hat Sie da am meisten überrascht?

Mein erster Schock, als ich erstmals nach 20 Jahren wieder in eine Verwaltung kam, war, dass da immer noch die Aktenwagen geschoben werden. Digitalisierung hat nur sehr beschränkt stattgefunden, wie man in diesen Tagen bei den Problemen mit Windows XP in der Verwaltung wieder erleben kann.

Dem Betriebssystem, für das es keine Updates mehr gibt …

Genau, aber in meinem Haus haben wir rechtzeitig umgerüstet gegen erhebliche Widerstände. Weil ich gesagt habe: Das kommt gar nicht infrage. Wir brauchen ein modernes Betriebssystem.

Und nun werden bei Ihnen keine Aktenwagen mehr geschoben?

Doch. Viele Akten bearbeiten wir elektronisch und händisch parallel. Das ist zwar besonders ineffizient, dafür werden wir aber besser den berechtigten Erwartungen Externer gerecht. Dank meiner 320 engagierten Mitarbeiter merken viele Antragsteller nicht, dass wir immer noch in einer Verwaltungswelt leben, die ganz anders arbeitet als die Außenwelt der Wirtschaft. In Berliner Verwaltungen wandert eine Akte vom Eingangstempel bis zur abschließenden Bearbeitung gerne vier Wochen durch ein Haus. Dabei erwartet man in der heutigen Zeit innerhalb von 48 Stunden eine Antwort auf eine E-Mail.

Wie hat sich das Klima im Senat mit dem Wechsel von Wowereit zu Müller verändert?

Die Sitzungen sind jedenfalls nicht kürzer geworden. Was auch daran liegt, dass öfter mal spontan Themen besprochen werden, was vorher selten der Fall war. Das finde ich gut. Ansonsten, machen wir uns nichts vor: Jeder neue Senator oder Regierende Bürgermeister braucht eine Eingewöhnungsphase.

Gibt es heute mehr oder weniger parteipolitisches Gerangel?

Mit der Senatsklausur direkt nach dem Wechsel haben CDU und SPD zum Glück den Konsens gefunden, dass eine neue Arbeitsphase beginnt und nicht schon wieder der Wahlkampf, was ein Desaster für Berlin gewesen wäre. Im letzten Halbjahr der Amtszeit Wowereit wurden viele Initiativen auf Eis gelegt. Das hat auch Projekte meines Hauses getroffen. Inzwischen sind wir aber wieder in der Umsetzung. Die neuen Regeln zum Vergaberecht, das Aktionsprogramm Handwerk oder die Bundesratsinitiative für Venture-Capital-Firmen etwa.

Wie geht es damit weiter?

Wir haben die Initiative diese Woche im Senat beschließen können und hoffen, dass wir sie im Mai in den Bundesrat einbringen. Viele der Bedingungen, die die für Berlin so wichtige Gründerszene braucht, müssen auf Bundesebene geregelt werden – was aber nicht heißt, dass wir im Land Berlin die Hände in den Schoss legen dürfen. Im Gegenteil: Wir müssen als Land über den Bundesrat unsere wirtschaftspolitischen Interessen auch im Bund durchsetzen.

Wieder tun Sie etwas für die digitale Gründerszene. Schön und gut. Und was ist mit neuen harten Industriejobs?

In Berlin entstehen aktuell rund 40 000 neue Arbeitsplätze, zahlreiche davon auch in der Industrie und bei industrierelevanten Dienstleistungen. Aber wir müssen auch realistisch sein. Berlin hat sich 20 Jahre auf der Annahme ausgeruht, jetzt sind wir Hauptstadt, jetzt kommen die Konzernzentralen. Das war immer eine Illusion. Auch verlegt kein Unternehmen ohne Not seine Produktionsstätten, das ist ja teuer. Und vergessen wir nicht: Siemens investiert regelmäßig in seinen größten Standort der Welt, und auch Konkurrent GE baut kräftig auf, BMW investiert 100 Millionen Euro.

Aber auf Neuansiedlungen aus dieser Liga müssen wir nicht mehr warten?

Die Chance, Industrie weiter aufzubauen, besteht darin, technologische Trends aktiv aufzugreifen. Wenn dann Unternehmen irgendwo in der Welt neue Einheiten aufbauen wollen, müssen wir unseren Standort mit seinen ausgewiesenen technologischen Stärken ins Spiel bringen. Im Übrigen fließen vier von fünf Euro Fördergeld, mit denen wir Ansiedlungen und Expansionen generieren, in die Industrie.

Ein Jobwunder bleibt aber aus.

Da müssen wir uns Industrie auch in der Tat heute anders vorstellen. Es gibt Investitionen im hohen zweistelligen Millionenbereich, die nur mit wenigen neuen Arbeitsplätzen verbunden sind. Die industrielle Wertschöpfungskette, die wir mit Industrie 4.0 in Deutschland schaffen wollen, wird leider nicht sehr personalintensiv sein. Dennoch müssen wir hier aktiv werden und weltweite Standards setzen, um Produktion in Deutschland zu halten, die ansonsten in Niedrigkostenländer abwandern würde. Zudem macht es keinen Sinn, um Sektoren zu buhlen, die andernorts schon sehr stark aufgestellt sind. Berlins Chancen liegen in den Innovationsfeldern.

Auf welchem Zukunftsfeld sehen Sie Berlin sehr gut aufgestellt?

Gesundheitswirtschaft, Energie- und Elektrotechnik, urbane Technologien und Digitalwirtschaft sind die Assets. Wichtig ist, New Economy und etablierte Unternehmen zusammenzuführen. Die Computerspieleindustrie mit ihren selbsterklärenden Lösungen ist ein gutes Beispiel. Wir führen sie zusammen mit renommierten Firmen und unserem starken Fraunhofer IPK (Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik, Anm.), das international sehr renommiert ist bei der Optimierung von Produktionsprozessen. Sie sollen ausloten, ob sich Berlin auf dem für Industrie 4.0 wichtigen Feld des Industrial Gaming profilieren und so Investments anziehen kann. Ein weiteres Beispiel: Wir engagieren uns bei der Konsortienbildung von Großunternehmen, Mittelstand und Forschungseinrichtungen, damit diese gemeinsam europäische Mittel für Smart City Projekte gewinnen können.

"Uni-IT-Absolventen müssen noch konkreter für die Bedürfnisse der Wirtschaft ausgebildet werden"

Störfaktor. „Wenn sich keiner gestört fühlt, hätte ich noch zu wenig verändert“, sagt Yzer über Reformen in ihrer Verwaltung.
Störfaktor. „Wenn sich keiner gestört fühlt, hätte ich noch zu wenig verändert“, sagt Yzer über Reformen in ihrer Verwaltung.

© Doris Spiekermann-Klaas

Unser Herausgeber Sebastian Turner hat angeregt, dass in Berlin 100 neue IT-Professuren geschaffen werden. Was halten Sie davon?

Das finde ich gut und richtig – auch die Zahl 100 als Anspruch zu stellen, weil man sonst gar nichts erreicht. Dieses ständige Kleinklein wird einen Standort wie Berlin nicht weiterbringen. Allerdings werden die 100 nicht auf einen Schlag kommen können, sondern müssen sukzessive eingerichtet werden.

Wie wollen Sie konkret vorangehen?

Ich habe Unternehmen aus der Digitalwirtschaft und Hochschulvertreter eingeladen, um gemeinsam mit ihnen die Idee zu erden. Ich sehe ja, weil ich viel in der Digitalwirtschaft unterwegs bin, dass sich da ein Fachkräftemangel abzeichnet. Noch ist die Lage gut, weil wir Talente aus aller Welt anziehen können. Aber wenn wir wollen, dass die Unternehmen weiterwachsen, müssen wir konkret etwas tun.

Was meinen Sie mit „erden“?

Die Universitäten und Fachhochschulen bringen eine Menge Absolventen hervor. Aber es muss noch konkreter an den Bedürfnissen der IT-Wirtschaft orientiert ausgebildet werden, wenn wir führender Digitalstandort bleiben wollen. Auch für die richtigen Profile und Forschungsfelder brauchen wir den Input der Wirtschaft. Wenn die Industrie formulieren kann, wo sie den größten Bedarf sieht, wird sich auch zeigen, welche Professuren von Privaten bezahlt werden könnten und wo die öffentliche Hand aktiv werden muss.

Sie geben Geld aus, um die Wirtschaft anzuschieben. Umstritten war die Förderung für den Modehändler Zalando. Braucht ein so großes Unternehmen noch Geld vom Steuerzahler?

Diese Frage ist so typisch für Berlin. Warum kann man nicht mal stolz darauf sein, dass hier ein Unternehmen gegründet wurde und binnen weniger Jahre 3000 zumeist hoch qualifizierte Mitarbeiter allein in Berlin eingestellt hat? Das nicht nur führendes E-Commerce-Unternehmen ist, sondern auch eines der führenden Technologieunternehmen. Wenn wir zu Recht Investitionen von Dax-30-Unternehmen am Standort unterstützen, dann wird man doch wohl auch noch Zalando unterstützen dürfen. Wir müssen endlich dazu kommen, den Unternehmen, die stark sind, die Arbeitsplätze schaffen und halten, Rückendeckung zu geben.

Das war jetzt leidenschaftlich.

Was spricht gegen Leidenschaft? Sie haben vorhin gefragt, was mich zu Beginn meiner Arbeit in Berlin am meisten irritiert hat. In jedem Fall auch, dass es hier nicht das Bekenntnis der breiten Öffentlichkeit zu den Firmen der Stadt gibt.

Wie erklären Sie sich das?

Vielleicht liegt es daran, dass sich in der geteilten Stadt kein gemeinsamer Kristallisationspunkt hat entwickeln können. Hier gibt es nur wenige Unternehmen, die viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte den Standort geprägt haben. Und nach der Wiedervereinigung sind viele Unternehmen in die Abbauphase gegangen. Das hat auch nicht zur Identifizierung mit dem Standort beigetragen. Aber diese Stadt bewegt sich ständig, da kann noch viel passieren. Auch in den Köpfen.

Zur Startseite