zum Hauptinhalt
Überfordert: In komplexen Situationen verlieren Ältere schneller den Überblick.

© picture alliance / dpa

Senioren am Steuer: Die Gefahr fährt mit

Eine neue Allianz-Studie zeigt: 75-Jährige bauen deutlich mehr Unfälle als jüngere Senioren. Bessere Autos sollen ihnen helfen.

„Es tut mir leid“, sagte der 100-Jährige. Wenige Minuten zuvor war der Mann in eine Gruppe von Schülern und Eltern gefahren und hatte dabei elf Menschen verletzt. „Die Bremsen haben versagt“, entschuldigte sich der greise Fahrer hinterher. Doch Beobachter vermuten, dass nicht die Technik schuld war, sondern der Mensch: Der Mann soll Gas- und Bremspedal verwechselt haben.

Was vor knapp zwei Wochen in Los Angeles passiert ist, ist inzwischen auch in Deutschland Alltag. Vergangene Woche kam eine 80-Jährige in Wuppertal von der Straße ab und fuhr einige Meter auf dem Bürgersteig weiter. Zwölf Verletzte ließ sie zurück, darunter drei Kinder. In Berlin nahm eine 78-jährige Autofahrerin einer Radlerin die Vorfahrt. Die Frau erlitt Kopfverletzungen und musste ins Krankenhaus.

Ist das Zufall, oder bauen ältere Menschen heute häufiger Unfälle als früher? Eine neue Studie der Allianz bestätigt diese Vermutung. Ab dem 75. Lebensjahr nimmt die Unfallhäufigkeit überproportional zu, hat das Allianz Zentrum für Technik (AZT) herausgefunden. „Die Gruppe der über 75-Jährigen hat im Vergleich zu den jüngeren Senioren ein um 45 Prozent höheres Risiko, einen Unfall zu verursachen“, berichtete Christoph Lauterwasser, Geschäftsführer des AZT, am Montag. Die Fahrfehler häufen sich, vor allem in komplexen Situationen verlieren ältere Menschen schneller den Überblick. „Senioren haben einen höheren Zeitbedarf als Jüngere“, sagte Lauterwasser dem Tagesspiegel. Typische Fehler: Ältere nehmen anderen die Vorfahrt, verursachen Unfälle beim Abbiegen oder rammen andere Autos beim Einparken. Auffällig ist das bei der Generation 75plus. Bei Senioren im Alter von 65 bis 74 Jahren hat die Allianz keine erhöhte Unfallhäufigkeit feststellen können.

Allerdings nimmt die Zahl der Älteren zu: 9,5 Prozent der Deutschen sind heute über 75, das sind 7,8 Millionen Menschen, Tendenz steigend: „Allein bis zum Jahr 2030 werden in Deutschland rund 13,5 Prozent der Menschen über 75 Jahre alt sein“, schätzt Brigitte Miksa, Demografie-Expertin der Allianz. Im Jahr 2050 wird sogar jeder fünfte Deutsche seinen 75. Geburtstag gefeiert haben. Wird es dann lebensgefährlich sein, sich auf Deutschlands Straßen zu bewegen?

Nein, sagen Verkehrsforscher. Denn die gefährlichsten Autofahrer sind nicht die älteren Senioren, sondern die jüngeren Verkehrsteilnehmer. Gemessen an den von ihnen zurückgelegten Kilometern bauen die 21- bis 24-Jährigen statistisch gesehen doppelt so viele Unfälle wie die Generation 75plus, gibt Lauterwasser zu bedenken. Denn: Während sich gerade die Jungen oft überschätzen, sind die ältesten Autofahrer eher vorsichtig. Viele lassen ihr Auto schon jetzt freiwillig nachts oder bei Regen stehen und fahren lieber einen Umweg, als sich dem Chaos auf großen Straßen und Kreuzungen auszusetzen.

Von Zwangsmaßnahmen wie sie in anderen EU-Ländern üblich sind, hält man daher in Deutschland nicht viel. Dabei gilt nur in Deutschland, Belgien, Österreich und Frankreich der Führerschein ohne jegliche zeitliche Befristung, in allen anderen Staaten müssen ältere Autofahrer in Eignungsprüfungen zeigen, ob sie noch gut genug sehen, hören oder schalten können, um sich hinters Steuer zu setzen. Was getestet wird und in welchem Alter man zur Prüfung muss, ist dabei von Land zu Land unterschiedlich.

Nicht nur der ADAC ist gegen solche Pflichtuntersuchungen, auch die Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie rät ab. Diese Tests würden erfahrungsgemäß nichts bringen, meint Präsident Wolfgang Schubert. Beispiel Kalifornien: Hier sind solche Kontrollen ab dem 70. Lebensjahr vorgeschrieben, der 100-Jährige hatte die Prüfung bestanden. „Freiwillige Checks sind besser“, sagte Schubert, immerhin sei doch jeder Mensch anders. Der Verkehrsclub Deutschland befürchtet eine „Diskriminierung“ der Älteren. Zudem würden sie rücksichtsvoller fahren, heißt es dort. Auch AZT-Chef Lauterwasser ist gegen Zwangstests. Er setzt eher auf Assistenz-Systeme in den Autos, die den Fahrer auf Tempolimits hinweisen, vor Gefahren warnen und notfalls selber bremsen, wenn der nicht reagiert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false