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Die Deutsche Bahn will bis Ende des Jahres über 20.000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen, darunter allein rund 1.600 neue Lokführer.

© Silas Stein/dpa

Servicemängel und Verspätungen: Personalnotstand bei der Bahn

Lokführer, Zugbegleiter, IT-Spezialisten: Der Konzern stellt in diesem Jahr mehr als 20.000 Mitarbeiter ein – aber auch das reicht nicht.

Zu einem Casting der besonderen Art lud die Deutsche Bahn (DB) am Donnerstag nach Frankfurt am Main. In zwei S-Bahn-Zügen, die am Hauptbahnhof geparkt waren, konnten sich junge Leute Virtual-Reality-Brillen aufsetzen, um „hautnah“ Berufsbilder der Bahn zu erleben. Ob Lokführer, Fahrdienstleiter, Gleisbauer oder Koch – der digitale Ausflug hatte ein Ziel: Die Interessierten sollten sich am besten direkt im Zug als Auszubildende bewerben.

Obwohl die Deutsche Bahn jedes Jahr 250000 Bewerbungen erhält und in diesem Jahr laut Personalchef Martin Seiler mehr als 20000 neue Mitarbeiter einstellen wird, reicht es nicht. Der Konzern sucht dringend Personal und hat eine „Rekrutierungsoffensive“ gestartet. Vor allem in den „betrieblichen Engpassberufen“, die Bahn-Chef Richard Lutz in seinem Brandbrief Anfang September erwähnt hatte, fehlen dem Konzern Leute: Lokführer, Zugbegleiter, Stellwerker, IT-Spezialisten, Instandhalter. Allein 1600 Lokführer will die Bahn dieses Jahr einstellen. Viele Probleme – Verspätungen, Serviceausfälle, Technikpannen – ließen sich leichter lösen, wenn das entsprechende Personal vorhanden wäre. Doch der deutsche Arbeitsmarkt ist leer gefegt. Zugleich ist die Altersfluktuation bei der Bahn besonders hoch. Bis 2030 wird etwa die Hälfte aller heute Beschäftigten – in Deutschland sind es 205000 – den Konzern verlassen haben. 2018 gewönne die Bahn unter dem Strich, nach Neueinstellungen und Abzug der Abgänge, 7000 neue Mitarbeiter.

Vorstand will Aufsichtsrat umfangreiches Konzept vorlegen

Ende der kommenden Woche wird der Personalnotstand auch den Aufsichtsrat beschäftigen. Am Donnerstag und Freitag treffen sich die 20 Aufseher, um über die Strategie des Schienenkonzerns und die Langfristplanung des Vorstands zu beraten. Dieser will dem Vernehmen nach ein 200 Seiten umfassendes Konzept mit 50 Einzelmaßnahmen vorlegen. Im Unternehmen werden Weichenstellungen erwartet – womöglich auch personelle.

Bis dahin soll auch die laufende Tarifrunde mit den Bahngewerkschaften EVG und GDL Fortschritte gemacht haben. Vor Weihnachten will man ein Ergebnis haben. Am Donnerstag und an diesem Freitag erwartet die EVG ein Angebot der Bahn, am Montag und Dienstag wird mit der Lokführergewerkschaft GDL verhandelt. Betroffen sind zusammen etwa 160000 Beschäftigte. Beide Gewerkschaften fordern 7,5 Prozent mehr Geld, verteilt auf 24 Monate, und haben lange Forderungslisten präsentiert. Streiks wollen beide Seiten möglichst vermeiden.

„Die ersten Runden waren frustrierend, wir müssen jetzt Fortschritte machen“, sagte ein EVG-Sprecher am Donnerstag. „Wir werden sicherlich auch im Laufe dieser Verhandlungsrunde ein Gesamtangebot vorlegen“, kündigte Bahn-Vorstand Seiler an. Vor allem eine Fortschreibung des in der letzten Tarifrunde vereinbarten Wahlmodells liegt der EVG am Herzen. „Gutes Personal findet man nur, wenn die Arbeitsbedingungen stimmen“, heißt es bei der Gewerkschaft. 130000 Beschäftigte konnten in diesem Jahr entscheiden, ob sie mehr Geld (2,62 Prozent) oder mehr Freizeit (sechs zusätzliche Urlaubstage oder eine auf 38 Wochenstunden reduzierte Arbeitszeit) haben wollen. 56 Prozent entschieden sich für mehr Urlaub. Das bedeutet für die Bahn: Sie braucht noch mehr Personal. 1500 zusätzliche Einstellungen waren nach ihren Angaben notwendig, um das Wahlmodell aufzufangen.

EU will Bahnreisende besser entschädigen

„Qualifiziertes Personal wächst nicht auf den Bäumen“, sagte eine GDL-Sprecherin am Donnerstag. Kaum jemand wolle in den Schichtdienst wechseln, wenn die Pausenzeiten zu kurz und die Einsätze zu wenig planbar seien. „Und wenn alle mehr Freizeit wollen, bleiben die Züge stehen.“ Kein Weg führe an besseren Rahmenbedingungen und mehr Personal vorbei, gibt die GDL zu bedenken.

Bahnreisende klagen derweil weiter über unpünktliche Züge. Im Oktober verspäteten sich nur rund 72 Prozent der Fernverkehrszüge um weniger als sechs Minuten. Nach dem Willen des EU-Parlaments sollen betroffene Reisende künftig deutlich höhere Entschädigungen für Verspätungen bekommen. Die Europaabgeordneten stimmten am Donnerstag in Straßburg für entsprechende Vorschläge. Ein Kompromiss mit dem Rat der Mitgliedstaaten steht noch aus. Demnach sollen Bahnunternehmen bei Verspätungen von mehr als einer Stunde die Hälfte des Ticketpreises zurückerstatten. Drei Viertel würden bei mehr als eineinhalb Stunden und der komplette Ticketpreis bei mehr als zwei Stunden fällig. Bislang haben Bahnreisende in Deutschland maximal Anspruch auf die Hälfte des Ticketpreises. mit dpa

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