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Wirtschaft: Shoppen für das Alter Ego im Internet

In Asien boomt der Avatare-Markt: Die digitalen Geschöpfe bekommen Nike-Schuhe, Levis-Jeans – und manchmal sogar neue Nasen

Park Min Kyung geht in jeder Mittagspause einkaufen. Am liebsten probiert sie lange Kleider und Ohrringe an. Die 22-Jährige hat sich sogar schon eine kleine Schönheitsoperation geleistet: Vor kurzem hat sie mit einem Paar neuer Augenlider und einer aristokratischen Nase mal eben schnell was für ihr Image getan. Der Preis dieser Eitelkeit? Weniger als zehn US-Dollar, etwa acht Euro – aber im Monat.

Park, die als Büroangestellte bei einer Elektronikfirma arbeitet, kauft nicht für sich selbst ein: Wie viele Koreaner gibt sie mit großer Begeisterung viel Geld für ihr virtuelles Ebenbild aus. Etwa 3,6 Millionen Koreaner kaufen regelmäßig Accessoires für ihre so genannten Avatare: Das sind kleine Trickfiguren, die in der Welt der Onlinemitteilungen und Computerspiele als digitale Stellvertreter der Chatter und Spieler auftreten.

Diese farbenfrohen Avatare sind in Asien ein beliebtes Mittel zur Selbstdarstellung, allerdings auch zur Realitätsflucht. Büromenschen, die sich nach der Piste sehnen, lassen ihr virtuelles Ich in atemberaubendem Tempo digitale Berge heruntersausen. Zierliche Jugendliche, die sich nach Härte und Männlichkeit sehen, kaufen Bartstoppeln und einen finsteren Blick für ihr Computer-Ich. Andere zieht es in einen virtuellen Schönheitssalon, wo man für weniger als einen Euro etwas Bräune, blaue Augen oder eine Dauerwelle bekommen kann.

Das scheint wenig Geld zu sein. Doch der Markt für Avatare und deren Ausstattung sind in Südkorea ein großes Geschäft geworden. Kang Hee Joo, Internet-Analystin bei Samsung Securities, schätzt, dass der Markt mit den virtuellen Wesen von 20 Milliarden Won im Jahr 2001 in nur zwei Jahren auf 200 Milliarden Won gewachsen ist. Das sind etwa 140 Millionen Euro. In diesem Jahr werde er wohl auf 300 Milliarden Won (etwa 210 Millionen Euro) wachsen.

Dominiert wird der Markt von dem koreanischen Internetprovider Neowiz, aber auch Microsoft ist präsent. Kein Wunder, dass die Firmen versuchen, das südkoreanische Geschäftsmodell in andere Länder und auf andere Kontinente zu bringen. Es gibt zwar Zweifel, ob sich die Avatare außerhalb Asiens ebenso gut verkaufen lassen, aber der Erfolg in Südkorea macht Hoffnung.

Ein Zweifler ist Napoleon Biggs, Verkaufs- und Marketingdirektor bei Web Guru Asia, einer Internetdesign- und Entwicklungsgesellschaft mit Sitz in Hongkong. In Südkorea spielten Umstände eine Rolle, die es anderswo nicht gäbe: Korea habe eine Kultur, in der die Möglichkeit zur Selbstdarstellung außerhalb des Internets begrenzt sei. Außerdem seien die Koreaner eine der Nationen, die am liebsten und am selbstverständlichsten im Internet unterwegs ist, dort einkauft und dort spielt. Zudem trete die Regierung für eine zügige Einführung von Breitbanddiensten ein. „Das alles macht das koreanische Modell einmalig", sagt Biggs.

Andere sehen dagegen auch außerhalb Südkoreas die Möglichkeit für ein gutes Geschäft ohne großen technischen Aufwand, parallel zum Geschäft mit SMS. Die Hoffnungen ruhen insbesondere auf China. SMS sind eine günstige und einfache Methode, kleine Textnachrichten über Handy zu übermitteln – und das läuft in China prima: Dort werden inzwischen immerhin ein Drittel aller SMS-Nachrichten der Welt verschickt.

Microsoft verkaufte bisher Avatare und Accessoires an mehr als eine Million koreanischer Nutzer des MSN Instant Messaging Service. Jetzt soll das Konzept in Taiwan ausprobiert werden. Auch Yahoo ist dort bereits seit dem vergangenen Jahr aktiv. Neowiz bietet diese Dienste in Japan seit ein paar Monaten an. Die Verbreitung ist aber nicht auf Ostasien begrenzt. Avataredienste des südkoreanischen Internetproviders Quarterview können auch in Indien gekauft werden, und der kalifornische Anbieter There versucht sich in den USA an dem Geschäft.

Mangel leiden müssen die Avatare jedenfalls nirgends: Nutzer des Services von There können ihren Avataren zum Beispiel Levis-Jeans und Nike-Turnschuhe anziehen. Kleines Bonbon: Avatare, die Turnschuhe von Nike tragen, bewegen sich in Computerspielen schneller als andere. Andere Internetprovider haben ebenfalls Verträge mit Markenartiklern abgeschlossen, damit die Avatare angemessen eingekleidet werden können.

Neben einer Umsatzbeteiligung an den Verkäufen ihrer virtuellen Güter eröffnen sich diesen Unternehmen neue Werbemöglichkeiten – und die Chance, Marktforschung zu betreiben. Das Kalkül: Die Sachen, die für die Avatare gerne gekauft werden, lassen sich wahrscheinlich auch im wirklichen Leben gut verkaufen. Auch für die Anbieter von Avatarediensten hat die Marktforschung große Bedeutung: Marktbeobachter ziehen durch die Läden, um den letzten Schrei bei Kleidern und Accessoires zu finden. Park Rae Gyu von Wisepost, dem örtlichen Partner von MSN Korea in Seoul, ist der Chef-Trendforscher des Unternehmens. Sein Auftrag: Modezeitschriften für Frauen zu durchforsten und bei Stylisten und Friseuren nachzufragen, was „in“ ist.

Trotz all dieser Mühen birgt das Geschäft mit den Avataren wenig Risiken, jedenfalls im Vergleich zum E-commerce, wo mit wirklichen Waren gehandelt wird. „Der Vorteil ist eben, dass man nicht tatsächlich physisch etwas herstellen muss“, sagt Hee Chang Suh, Direktor bei MSN Korea.

Die Texte wurden übersetzt und gekürzt von Tina Specht (Outsourcing), Svenja Weidenfeld (Korea), Karen Wientgen (Tabak), Matthias Petermann (Naher Osten) und Christian Frobenius (China).

Mei Fong

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