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Wirtschaft: Sie ist Migrantin – und sie hat Erfolg

In den Medien, in Schulen, bei der Polizei und in Firmen sind interkulturelle Kompetenzen gefragt. Doch ohne fachliches Know-how haben Bewerber keine Chance

Küsschen rechts, Küsschen links. Kaum steht Hadnet Tesfai in der Eingangshalle von MTV, legen die zielstrebig vorbei eilenden Kollegen einen kurzen Stop ein. Hadnet Tesfai lächelt, umarmt, wechselt mit jedem Haltenden ein paar Sätze. Alles ganz locker. Erst in ein paar Stunden, wenn sie das Interview und das Coaching hinter sich hat, wird es ernst. Dann wird sie vor der Kamera stehen – und jedes Wort und jede Geste müssen sitzen.

Die Moderatorin trägt einen Rock mit Blumen darauf, dazu ein T-Shirt, ein Band hält die krausen Locken zusammen. Sie sucht auf der Terrasse an der Spree nach Schatten. Sonne hatte sie gerade genug. Drei Wochen Südafrika. Für den Fußball-WM- Blog von Bild.de folgte sie dort der deutschen Elf von einem Spielort zum nächsten. Hadnet Tesfai spricht schnell, so schnell wie sie nebenbei bekannte Gesichter auf den Bänken scannt und grüßt. „Oft wussten die Südafrikaner nicht, wie sie mich einordnen sollten“, sagt sie. Eine Deutsche mit dunkler Haut, das passte nicht ins Klischee.

Sie selbst hatte damit nie ein Problem. Auch beruflich hat ihre Herkunft für sie keine Rolle gespielt. Solange jedenfalls nicht, wie sie nur eine Stimme mit ungewöhnlich klingendem Namen im Radio war. „Seit ich beim Fernsehen bin, hat sich das verändert“, sagt sie.

Hadnet Tesfai ist 31, Migrantin und hat beruflich Erfolg. Sie arbeitet als Moderatorin für MTV und ProSieben, ist Redakteurin und Moderatorin beim Jugendprogramm des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) „Fritz“ und Reporterin für Bild.de – und damit wohl das, was Politiker gern als ein Beispiel „erfolgreicher Integration“ bezeichnen.

Sie war drei, als sie mit ihrer Familie vor dem Krieg in Eritrea nach Deutschland flüchtete. Hadnet Tesfai wuchs in Göppingen bei Stuttgart auf, hat einen Hochschulabschluss in Politikwissenschaften und Arabistik und jede Menge Berufserfahrung. Sie spricht nicht nur akzentfrei Deutsch, sondern auch Tigrinya, die Muttersprache ihrer Eltern, Arabisch, Englisch und Französisch. In der Musikszene ist sie bestens vernetzt.

All das macht sie zu so etwas wie einem Idealtypus für den Arbeitsmarkt. Menschen, die wie sie fachlich hochqualifiziert sind, interkulturelle Kompetenzen besitzen und mehrere Sprachen sprechen, werden händeringend gesucht, im Öffentlichen Dienst, in der Wirtschaft und den Medien. Migranten sollen als Vertriebsexperten Kunden aus anderen Kulturen werben, als Lehrer Verständnis für die Schüler mit Migrationshintergrund aufbringen oder als Polizist Konflikte deeskalieren.

Was bei Weltkonzernen wie Bayer Schering, Phizer oder Siemens längst Alltag ist, kommt nun auch bei Mittelständlern und kleineren Firmen an: In der Industrie, im Dienstleistungssektor, in der Kommunikationsbranche, im In- und Export, im Handel und im Gastgewerbe kommen auch sie nicht mehr ohne das Verständnis der Kultur des Kunden oder Verhandlungspartners aus.

Seit Jahren belegen Studien wie die des National Centres for Languages (CILT), dass Firmen Aufträge entgehen, weil ihnen Mitarbeiter fehlen, die über genügend Fremdsprachenkenntnis und interkulturelles Verständnis verfügen. Immer wieder hat die Diversitäts-Forschung darauf hingewiesen, dass interkulturell gemischte Teams Unternehmen erfolgreicher machen. „Doch erst jetzt, durch den langsam spürbaren Fachkräftemangel, kümmern sich Personalentscheider intensiver um das Thema Migranten“, sagt Dieter Wagner, Professor für Personalwesen an der Universität Potsdam.

Bisher machten Menschen mit ausländischen Wurzeln vor allem von sich reden, weil sie für den Arbeitsmarkt oft nicht qualifiziert genug sind. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum sie schlechtere Chancen auf einen Job haben. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat herausgefunden, dass auch Nachkommen von Einwanderern, die ihrer Bewerbung ein Zeugnis über eine Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss beilegen können, weniger gute Karten haben, eine Stelle zu bekommen als Nichtmigranten. Nur 81 Prozent der hochqualifizierten Migranten fanden laut der Studie einen Job, während ähnlich ausgebildete Nichtmigranten zu 90 Prozent auf dem Arbeitsmarkt unterkamen.

„Oft sind Migranten zu wenig in die nationalen Netzwerke eingebunden“, erklärt der OECD-Sprecher Matthias Rumpf das Ergebnis. Außerdem gebe es von Arbeitgeberseite oft noch Vorurteile. Andere Studien hätten etwa gezeigt, dass schon ausländisch klingende Namen dazu führten, dass Personaler eine Bewerbungsmappe beiseite legten. Doch das wird sich in Zukunft kaum noch ein Arbeitgeber leisten können.

Mit verschiedenen Initiativen werben Stadt und Unternehmen nun um die als wichtiges Potenzial erkannten Arbeitskräfte. An der Charité-Akademie „Chia“ können ausländische Ärzte und Krankenpfleger Kommunikationskurse und Seminare in Deutsch als Fremdsprache belegen, um sich für die Verständigung mit Patienten fit zu machen. Mit der Initiative „Berlin braucht dich“ sollen jugendliche Migranten für den Öffentlichen Dienst geworben werden. Die Commerzbank und die Dresdener Bank in Kreuzberg machen Hauptschüler für eine Ausbildung in ihrem Haus fit, die früher nur mit Abitur zugänglich war.

Auch die öffentlich-rechtlichen Sender schreiben sich verstärkt Multikulti auf die Fahne. ARD und ZDF haben 2007 versprochen, dafür zu sorgen, das Migranten in den Medien stärker vertreten sind, und zwar „programmprägend“.

Hadnet Tesfai war damals schon ein paar Jahre beim RBB. Das sie in den Medien nach oben gekommen ist, auch weil sie Migrantin ist, und vielleicht auch ein wenig exotisch wirkt, kann sie sich nicht vorstellen. „Na ja“, sagt sie dann, „den einen Job bekommt man vielleicht gerade deshalb, den anderen gerade deshalb nicht“. Wer nicht gut sei, dem nutze aber auch ein Exotenbonus nichts. Gut zu sein, in dem was sie macht, das ist so etwas wie ihr Lebensmotto. Das will sie sich am Ende jeden Tages sagen können.

„Wir fragen bei der Einstellung natürlich nicht nach der Herkunft der Bewerber. Das ist schon arbeitsrechtlich gar nicht möglich“, sagt die stellvertretende RBB-Personalchefin Claudia Heser. Doch der Sender suche verstärkt nach Mitarbeitern, die interkulturell erfahren sind und einen anderen Blick auf die Dinge haben. In erster Linie zähle aber nach wie vor die journalistische Qualifikation.

Nur Migrant zu sein, sei auf dem Arbeitsmarkt natürlich nicht genug, sagt auch Professor Wagner: „Die Personalentscheider in Firmen suchen fachlich qualifizierte Arbeitskräfte, die sich nicht nur in mehreren Kulturen auskennen, sondern mit ihrem kulturellen Hintergrund auch aktiv umgehen, sich in diesem Bereich weiter vervollkommnen – und dieses Know-how in die transnationale Kommunikation einbringen.“ So reicht es etwa nicht, in einer Fremdsprache im Alltag gut klar zu kommen. Auf dem Arbeitsmarkt heißt Mehrsprachigkeit, dass man die entsprechenden Sprachen verhandlungssicher beherrscht.

„Verfügt man über solche Fähigkeiten, sollte man offensiv damit umgehen und sie auch als Stärke verkaufen“, rät Malte Behmer von der Industrie- und Handelskammer. Olaf Möller von der Arbeitsagentur empfiehlt Einwanderern, ihre Spezialkenntnisse für die Arbeitssuche zu nutzen. So bringe etwa ein Koch aus dem Ausland Erfahrungen mit, die sich sicher auf dem deutschen Arbeitsmarkt einbringen ließen.

„Herkunft und Sozialisation drücken sich immer auch in der Arbeit aus“, sagt Hadnet Tesfai. Seit sie beim Fernsehen ist, ist ihr das viel klarer geworden. Sie fühlt sich plötzlich ganz anders wahrgenommen. Eltern, Freunde, Bekannte rufen sie an oder mailen ihr, um zu sagen, dass sie stolz darauf sind, dass es eine von ihnen so weit gebracht hat. Das hat sie erst einmal verunsichert. Sie hat befürchtet, den Erwartungen nicht gerecht werden zu können.

Auch diese Geschichte mit ProSieben hat sie irritiert. Es war bei ihrem ersten Auftritt für den Privatsender, als plötzlich ihr Aussehen Thema war und sie für die Moderation ihre krausen Haare glätten sollte. „Das mache ich zwar auch sonst manchmal, aber vorgeschrieben hatte mir das noch keiner“, sagt sie. Sie hat trotzdem mitgemacht. „Moderatorinnen bei ProSieben sahen bis dahin normalerweise anders aus, blond und weiß“, erklärt sie. Der Sender habe eben testen wollen, ob eine Moderatorin mit dunkler Hautfarbe vom Publikum angenommen wird. „Man kann Sehgewohnheiten ja nicht mit der Brechstange verändern.“

Der Auftritt war erfolgreich. Heute darf sie auch bei ProSieben mit Lockenkopf vor die Kamera.

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