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Siemens: Ausmaß der Korruption überrascht selbst Experten

Das Ausmaß der Affäre um so genannte schwarze Kassen bei Siemens lässt selbst Korruptionsexperten staunen. Es sei inzwischen nicht mal mehr klar, ob Schmiergeldzahlungen nicht zur normalen Geschäftspraxis zählten.

Berlin - Die Summe von 200 Millionen Euro, die Mitarbeiter auf schwarze Konten ins Ausland transferiert haben sollen, "hat auch uns in Staunen versetzt", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International (TI), Peter von Blomberg. "Bei dieser Größenordnung kann man die Frage verstehen, ob Korruption bei Siemens Teil der Geschäftspolitik mit Wissen oder Duldung der Geschäftsführung oder das Unternehmen das Opfer eigenmächtig handelnder leitender Angestellter ist?" Auf jeden Fall hätten bei dem Münchner Konzern "sämtliche Kontrollsysteme versagt".

Schwarze Kassen bei Siemens, Geldtransporter zweigen Bares ab, Zulieferer schmieren Einkäufer deutscher Autokonzerne und VW-Betriebsräte lassen sich vom Konzern aushalten: Es scheint, als ginge es in deutschen Konzernen immer korrupter zu. "Tatsächlich gibt es jedoch keine Anhaltspunkte für eine Zunahme der Korruption in Deutschland", sagte von Blomberg. Im Gegensatz zu früher würden solche Straftaten heute nur häufiger aufgedeckt. "Früher wurde Korruption in den eigenen Mauern ignoriert oder bagatellisiert und mit dem Finger stets auf die anderen gezeigt." Heute reagierten Unternehmen, Öffentlichkeit, Politik und Verbände sensibler. "Dennoch ist die Dunkelziffer enorm hoch, wahrscheinlich bei 90 Prozent", schätzt der Korruptionsexperte. Die bekannten Fälle seien daher "nur die Spitze des Eisbergs".

Doch Korruption sei nicht nur ein Problem von Großkonzernen. "Keiner kann sich einreden, davon verschont zu bleiben", warnte der TI-Vize. "Es kann jeden Tag in jeder Branche in Unternehmen jeder Größenordnung passieren." So sei etwa der mittelständisch geprägte Bau besonders anfällig. Jüngsten Studien zufolge ist in den vergangenen drei Jahren jede zweite Firma Opfer von Wirtschaftskriminalität geworden.

Klare Spielregeln für Mitarbeiter

Dabei sei der typische Korruptionstäter weniger der kleine Angestellte der Buchhaltung, sondern eher Leute mit Einfluss, Entscheidungsgewalt und Freiheit in der Vergabe von Geld oder Aufträgen, erklärte der Experte. "Meist sind es jüngere, erfolgreiche Aufsteiger, die finden, dass sie gemessen an ihren fabelhaften Leistungen nicht genug verdienen", sagt von Blomberg.

Um Korruption erfolgreich zu bekämpfen, bräuchte es zunächst ein klares Bekenntnis der Unternehmensleitung: "Keine Korruption, Null Toleranz, Punkt", forderte der TI-Vize. Darüber hinaus müssten die Betriebe erkennen, wo in ihrem Hause korruptive Situationen entstehen könnten, etwa im Einkauf und diese Positionen routinemäßig auswechseln, damit sich nichts einschleiche. Neben wirksamen Kontrollen bräuchten die Mitarbeiter vor allem "klare Spielregeln", etwa wie mit Geschenken umzugehen sei. Diese Unternehmenskultur einzupflanzen, sei eine schwierige Operation, die nie zu Ende sei, warnte von Blomberg. "Auf diesem Feld wird die Schlacht verloren oder gewonnen." (tso/AFP)

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