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Peter Löscher

© ddp

Siemens: Ein schweres Erbe

Peter Löscher hat die Nachfolge von Klaus Kleinfeld offiziell angetreten und leitet seit heute den Siemens-Konzern. Sein Ziel: Schluss mit den Skandalen.

München - Als Agnes Löscher am vorletzten Sonntag im Mai den Fernseher einschaltete, war sie stolz. Auf allen Kanälen konnte sie ihren Sohn Peter sehen, der als neuer Siemens-Chef vorgestellt wurde. Ein weiter Weg vom Lausbuben, der seinen Schwestern Streiche gespielt und im Stall und bei der Heuernte auf dem elterlichen Bauernhof im österreichischen Villach kräftig zugepackt hatte.

Der Mann, der Anfang vergangener Woche im festlich geschmückten Nürnberger Rathaussaal sein Debüt als Siemens-Chef gab, macht nicht den Eindruck eines bäuerlichen Lausbubs. Der 1,95-Meter-Mann mit grau meliertem Haar wirkt ruhig, besonnen und ein gutes Stück älter als seine 49 Jahre. Undenkbar, dass ihm ein Fauxpas wie seinem gleichaltrigen Vorgänger Klaus Kleinfeld passiert, der bei seinem ersten offiziellen Auftritt im Affekt ein Handy des Konkurrenten Nokia in ein Wasserglas geworfen hatte und dem auch gelegentlich Kraftausdrücke herausgerutscht waren.

In seiner kurzen Ansprache wählt Löscher seine Worte mit Bedacht. Er sagt, dass er sich freue, für dieses „großartige Unternehmen arbeiten zu dürfen.“ Und dass es eine Ehre sei, Deutschlands größten Elektronikkonzern zu leiten. Löschers Zurückhaltung macht deutlich, welchen Kurs Siemens einschlagen wird. Nach Monaten voller Skandale um Bestechungen und schwarze Kassen, die Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer und Vorstandschef Kleinfeld zu Fall brachten, soll der Wechsel an der Spitze vor allem eines bringen: Ruhe.

Obwohl Löscher vor seiner Ernennung zum Siemens-Chef in Deutschland kaum bekannt war und noch nie einen Konzern geleitet hat, trauen ihm viele den anspruchsvollen Job zu. „Er ist ein ruhiger Vermittler, analytischer Denker und starker Problemlöser“, sagt Jochen Kienbaum von der gleichnamigen Unternehmensberatung, Löschers erstem Arbeitgeber. Löscher habe Feingespür, verstehe viel von Unternehmenskultur und könne gut Brücken zu Menschen bauen. Eigenschaften, die er bei der Aufklärung der Schmiergeldaffäre brauchen wird.

Als erstem Siemens-Chef, der von außen kommt und nicht die klassischen Karrierestationen im Haus durchlaufen hat, muss es Löscher gelingen, eine verunsicherte Mannschaft von weltweit 475 000 Mitarbeitern hinter sich zu bringen und dem Konzern wieder Vertrauen und Selbstbewusstsein zurückzugeben. Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, der Löscher auserkoren hat, verlangt nichts weniger, als „Siemens wieder zu einem angesehenen Unternehmen zu machen, auf das die Mitarbeiter stolz sind und auf das die Welt mit Respekt schaut“.

Löscher hat angekündigt, die Schmiergeldaffäre restlos aufzuklären. Seine Voraussetzungen sind gut: Als Externer kann er ohne Rücksicht auf alte Seilschaften aufräumen. Außerdem hat Löscher sowohl Erfahrungen mit skandalgeplagten Unternehmen als auch mit der Börsenaufsicht SEC, die gegen Siemens ermittelt. Löschers letzter Arbeitgeber, der US-Pharmakonzern Merck, hatte Ende 2004 sein Schmerzmittel Vioxx wegen Gesundheitsgefährdung vom Markt nehmen müssen. Der Konzern musste strenge Ermittlungen der SEC über sich ergehen lassen und Milliardenstrafen zahlen – Ähnliches droht auch Siemens.

Im eigentlichen Geschäft erbt Löscher von Kleinfeld dagegen ein gut bestelltes Haus. Nach einer radikalen Umstrukturierung in den vergangenen zwei Jahren stehen die Konzernsparten glänzend da. Der Aktienkurs steigt seit Monaten. Auch die Unternehmensziele für die kommenden Jahre sind schon vorgegeben. Löscher wird das neue Programm „Fit for 2010“ mit ambitionierten Zielvorgaben, das Kleinfeld erst im April präsentiert hatte, umsetzen. Dringend ist zunächst die Frage, ob der Automobilzulieferer VDO an die Börse gebracht oder an einen Investor verkauft wird.

Löscher stellte klar, er stehe eher für Evolution als für eine Revolution bei Siemens. „Vor unbequemen Umstrukturierungen wird er aber nicht zurückschrecken“, sagt ein Ex-Kollege. Das dürfte vor allem die Führungsstrukturen betreffen. Die zehn Sparten mit ihren weitgehend frei agierenden Bereichsfürsten sollen künftig enger an die Konzernführung gekoppelt, der Zentralvorstand deutlich verschlankt werden.

Dagegen braucht die Arbeitnehmerseite zunächst nichts zu befürchten: Löscher hat Betriebsräten und Gewerkschaften versprochen, es werde keine Kahlschlagpolitik geben. Sie dürfen darauf hoffen, mit Löscher einen fairen und besonnenen Verhandlungspartner zu haben – immerhin wollte er vor seiner Karriere in der Industrie Diplomat werden.

Nicole Huss

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