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Siemens: Hoffen auf Ruhe

Aufsichtsratschef Gerhard Cromme ist die Überraschung geglückt: Der besonnene Peter Löscher, den zuvor niemand auf der Karte hatte, wird neuer Siemens-Chef. Der 49-Jährige ist sich der Schwere seiner Aufgabe bewusst.

München - "Ich reihe mich heute in die Reihe von 475.000 Siemensianern ein", sagte Peter Löscher etwas pathetisch und sichtlich bewegt nach seiner Berufung zum neuen Siemens-Chef. Auf dem Wittelsbacher Platz vor der noblen Konzernzentrale des krisengeschüttelten Konzerns riefen bei strahlendem Sonnenschein und drückender Hitze der neue Vorstandsvorsitzende Löscher, Aufsichtsratschef Gerhard Cromme und Berthold Huber von der IG Metall einen Neuanfang aus. Nach Monaten voller Skandale und Führungskrisen soll der Wechsel an der Spitze etwas Ruhe bringen.

Aufsichtsratschef Cromme ist der versprochene Überraschungscoup gelungen. Keiner der Namen, über die in den vergangenen Wochen als neuer Siemens-Chef spekuliert wurde, sei richtig, hatte er in einer E-Mail an die Aufsichtsratsmitglieder geschrieben. Mit dem Merck-Manager Löscher präsentierte er nun tatsächlich einen neuen Vorstandsvorsitzenden, mit dem nur wenige gerechnet haben. "Löscher bringt aber vieles mit, was jetzt bei Siemens gebraucht wird", sagt ein Siemens-Kenner.

"Megatrend" Gesundheit

Schließlich war der gebürtige Österreicher zum Beispiel einst für General Electric tätig, den großen Konkurrenten von Siemens auf dem Weltmarkt. Als Manager beim US-Pharmakonzern Merck hat er zudem schon Erfahrungen mit der mächtigen Börsenaufsicht SEC gemacht - wegen der SEC-Ermittlungen sehen manche Siemensianer die Existenz des ganzen Konzerns in Gefahr. Zudem kommt Löscher aus der Gesundheitsbranche, einem der Wachstumsfelder, das sein scheidender Vorgänger Klaus Kleinfeld zu einem der großen "Megatrends" ausgerufen hatte, die Siemens eine glückliche Zukunft bescheren sollten.

Leicht ist seine Aufgabe nicht. Der neue Chef muss ohne eigene Hausmacht den Skandal-Konzern trotz enormer Fliehkräfte zusammenhalten, die Schmiergeldaffäre gnadenlos aufklären und nebenbei noch das operative Geschäft am Laufen halten. "Das ist ja eine fast schon nationale Aufgabe", hieß es durchaus mitfühlend bei einem anderen Münchner DAX-Unternehmen.

Ruhige Wasser

Die Beteiligten betonten, dass die Mammutaufgabe nur gelingen kann, wenn jetzt alle an einem Strang ziehen. Man habe in den Gesprächen mit Löscher den Eindruck gewonnen, dass dieser "mit seiner Persönlichkeit in der Lage ist, die Führungskrise bei Siemens zu lösen und den Konzern in ruhigere Wasser zu führen", erklärten der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Ralf Heckmann und IG-Metall-Vize Berthold Huber. Löscher habe den Arbeitnehmervertretern zugesagt, dass es unter seiner Führung keine Kahlschlagpolitik in Deutschland und anderswo geben wird.

Obwohl auch Löscher lange für US-Unternehmen tätig war, soll er in Sachen Führungsstil damit nicht unbedingt in die Fußstapfen seines Vorgängers Kleinfeld treten. Dieser galt als Prototyp eines vor allem in den USA modern gewordenen Managertyps, der ohne Sentimentalität Arbeitsplätze streicht oder Firmenteile verkauft.

Angespannte Ruhe in München

In der noblen Siemens-Konzernzentrale hatte bis zur Verkündung der Personalie angespannte Ruhe geherrscht. "Natürlich will jeder wissen, wie es weiter geht", sagte ein Beschäftigter. Allerdings habe der Konzern in den vergangenen Monaten schon viel mitgemacht. Da sollen hunderte von Millionen Euro in schwarzen Kassen verschwunden und als Schmiergeld eingesetzt worden sein. Bestechung wird auch hinter dubiosen Millionenzahlungen an den Gründer der Arbeitnehmerorganisation AUB vermutet. Aktive und ehemalige Vorstände wurden verhaftet, durch die Rücktritte von Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer und des Vorstandsvorsitzenden Kleinfeld verlor der Konzern zudem seine komplette Führung.

Cromme konnte nun relativ rasch eine Lösung präsentieren, obwohl sein ursprünglicher Wunschkandidat, Linde-Chef Wolfgang Reitzle, endgültig abgesagt hatte. Wegen dessen langjährigen Vertrags bei Linde scheiterte der Wechsel zu Siemens. Am Sonntag wurde dann im Umfeld des Konzerns noch ThyssenKrupp-Vorstand Edwin Eichler heiß gehandelt, doch auch dies war am Ende eine falsche Fährte. (Von Axel Höpner, dpa)

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