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Skandinavien: Nordisches Glück bei der Arbeit

Handwerker und Ärzte sind gefragt in Skandivanien. Doch für einen Neuanfang braucht es mehr als einen Sprachkurs.

Nur 4.920.300 Menschen leben in Norwegen – das sind rund zehn Einwohner pro Quadratkilometer. Gert Rietmann, der die Fünf-Millionen-Marke im Visier hat, formuliert es andersherum: „Die Greencard gibt es bei uns nicht.“ Rietmann ist Geschäftsführer der Agentur „Placement“ im norwegischen Stordal, die im Auftrag verschiedener Kommunen und Gemeinden aus Norwegen, Schweden und Dänemark dauerhafte Zuzügler nach Skandinavien locken soll – aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Er startete 2003 als Ein-Mann-Unternehmen, inzwischen hat seine Agentur sechs Mitarbeiter und bereits 2000 Auswanderwillige in die nordischen Länder begleitet. Der skandinavische Arbeitsmarkt ist attraktiv.

So wundert es nicht, dass bei der Weiterbildungsdatenbank Berlin Sprachkurse in norwegisch derzeit am meisten nachgefragt sind. Doch das ist nur der Anfang. Neben der Sprache – mindestens Grundkenntnisse werden in jeder Branche vorausgesetzt – erfordert eine Auswanderung viel Vorbereitung. Konkrete Weiterbildungen, ein Rund-um-Paket, gibt es nicht. Es braucht viel Eigeninitiative, um sich auf das Leben im neuen Land einzustellen und die geeigneten Beratungsstellen zu finden. Welche Businesscodes gibt es, wie funktioniert die Gesellschaft? Auch Handwerkskammern, Arbeitsagenturen und Eures, ein EU-Programm für berufliche Mobilität in Europa, helfen bei der Auswanderung.

Auf der „Placement“-Website finden sich zahlreiche Stellenangebote: Da werden Busfahrer gesucht, Elektromonteure, Ärzte, ein Psychiater, Pflegepersonal und Buchhalter. „Allerdings sind Bewerber, die ausschließlich einen Job suchen – und dann für kurze Zeit – nicht unsere Zielgruppe“, skizziert Rietmann seinen Auftrag. Bevorzugt werden Familien mit Kindern und Menschen, die Skandinavien und dessen Einwohner, Landschaft und Kultur lieben und sich vorstellen können, für immer zu bleiben. „Wir suchen Persönlichkeiten, die eine interessante Kompetenz haben und die in den Gemeinden unserer Kunden vielleicht sogar ihre eigene Firma gründen wollen, etwa im Tourismus, Bau oder Handwerk.“

Auf der anderen Seite hilft Monika Schneid, beim Raphaelswerk in Hamburg tätig, Menschen mit konkreten Abwanderungsgedanken und berät beim Ausloten der individuellen Erwartungen. „Die sogenannte Work-Life-Balance wird in skandinavischen Ländern oft als positiver bewertet als bei uns in Deutschland“, sagt sie. „Die Situation am Arbeitsplatz wird häufig als entspannter wahrgenommen; es gibt weniger Schichtdienst und attraktivere Gehälter, trotz der gleichzeitig höheren Lebenshaltungskosten. Auch die Familienpolitik finden viele Deutsche vorbildlich.“ Die Gesellschaft ist sehr freizeitorientiert, Überstunden gibt es nur wenige. Der Grund: es kostet den Arbeitgeber deutlich mehr als die normale Arbeitszeit, deshalb werden Überstunden so weit wie möglich vermieden. Außerdem ist die innerbetriebliche Weiterbildung in Norwegen sehr gut ausgeprägt.

Vor allem in Deutschland ausgebildete Handwerker sind gern gesehen in Skandinavien. So können sie in der Regel direkt anfangen, spezielle Schulungen sind nicht nötig. Nur im Strom- und Wasserbereich ist es strenger: Elektriker müssen drei Jahre Berufserfahrung nachweisen und sich die Qualifikation anerkennen lassen. Handwerker aus dem Sanitärbereich müssen ein Zertifikat nachmachen, um in Norwegen arbeiten zu können. „Meiner Erfahrung nach gibt es sonst keine Hürden, Abschlüsse und Qualifikationen anzuerkennen“, sagt Rietmann. Auch deutsche Ärzte sind sehr gefragt.

Jakob Dittmar hat den Schritt bereits getan. Der 40-jährige Nachwuchswissenschaftler wanderte erst im April diesen Jahres von Berlin nach Malmö aus. Überrascht war er von der schwedischen Bürokratie. Einen Mobilfunkvertrag bekommt er beispielsweise erst, nachdem er acht Monate im Land gelebt hat. „Jetzt müssen wir uns so lange mit Prepaid-Karten begnügen.“ Auch die Wohnungssuche gestaltete sich komplizierter als erwartet. „Der Mietmarkt hier in Malmö ist quasi abgeschafft. Es gibt in der gesamten Stadt für uns ungefähr 40 Mietwohnungen, bei einer Warteschlange von 200 Bewerbern.“ Dabei seien die Preise für eine vierköpfige Familie astronomisch, so dass Dittmar nun mit seiner Frau und zwei Kleinkindern „im Eigenheim in einer verschnarchten Vorstadt“ lebt. Der Eigenkapitalanteil wurde von den Eltern beigesteuert, da das Abwickeln der Aufenthaltsgenehmigung, ohne den kein Hauskredit möglich ist, bis zu acht Monaten dauern kann. „Die Behörden bitten, von Zwischennachfragen nach dem Stand der Bearbeitung abzusehen.“

Erst, wenn die Kinder ab August in der Kita untergebracht sind, kann sich Dittmars Ehefrau, eine Journalistin, endlich nach einem eigenen Job umsehen. „Wir sind auf zwei Gehälter angewiesen, denn es gibt hier nichts nach dem Muster des deutschen Ehegatten-Splitting“, sagt Dittmar. Trotzdem hat der Medienwissenschaftler seine Entscheidung bislang nicht bereut, vor allem in Bezug auf den Arbeitsplatz an der „Malmö University“. „Das Arbeiten im Elfenbeinturm gibt es viel weniger.“ Die Themen sowie die Ausrichtung der Arbeit und der interdisziplinären Teams seien fantastisch und viel weiter entwickelt als in Deutschland. „Die Forschung ist weniger autistisch.“ Auch die Grundstimmung in der Gesellschaft erlebe er als positiver denn in Berlin. Mit Schweden hatte der gebürtige Norddeutsche schon länger geliebäugelt und bereits im Erasmus-Austausch an einer schwedischen Uni gelehrt. Er wusste weitgehend, worauf er sich einlässt: Seine Sprachkenntnisse sind gut, das Land hat er schon oft bereist. Die Stelle hat er sich selbst gesucht.

Das ist nicht immer so. In vielen Fällen steht die Arbeitssuche im Vordergrund – nicht das Interesse an Land und Leuten. Skandinavien kann ein Weg aus der Arbeitslosigkeit sind. So kooperiert die Schleswig-Holsteinische Handwerkskammer mit der deutsch-norwegischen Handelskammer in dem zweisprachigen Onlineportal „Handwerk Norwegen“. Ein Forum, in das man Stellen- und Bewerberprofile eingeben kann. „Viele, die als Familie mit Kindern nach Norwegen kommen, sehen das als vorübergehenden Auslandsaufenthalt“, sagt Heidi Friedrich, Kultur- und Pressereferentin der deutschen Botschaft. Nur in Oslo gibt es eine deutsche Schule. Gert Rietmanns Erfahrung aus seiner Placement-Agentur dagegen ist, dass neun von zehn Ankömmlingen, die er vermittelt hat, für immer bleiben. „Bei den anderen ist meistens das Heimweh der Grund für die Rückkehr.“

Birgit Heitfeld

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