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In einem Rechenzentrum stecken zahlreiche Kabel in ihren Anschlüssen.

© dpa

Snowden und die US-Spionage: Wirtschaft stellt das Freihandelsabkommen in Frage

Angesichts der mutmaßlichen Spionage fürchten Deutschlands Unternehmen einen Milliardenschaden. Viele sind nur unzureichend geschützt.

Das angestrebte transatlantische Freihandelsabkommen gerät angesichts der mutmaßlichen Datenüberwachung durch die USA in Gefahr. Politik und Wirtschaft in Europa gingen am Dienstag auf Distanz zu den Vereinigten Staaten. Spionage sei eine „schwere Belastung“, erklärte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP). Washington müsse offenlegen, wie man an Informationen komme, woher sie stammten und was die USA damit täten, verlangte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag DIHK. „Bewegen sich die USA nicht, einigt man sich womöglich nur auf den Abbau einiger Zollschranken“, drohte indirekt Vize-Hauptgeschäftsführer Volker Treier im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Das wäre eine vertane Chance.“

Die Gespräche über das Abkommen sollen am Montag in Washington starten. Allein die deutsche Wirtschaft erhofft sich von einer Freihandelszone rund 100 000 neue Arbeitsplätze. Doch die Überraschung über den Umfang der US-Spähaktionen in den Unternehmen ist groß. „Für ein Freihandelsabkommen müssen Transparenz und Vertrauen zwischen den potenziellen Partnern herrschen. Die Gespräche werden umso zäher und schwieriger, je größer das Misstrauen ist“, sagte Treier. „Müssten wir Europäer damit rechnen, dass die USA unsere Verhandlungsstrategie vorab bereits kennen, würden wir am Ende übervorteilt“, befand er mit Blick auf Berichte, nach denen EU-Gebäude mit Wanzen abgehört werden.

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Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn verlangte vor dem Start der Verhandlungen eine Garantie „auf oberster Ebene“, dass die USA auf Abhöraktionen verzichten. Unter den derzeitigen Bedingungen seien Gespräche „einfach nicht möglich“, sagte er im Deutschlandfunk.

Auch der Industrieverband BDI bezeichnete die Spionageberichte als „beunruhigend“. Es sei unklar, inwieweit deutsche Firmen von den Aktivitäten des Geheimdienstes NSA betroffen seien, sagte Stefan Mair, Mitglied der Hauptgeschäftsführung. Der Maschinenbauverband VDMA fürchtet, im Visier der Spione zu sein. „Gerade die Fokussierung auf den Süden und Westen von Deutschland, in denen viele unserer ,Hidden Champions’ sitzen, lässt die Sorge aufkommen, dass gezielt Wirtschafts- und Industriespionage betrieben wird“, sagte IT-Experte Rainer Glatz. Der Verlust von Know-how um Prozesse, Produkte, Märkte und Kunden bedrohe die gesamte Branche.

Zugleich warnten Wirtschaftsvertreter, die Pläne zum Freihandel aufzugeben. Ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA sei „außerordentlich wichtig für die Autoindustrie“, sagte der Präsident des deutschen Branchenverbandes VDA, Matthias Wissmann. Die Unternehmen profitierten davon, aber auch die Verbraucher. Wissmann warnte vor übereilten Reaktionen auf die Berichte über Lauschangriffe. „So sehr man sich auch ärgern kann über die Meldungen“, sagte Wissmann, „so wenig sollte man das langfristige Ziel durch kurzfristige Reaktionen aus dem Auge verlieren.“

Anton Börner, Chef des Außenhandelsverbands BGA, riet, „einen kühlen Kopf zu bewahren“. Man dürfe die Sache nicht eskalieren lassen und das Freihandelsabkommen infrage stellen. „Wenn es nun zu wirtschaftlichen Spannungen käme, würden beide Seiten verlieren. Das wäre auch für die Weltwirtschaft nicht gut, hier gibt es ja Probleme genug.“ Die Politik müsse die Sache diplomatisch klären und dafür sorgen, dass niemand sich auf unfaire Weise Vorteile verschaffe.

Dass Unternehmen in Deutschland ausspioniert werden, ist an sich keine Neuigkeit.

Umfragen des Sicherheitsberaters Corporate Trust zufolge war jedes zweite deutsche Unternehmen schon von Wirtschaftsspionage betroffen. Als die Nationen mit der größten Neugier gelten noch immer Russland und China. Die Studie offenbarte aber bereits zu Beginn dieses Jahres: Mehr als ein Viertel der 2012 entdeckten Angriffe stammten aus den USA.

Zugleich wird das Thema von vielen Firmen als zweitrangig eingestuft. „Wir müssen uns stärker mit der Datensicherheit beschäftigen“, gibt ein einflussreicher Manager zu. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes ist vor allem der Mittelstand nachlässig. Gefährdet sind Unternehmen nach Erkenntnissen der Beratungsfirma KPMG „überall da, wo hohe Investitionen in Produktentwicklung und Forschung fließen“, sagt Sicherheitsexperte Alexander Geschonneck. Beispiele seien die Industrie, die Chemie- und die Pharmabranche. Zwar habe es Spionage schon immer gegeben. „Jetzt aber sprechen wir nicht mehr über abstrakte Risiken, jetzt sehen wir konkret, welche Gefahr da draußen lauert.“

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