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Leerer Stuhl. Derzeit sucht Kanzlerin Merkel nach einem Regierungspartner. Eigentlich favorisiert die CDU Branchenmindestlöhne, wie sie etwa für Reinigungsunternehmen gelten. Doch die SPD macht da nicht mit.

© picture-alliance/ dpa

Sondierungsgespräche: Kommt der Mindestlohn?

Die SPD macht die Lohnuntergrenze zur Bedingung für eine Regierungsbeteiligung. Doch über Höhe und Ausgestaltung herrscht Uneinigkeit.

Auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem aktuellen Videopodcast noch einmal betont, wie wichtig eine „starke Tarifautonomie“ sei: Vor der zweiten Sondierungsrunde am Montag sendet die Union deutliche Signale in Richtung SPD. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe betont etwa, beim Mindestlohn sei nicht das Ziel, sondern nur der Weg der Parteien unterschiedlich. Und Thüringens CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht schlug mit dem Thüringer Modell der SPD gleich einen Kompromiss vor. Den braucht es auch, denn die Sozialdemokraten wollen bei dem Thema anders als bei den Steuererhöhungen offenbar hart bleiben. SPD-Chef Sigmar Gabriel bekräftigte, „dass ohne einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn die SPD in keine Regierung eintreten kann“. Dabei meldet sich die Wirtschaft noch immer mit scharfer Kritik an einer gesetzlichen Lohnuntergrenze. Ein einheitlicher Mindestlohn bringe „nur negative Auswirkungen“ wie höhere Einstiegshürden für Geringqualifizierte oder Arbeitsplatzabbau, warnt Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Sollten sich die Parteien im Rahmen der Koalitionsverhandlungen auf einen Mindestlohn verständigen, muss geklärt werden, für wen er gilt, wie hoch er ausfällt, wer ihn festlegt.

HÖHE

Die Gewerkschaften und die SPD fordern eine Untergrenze von mindestens 8,50 Euro brutto. Diese könnte die Einkommenssituation von bis zu sechs Millionen Menschen verbessern, die derzeit weniger verdienen; geringfügig Beschäftigte, Ungelernte, Erwerbstätige in kleinen Dienstleistungsfirmen oder in Ostdeutschland. Zugleich würde der Staat von gut sieben Milliarden Euro Mehreinnahmen profitieren, rechnet die SPD vor. Die Linke will zehn Euro Mindestlohn und damit etwas mehr als die offizielle Niedriglohnschwelle, die bei 9,54 Euro pro Stunde liegt. Das würde die Wirkung auf 7,1 Millionen Menschen und damit auf ein Viertel der Beschäftigten ausweiten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnt jedoch, schon bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro seien Beschäftigungseinbußen „wahrscheinlich“.

Arbeitsmarktexperten empfehlen der Politik daher, den Mindestlohn bei Einführung zunächst niedriger anzusetzen, um Geringqualifizierten den Zugang zum Arbeitsmarkt nicht zu versperren und den Unternehmen Zeit zu geben, sich auf die veränderte Lohnsituation einzustellen. „Wenn man die Unternehmen überfordert, kann der Mindestlohn schnell Jobs kosten“, sagt der Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Ulrich Walwei. Allerdings sei ein „deutlicher“ Abstand zum Grundsicherungsniveau nötig, das das IAB in einen Stundenlohn von rund fünf Euro übersetzt hat – sonst gebe es keinen Arbeitsanreiz. „Beim Mindestlohn sollte man mit einem Niveau um die sieben Euro herum beginnen“, sagt Walwei. Ein moderater Mindestlohn begrenze in Zeiten abnehmender Tarifbindung und Lohnspreizung „starke Verwerfungen im unteren Bereich der Lohnverteilung“. Zugleich sei ein positiver Beschäftigungseffekt zu erwarten, weil „offene Stellen schneller besetzt werden können, da diese für die Arbeitsuchenden attraktiver werden“. Denn die Untergrenze würde auch bei Beschäftigten, die derzeit schon etwas mehr als den Mindestlohn verdienen, die Löhne steigen lassen.

Wer soll die Lohnuntergrenze festlegen?

AUSNAHMEN

Die Parteien müssten auch klären, ob der Mindestlohn tatsächlich für alle gelten soll oder ob es Ausnahmen gibt. So schlug die Thüringer Ministerpräsidentin Lieberknecht Sondervereinbarungen für Regionen mit deutlich höheren Lebenshaltungskosten vor. Eine Differenzierung nach alten und neuen Bundesländern, wie sie wegen der unterschiedlichen Produktivität gefordert wird und auch in den meisten Tarifverträgen verankert ist, lehnt sie dagegen ab. Auch SPD und Linke setzen sich dafür ein, dass der Mindestlohn flächendeckend gilt. Das IAB hält aber eine Differenzierung für eine Übergangszeit für sinnvoll. „Im Westen könnte die Grenze etwa einen Euro höher liegen als im Osten“, sagt Walwei. Zudem empfiehlt das IAB, Berufseinsteiger, Auszubildende, Schüler und Studenten vom Mindestlohn auszunehmen. „Ansonsten ist beim Ausbildungsangebot und auch bei der Entscheidung von jungen Leuten für oder gegen eine Ausbildung mit Verzerrungen zu rechnen“, sagt Walwei.

KOMMISSION

Geht es nach der SPD, soll das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Kommission zur Festsetzung des Mindestlohnes schaffen, in der Vertreter des Ministeriums sowie der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften sitzen. Das Thüringische Modell Lieberknechts will den Betrag ohne Beteiligung der Politik, also nur durch die Tarifparteien festlegen lassen. Das empfiehlt auch das IAB. „Der Mindestlohn muss durch eine unabhängige Kommission festgelegt und so dem Spiel der politischen Kräfte entzogen werden“, sagt Walwei.

Für DIW-Präsident Marcel Fratzscher hängt der Erfolg der Untergrenze auch davon ab, „wie es Tarifparteien und Betriebsräten gelingt, die Einhaltung der Mindestlöhne vor Ort umzusetzen“, wie er kürzlich sagte. Das IAB, das vor Ausweichbewegungen über Scheinselbstständigkeit, geschickte Arbeitszeitregelungen und Schwarzarbeit warnt, rät zur Einrichtung anonymer Beschwerdestellen, wo Firmen gemeldet werden können. Beide Institute betonen zudem, wie wichtig flankierende Arbeitsmarkt- und Sozialreformen sind – von der Verbesserung der Ausbildung bis zu einer Liberalisierung von Berufszweigen. „Löhne sind zentral für die Qualität der Arbeit“, sagt Walwei. „Noch wichtiger aber ist die Qualifizierung der Beschäftigten, damit es eine dauerhafte Aufwärtsmobilität gibt.“

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