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Wirtschaft: Sony: Die Japaner lagern die Produktion zunehmend aus

Im vergangenen Oktober stand Koichi Nishimura vor den 1300 Arbeitern einer japanischen Fabrik und beschwor traditionelle japanische Werte wie Harmonie und Aufrichtigkeit. Um seinen Worten Gewicht zu verleihen, projizierte er sie in kunstvollen Buchstaben auf einen großen Schirm.

Im vergangenen Oktober stand Koichi Nishimura vor den 1300 Arbeitern einer japanischen Fabrik und beschwor traditionelle japanische Werte wie Harmonie und Aufrichtigkeit. Um seinen Worten Gewicht zu verleihen, projizierte er sie in kunstvollen Buchstaben auf einen großen Schirm. Eigentlich nichts Ungewöhnliches in Japan, wäre da nicht eine Besonderheit: Herr Nishimura ist Amerikaner. Am Tag zuvor hatte sein Unternehmen Solectron, das in Kalifornien sitzt, angekündigt, das Werk von Sony zu kaufen. Durch die Transaktion erwarb zum ersten Mal ein ausländisches Unternehmen eine Produktionsstätte von einem japanischen Elektronikkonzern. Um das Geschäft auf den Weg zu bringen, musste den japanischen Managern eine zutiefst amerikanische Idee vermittelt werden: Elektronikunternehmen müssen nicht alles, was sie anbieten, auch selbst herstellen.

Vor einiger Zeit klang diese These in Japan noch absurd. Sie widersprach einem Grundprinzip der japanischen Wirtschaft, dem so genannten Mono-Zukuri, was wörtlich übersetzt "Dinge herstellen" bedeutet. Heute erwägen immer mehr japanische Unternehmen, die Produktion an externe Gesellschaften auszulagern. "In den achtziger Jahren ging die Angst um, die Japaner könnten uns bei lebendigem Leib verschlingen", sagt Nishimura, der 62-jährige Solectron-Chef, dessen Großeltern aus Japan nach Kalifornien ausgewandert waren. "Nach einem Jahrzehnt dünner Unternehmensgewinne sehen die japanischen Manager endlich ein, dass sie etwas ändern müssen."

Der Wandel im Denken verändert Japan. Automobil- und Elektroindustrie sind nicht nur der bedeutendste Wirtschaftsfaktor, sondern auch der Stolz der Nation. Die Stärke in diesen Bereichen verdankt das Land nach der Meinung vieler japanischer Wirtschaftsvertreter dem Prinzip Mono-Zukuri. Doch obgleich die japanischen Elektronikhersteller enorm viel Kapital in ihren Fabriken gebunden haben, fallen die Profite eher aus. Das Problem, das symptomatisch für die japanische Wirtschaft ist: Das Anlagevermögen wird nicht effizient genutzt. Hier liegt die Chance für unabhängige Vertragsproduzenten wir Solectron.

Sony zählt unter den japanischen Unternehmen zwar zu den innovativsten. Seine Eigenkapitalverzinsung, also die Größe mit der man die Effektivität der Investitionen misst, betrug im letzten Geschäftsjahr gerade einmal 5,5 Prozent. Die meisten US-Unternehmen der Branche bringen es auf 15 Prozent und mehr. Der Wandel ist nicht einfach. Fabriken zu verkaufen oder zu schließen, schmerzt die großen japanischen Gesellschaften mit ihrer Tradition lebenslanger Firmenzugehörigkeit. Sony hat bereits begonnen, die Trendwende zu vollziehen. In den letzten zwei Jahren trennte sich das Unternehmen von elf der 70 Fabriken. Im letzten Jahr verkaufte Sony die eingangs genannte Fabrik an Solectron und verhalf dem Unternehmen nach neunjährigen Anstrengungen zum ersten japanischen Engagement. Heute stellt das Werk Kfz-Navigationssysteme her, und zwar weiterhin unter dem Sony-Logo.

Koichi Nichimura kam 1988 zu Solectron, die damals noch ein kleiner Vertragsproduzent in Silicon Valley waren. Unter seiner Führung erwarb das Unternehmen bald größere Produktionsstätten von Markenherstellern wie Hewlett-Packard und expandierte rasant. Bei einem Umsatz von 14 Milliarden Dollar wies Solectron zuletzt einen Netto-Gewinn von 312 Millionen Dollar aus. Solectron konzentriert sich auf die reine Herstellung. Seine Kunden sind Marken-Unternehmen, die sich nur noch um Produktdesign und Vertrieb kümmern.

Zunächst war zweifelhaft, ob die großen Markenhersteller ihre Produktion aus der Hand geben würden und damit auch den direkten Einfluss auf die Produktqualität. Doch Solectron fand viele US-Unternehmen, die diesen Nachteil in Kauf nahmen, denn dadurch sinkt das Produktionsrisiko und die Herstellungszeiten verkürzen sich.

Die Vorstandsvorsitzende von Handspring, Donna Dubinsky, sagt, ihr Unternehmen hätte nicht so schnell wachsen können, wenn man erst eigene Werke hätte bauen müssen. Vielen von Solectrons Kunden wie Cisco Systems setzt die Technologie-Krise schwer zu. Auch Solectron musste 8200 seiner 79 000 Stellen streichen. Doch nur wenige Markenhersteller gehen den Schritt zurück und bauen wieder ihre eigenen Werke.

Über die Jahre hat Nishimura, der nur wenige Worte japanisch spricht, ein Interesse für japanische Losungen entwickelt. Er zeigt in allen seinen Fabriken Schriftzüge mit japanischen Tugenden wie "Sauberkeit" und "Disziplin". Dennoch war Japan der einzige Ort, an dem sein Unternehmen lange Zeit nicht Fuß fassen konnte. Japanische Elektronikkonzerne scheuten die Auslagerung der Produktion. "Selbst wenn es nur die Herstellung einer Schraube ist, sie wollen alles kontrollieren", meint Osamu Yamada, Aufsichtsratsmitglied bei Solectron.

Dennoch stand Solectron 1998 nach zehnmonatigen Verhandlungen kurz vor dem Kauf eines großen japanischen Werkes, dessen Arbeiter zunächst entlassen und dann wieder eingestellt werden sollten. In letzter Minute platzte das Geschäft, da man sich nicht über die Rentenbeiträge für die Mitarbeiter einigen konnte. Letztlich wandte sich Solectron an den Sony-Vorstand Nobuyuki Idei. Sony sucht angesichts immer kürzer werdender Produktgenerationen nach Wegen, die Kosten für aufwändige Fertigungsanlagen einzusparen. So lud man das Solectron-Management kurzerhand zum Sony-Golf-Turnier auf Hawaii ein. Statt sportlicher Leistungen wollten die Solectron-Vertreter dem Sony Vorstand jedoch nur eines zeigen: Dank Solectron wird sich Sony wieder auf alte Tugenden konzentrieren können - Innovation, Konzepte und Design. "Sony braucht sich dann keinem Wettbewerb bei der Produktion mehr zu stellen", erklärte Solectrons Finanzchefin Susan Wang ihren japanischen Gesprächspartnern. Sony-Vorstand Idei zeigte sich beeindruckt über Nishimuras starkes Engagement für die Produktion: "Ich hielt es für eine gute Idee, ihm eine japanische Fabrik zu übertragen". Im Oktober 2000 wurde der Deal besiegelt. Für insgesamt 100 Millionen Dollar verkaufte Sony gleichzeitig ein taiwanesisches Werk an Solectron.

Eines ist klar: Sony wird sich Solectron nicht vollständig ausliefern. Zwar will der Elektronikkonzern seine Gewinnspanne bei Elektronikprodukten durch die Auslagerung der Produktion von derzeit 4,5 Prozent auf zehn Prozent steigern. Doch die Ausgliederung erfolgt auf eine eigene Tochtergesellschaft, deren Leistung streng nach der Profitabilität gemessen werden soll. Sony ist nicht nur der alleinige Eigentümer der Gesellschaft, sondern auch ihr nahezu einziger Auftraggeber. Gleichwohl wird es Sony schwer haben, meint Herr Nishimura von Solectron, da sich japanische Werke mehr auf den Service konzentrieren müssten. "Mit dem traditionellen Produzieren ist es in Japan vorbei."

Peter Landers

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