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Soziales: Geschäftstüchtige Wohltäter

Social Entrepreneurs machen den guten Zweck zu ihrer Geschäftsidee. Ihre Zahl wächst stetig, weil der Bedarf wächst.

Berlin - Am Anfang war der Frust. Jahrelang hatten Norbert Kunz und seine Kollegen Jugendlichen aus zerrütteten und bildungsfernen Familien in Kreuzberg geholfen, eine Berufsausbildung abzuschließen. Das Projekt lief so gut, dass es vielerorts übernommen wurde. „Doch am Ende mussten wir leider feststellen, dass die Jugendlichen zwar eine Ausbildung hatten, aber trotzdem arbeitslos waren“, sagt Kunz. Also startete er das nächste Projekt, „Enterprise Brandenburg“. Das bereitet Jugendliche nicht auf einen Abschluss vor, sondern auf die Selbstständigkeit. „Sie sollen lernen, sich selbst eine Erwerbsperspektive zu schaffen“, sagt Kunz.

Aus arbeitslosen Jugendlichen Unternehmer zu machen, das klingt ziemlich ehrgeizig. Doch die Idee funktioniert. „Nach drei Jahren“, sagt Kunz, „sind 70 Prozent der von uns begleiteten Gründungen noch am Markt.“ Und von denen, die aufgegeben haben, haben viele schlicht einen besser bezahlten Job angeboten bekommen. Auch das ist ein Erfolg.

Norbert Kunz ist das, was man neudeutsch einen Social Entrepreneur nennt, ein sozialer Unternehmer. Das ist kein Unternehmer, der von seinen Überschüssen wohltätige Projekte finanziert, sondern einer, der den guten Zweck zur Geschäftsidee macht. „Ein Social Entrepreneur ist ein Mensch, der die Gesellschaft verändern will, der eine innovative Idee hat, wie ein gesellschaftliches Problem zu lösen ist, und der sich und andere dazu befähigt, die Lösung umzusetzen“, erklärt Felix Oldenburg. Er ist Hauptgeschäftsführer von Ashoka Deutschland. Ashoka wiederum ist eine internationale Organisation, die sich dafür einsetzt, einen wettbewerbsorientierten und effizienten sozialen Sektor zu schaffen – und die Idee des Social Entrepreneur zu verbreiten. „Der Social Entrepreneur hört erst auf, wenn er den Markt erobert hat. Das heißt: bis das Problem in der ganzen Gesellschaft gelöst ist“, sagt Oldenburg. Dabei handelt der Social Entrepreneur nach betriebswirtschaftlichen Regeln, er beschafft sich die nötigen Ressourcen und kontrolliert den Erfolg. Die Gewinne fließen nicht an den Unternehmer, sondern bleiben im Unternehmen und werden wieder in neue Projekte investiert.

Kunz ist einer von 27 deutschen Ashoka Fellows, von sozialen Unternehmern, die Ashoka finanziell unterstützt, damit sie ihre Ideen entwickeln und verbreiten können. „Ich möchte Geld verdienen mit einer gesellschaftlich sinnvollen Tätigkeit“, sagt Kunz, der Bankkaufmann gelernt und Wirtschaftspädagogik studiert hat. 1994 gründete er IQ Consult, eine soziale Innovationsagentur, die unter anderem Kommunen, Ministerien und die Bundesagentur für Arbeit berät, und parallel einen Verein, der die gemeinnützigen Projekte durchführt. Nach dem Ausbildungsprojekt und der Gründungsförderung gehen Kunz und seine Kollegen nun ein weiteres Problem an: die Finanzierung der Gründungsideen ihrer Klientel. Zu einer Bank brauchen die arbeitslosen Jugendlichen mit ihren Geschäftsplänen in der Regel gar nicht erst zu gehen – Erfolgsaussicht null. „Wir haben ein Mikrofinanzsystem entwickelt, dass demnächst bundesweit etabliert wird“, sagt Kunz. IQ Consult vergibt Kredite für Gründer zwischen 5000 und 10 000 Euro.

Auch Rose Volz-Schmidt ist ein Ashoka Fellow, auch sie will ein gesellschaftliches Problem lösen, eines, das sie früher selber hatte. Als die Sozialpädagogin und Fachfrau für Familienbildung selbst Mutter wurde, konnte sie zur Betreuung der Kinder nicht auf die Unterstützung der weit entfernt lebenden Familie setzen. „Ich saß richtig auf dem Trockenen“, sagt Volz-Schmidt. „Ich dachte, da muss man doch was tun.“ Aus dem Beschluss ist die gemeinnützige GmbH Wellcome geworden, die in einer Art Franchisesystem inzwischen an 127 Standorten bundesweit vertreten ist. Die Idee: Eltern, die keine Hilfe aus der Familie bekommen, erhalten sie von Wellcome. Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen kommen ins Haus, betreuen die Babys, um der Mutter einmal Ruhe zu gönnen, begleiten beim Gang zum Kinderarzt, spielen mit den Geschwisterkindern, machen Einkäufe – und hören zu.

„Wir gründen neue Wellcome-Teams nicht irgendwo, sondern docken sie an bestehende Einrichtungen an“, sagt Volz-Schmidt. „Wir ergänzen die lokale Angebotspalette um ein Angebot, dass es so bisher nicht gibt.“ Die Helferinnen arbeiten ehrenamtlich. Die Familien zahlen vier Euro pro Stunde an die Teams. Wellcome wiederum kassiert von den Teams eine Kooperationsgebühr. Dieses Geld setzt Wellcome für Fortbildung, Qualitätssicherung und neue Projektideen ein. Ziel ist es, dass sich Wellcome künftig zu 70 Prozent aus Kooperationsgebühren finanziert. Im Moment sind es in der Hauptsache noch Stiftungsmittel und Gelder aus einer Kooperation mit einem Pharmaunternehmen. „Für innovative Ansätze im sozialen Bereich ist es schwer, eine Aufbaufinanzierung zu bekommen“, sagt Schmidt-Volz.

Dass sich das ändern soll, hat sich auch das Berliner Genisis-Institut zum Ziel gesetzt, dass die Social-Business-Bewegung in Deutschland anstoßen will. Inzwischen gibt es die ersten Fonds, die geduldiges Kapital sammeln, Kapital von Investoren also, die es mehr auf eine soziale Rendite als auf Zinsen abgesehen haben. Dennoch geht es bei der Idee des Social Business auch darum, Geld zu verdienen, sagt Genisis-Gründer Peter Spiegel. „Meine große Mission ist nicht weniger als die Versöhnung von ökonomischem Denken und der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen“, sagt Spiegel. „Unser Anspruch ist, dass sich Social Business voll und ganz selbst trägt.“ Er folgt damit der Idee des Friedensnobelpreisträgers Muhamad Yunus und seiner Grameen Bank, die Kredite an die Ärmsten vergibt, die bei keiner anderen Bank je Kredit bekommen hätten. „Ausgerechnet eine Bank ist zu einem der wirksamsten Instrumente der Armutsbekämpfung geworden“, sagt Spiegel. Für ihn ist das auch ein Beweis dafür, dass gesellschaftliche Probleme mit ökonomischen Ansätzen gelöst werden können. „Social Business kann viel mehr bewirken als wohltätige Organisationen, weil es nachhaltig ist und seine Ressourcen immer wieder selbst erwirtschaftet“, sagt Spiegel.

Das muss auch der Berliner Unternehmer Friedrich Kiesinger. Er ist Psychologe, betreute unter anderem selbstmordgefährdete Patienten. Selbst wenn sie nach ihrer Therapie geheilt sind, finden sie oft keinen Job im ersten Arbeitsmarkt. Kiesinger hat daher neben dem gemeinnützigen Verein Albatros noch ein Unternehmen gegründet: Pegasus ist eine Art Mischunternehmen, das von der Gebäudereinigung über EDV bis zum Catering eine ganze Reihe von Dienstleistungen anbietet. Mit Erfolg. „Wir müssen uns am Markt wie ein ganz normales Unternehmen behaupten“, sagt Kiesinger. „Nur so können wir nachhaltig arbeiten und die Menschen, die von uns kommen, finden dann auch anderswo einen Job. Das wäre nicht so, wenn wir als eine Art Behindertenwerkstätte wahrgenommen würden.“ Pegasus gibt es bereits seit 1998, bevor es den Begriff Social Business gab. „Ich lerne erst jetzt, dass das etwas Besonderes ist“, sagt Kiesinger. „Für mich war das so eine Art Männerding: tatkräftig gestalten und nicht nur darüber reden.“

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