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Werbung für die Sozialwahl machen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Mitarbeiter der Post. Sie ist mit 48 Millionen Wahlberechtigten eine der größten Abstimmungen des Landes.

© dpa

Sozialwahl 2011: Ungeliebte Selbstverwaltung

Heute werden die ersten Bescheide zur Sozialwahl verschickt. Die Veranstalter hoffen auf mehr Beteiligung als beim letzten Mal.

Berlin - Es geht noch schlechter: Bei den Wahlen zum Pfarrgemeinderat St. Martin in Winterrieden bei Augsburg machten 2010 nur 20 Prozent der Gemeindemitglieder mit. Die Europawahl 2009 ignorierten 70 Prozent der Brandenburger komplett. Auch die Sozialwahl findet im wesentlichen ohne Wähler statt. 2005, beim letzten Mal, malten gerade einmal 30,8 Prozent ihre Kreuzchen auf den Wahlbogen. Dieses Jahr soll es besser werden, hoffen die Veranstalter. Am Montag werden die ersten Wahlunterlagen verschickt.

Doch kaum jemand der 48 Millionen Wahlberechtigten weiß, was er eigentlich wählen soll – und warum. Dabei lassen die Deutsche Rentenversicherung (DRV) und die fünf Krankenkassen, die ihre Mitglieder zur Wahl bitten, auch in diesem Jahr nichts unversucht, die müden Wähler zu aktivieren. Mit TV-Spots, persönlichen Anschreiben und großformatigen Werbeplakaten soll das Wahlvolk in Schwung gebracht werden. 48 Millionen Euro wird das kosten – das Geld kommt von den Steuer- und Beitragszahlern. „Unnötige Werbemaßnahmen“ seien das, ärgert sich Karl Heinz Däke, Präsident des Bundes der Steuerzahler. „Das Geld der Steuer- und Beitragszahler darf nicht für überflüssige Reklame verwendet werden“, sagte Däke dem Tagesspiegel.

Doch die Veranstalter haben ein Problem. Ohne die Werbung würde kein Beitragszahler kapieren, dass mit der Sozialwahl nichts Geringeres als das hohe Gut der Selbstverwaltung verteidigt wird. Bei der Sozialwahl geht es um die Wahl der Vertreterversammlung (Rentenversicherung) und die Besetzung der Verwaltungsräte (Krankenkassen). Zwar werden Beitragssätze, Rentenhöhe und die wichtigsten Kassenleistungen in Deutschland vom Gesetzgeber festgelegt, dennoch haben auch die Selbstverwaltungsorgane, in denen Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sitzen, etwas zu sagen. Sie beschließen den Haushalt der jeweiligen Träger. Auch wenn eine Krankenkasse Leistungen anbieten will, die über das gesetzliche Maß hinausgehen, muss der Verwaltungsrat zustimmen. Bei der Rentenversicherung entscheidet die Vertreterversammlung über organisatorische Fragen, die Anlage der Versichertengelder und die Ausgestaltung der Rehabilitationsmaßnahmen.

Für DRV-Präsident Herbert Rische ist die Sozialwahl daher „gelebte Bürgerbeteiligung“. Auch Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) fordert die Deutschen auf, „unsere ehrenamtlichen Selbstverwaltungsgremien“ mit Leben zu erfüllen und sich dort zu engagieren. Doch den meisten Kassenmitgliedern und Rentenzahlern ist die Selbstverwaltung egal. Gerade einmal 1,1 Millionen der 30 Millionen Wahlberechtigten der DRV haben bisher die Broschüre angefordert, in der sich die aktuellen Kandidaten vorstellen.

Die wenigen, die sich tatsächlich die Mühe machen und die 14 Listen anschauen, die bei der DRV antreten, sind hinterher auch nicht viel schlauer als vorher. Verdi und die IG Metall kennt man, aber wie sich die Barmer GEK-Versichertenvereinigung auf Liste sechs von der auf Liste sieben antretenden Barmer GEK-Gemeinschaft unterscheidet, wäre eine unlösbare Millionenfrage bei „Wer-wird-Millionär?“. Das Interesse ist groß: Gerade einmal 30 Plätze sind in der Vertreterversammlung der DRV zu vergeben, das ließe sich bequem mit den Kandidaten von zwei Listen besetzen. Dabei ist der Vertreterposten ein Ehrenamt und wird nur mit einer Aufwandsentschädigung von 62 Euro pro Sitzung versüßt.

Von den Krankenkassen bitten nur die großen, die Barmer GEK, die Techniker, die DAK, die KKH Allianz und die HKK, zur Wahl. Alle anderen Kassen erledigen die Sozialwahl im Geheimen. Sie führen sogenannte Friedenswahlen durch, bei denen die Verbände die Vertreter aussuchen und nur so viele Kandidaten ins Rennen schicken wie Plätze vorhanden sind. Bei der DRV lehnt man das ab. „Stuttgart 21“ habe gezeigt, dass die Menschen mehr Beteiligung wollen, heißt es bei der Rentenversicherung.

Bis zum 1. Juni muss der Wahlbrief zurückgeschickt sein. Dann wird sich zeigen, wie groß der Wunsch der Bürger nach einer Beteiligung an der Selbstverwaltung ist. Heike Jahberg

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