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Generation Genug! In Spanien hat fast jeder zweite Jugendliche keine Arbeit. Regelmäßig gibt es deshalb Proteste. Foto: Morenatti/AP/dapd

© Emilio Morenatti/AP/dapd

Spanien: Die Flucht der Gehirne

Weil sie in ihrer Heimat keine Arbeit finden, kommen immer mehr Spanier nach Deutschland. Zwei Geschichten.

Nach drei Monaten weiß Beatriz Martín Valverde, dass sie nicht bleiben kann. Von Monat zu Monat wird es leerer in dem Firmengebäude in Granada. Das mittelständische Betonunternehmen, das die junge Bauingenieurin unter Vertrag nahm, hat mit systematischen Entlassungen begonnen. Für diejenigen, die ihre Stelle vorerst behalten dürfen, gibt es kaum noch Arbeit. Und ob der Lohn überwiesen wird? Das fragen sich Beatriz und die verbleibenden Kollegen jeden Monat aufs Neue.

Doch nicht nur in ihrer Firma, auch in ihrer Heimatstadt Granada wird sie nicht bleiben können, weiß Beatriz. Nicht in Andalusien und auch nicht in Spanien.

Der 27-Jährigen geht es wie vielen ihrer früheren Kommilitonen. Als diplomierte Bauingenieure bitten sie bei Baufirmen überall im Land um Vorstellungsgespräche. Nicht für eine Vollzeitstelle, sondern für ein Praktikum. Und, manchmal, ein paar hundert Euro Bezahlung. Beatriz selbst verdient in der Betonfirma 300 Euro im Monat. Mit 25 Prozent ist Spaniens Arbeitslosenquote eine der höchsten der Welt, unter den Jugendlichen ist die Situation noch schlimmer. Jeder zweite von ihnen hat keine Arbeit.

„Also gut“, sagt Beatriz im Frühling zu ihren Eltern, „ich gehe.“ Sie denkt an die Freunde von der Universität, die mittlerweile in Santiago de Chile, in Mexiko Stadt oder in Lima als Bauingenieure arbeiten. Im Juni fliegt sie nach Berlin, ohne ein Ticket für die Rückreise und ohne ein Wort Deutsch zu können. Dann schreibt sie sich für einen Kurs an einer Sprachschule ein.

Fünf Monate später sitzt Beatriz in einem Café in Berlin-Friedrichshain und nippt an einer Tasse Kakao. Ob es ihr gut geht? Beatriz, dunkle Augen, dunkle Haare, dunkles Kleid, runzelt die Stirn. „Ich vermisse Spanien sehr. Aber ich will arbeiten. Deswegen geht es mir hier in Deutschland besser. Ich habe nicht sechs Jahre lang studiert und tausende Euro für die Ausbildung gezahlt, um dann arbeitslos zu sein.“ Noch arbeitet Beatriz nicht, aber sie glaubt, dass sie auf einem guten Weg ist. Ihr Sprachkurs dauert noch bis zum Frühjahr 2013. Für die Zeit danach bewirbt sie sich auf Praktika bei Baufirmen, ein Unternehmen hat schon Interesse signalisiert. Im Alltag kann Beatriz sich schon verständigen, nur mit dem Fachvokabular hapert es noch. „Bisher kenne ich nur ,Tiefbau’ und ,Beton’ sagt die Bauingenieurin. Im März, wenn der Sprachkurs vorbei ist, will sie wieder einen Arbeitsvertrag in der Tasche haben. „Darauf setze ich alle Hoffnungen“, sagt Beatriz. „Ich will es hier schaffen.“

Mit ihren Hoffnungen ist die junge Bauingenieurin nicht allein. Seitdem in ihrer Heimat die Wirtschaftskrise wütet, suchen immer mehr Spanier ihr Glück im Ausland. Viele von ihnen sind jung und gut ausgebildet. Ihren Weggang aus Spanien haben die dortigen Medien „Fuga de Cerebros“ getauft, die „Flucht der Gehirne“. Mittlerweile gleicht die Flucht einem Exodus. Eine Dreiviertelmillion Menschen hat nach Zahlen des spanischen Statistikamts zwischen Januar 2011 und Juni 2012 das Land verlassen, Tendenz steigend.

In Deutschland übersetzt sich diese Flucht der Gehirne in Zuwanderung. 12 000 Spanier kamen im ersten Halbjahr 2012. Im Vergleich zu den Vorjahren stieg die Zuwanderung um 53,4 Prozent als im gleichen Zeitraum 2011, verglichen mit 2010 liegt die Steigerung sogar bei 128 Prozent. Wie die Bundesagentur für Arbeit mitteilt, ist die Zahl der beschäftigten Spanier seit August 2011 um 13,4 Prozent angestiegen. In der gleichen Größenordnung nimmt jedoch auch die Zahl der Spanier zu, die in Deutschland nach Arbeit suchen oder Arbeitslosengeld bekommen. Nicht für alle Auswanderer geht der Traum von einer Arbeit in Deutschland in Erfüllung.

Vorerst gescheitert etwa ist der Traum von Sonia Camacho Serrano. An einem Mittwochmorgen im November, kurz nach neun, geht sie durch die gläserne Schiebetür der Bundesagentur für Arbeit in Berlin Mitte. Unter ihrem linken Arm klemmt eine Kladde aus roter Pappe, darin ein Antrag auf Arbeitslosengeld. Sonia wartet in der Schlange am Schalter, dann schiebt sie einen daumendicken Stapel gräulicher Papiere über den Schalter am Empfang.Die Agentur prüft nun, ob Sonia Arbeitslosengeld beziehen darf. „Wiedersehen“, murmelt die Spanierin und lässt die Kladde in ihrer Tasche verschwinden.

Sie hätte nicht gedacht, dass es einmal so weit kommt, sagt Sonja. Lange hatte sie gezögert, ehe sie sich an das Arbeitsamt wandte. „Aber letztendlich brauche ich Geld zum Leben.“

Noch im Oktober konnte Sonia für sich selbst sorgen. Sie arbeitete im Callcenter einer Fluggesellschaft in Potsdam. Für 1000 Euro im Monat antwortete sie dort auf die Fragen spanischer Kunden. Doch nun gibt es das Callcenter nicht mehr, zumindest nicht in Deutschland. Die Fluggesellschaft hat es nach Polen ausgelagert, wegen der geringeren Lohnkosten. Sonia und rund 40 ehemalige Kollegen stehen nun auf der Straße.

Eigentlich hatte sich die 32-Jährige etwas anderes erhofft, als sie vor zweieinhalb Jahren nach Deutschland flog. In ihrer Heimatstadt Sevilla hatte die studierte Kommunikationswissenschaftlerin die Öffentlichkeitsabteilung eines Radiosenders geleitet. Doch dann kam die Krise nach Spanien, die Werbekunden wurden immer weniger. „Am besten gehst du hier weg, so schnell du kannst“, riet ihr ein Onkel. Sonia bewarb sich für ein Praktikum in Berlin und bekam die Zusage. Damit war die Entscheidung klar, sagt sie.

Doch außer unbezahlten Praktika fand Sonia in Deutschland nichts in ihrer Branche. Der Grund, glaubt sie, seien ihre zu schlechten Deutschkenntnisse, sie reichen nur für ein paar Sätze. „Es gibt einfach zu viele Spanier, die sich auf die wenigen Jobs bewerben, für die man nicht so gut Deutsch sprechen muss“, sagt sie. Viele von ihnen arbeiteten sogar unbezahlt, nur um keine Lücke im Lebenslauf zu haben.

Zwei Wochen, nachdem Sonia durch die Glastür der Bundesagentur für Arbeit gegangen ist, erhält sie Post. Es ist ein Schreiben des Arbeitsamts, das Arbeitslosengeld ist bewilligt. Einen Teil davon will sie nun in einen Intensiv-Sprachkurs investieren, damit ihr Deutsch besser wird. Danach glaubt sie, wird sie wieder Arbeit finden. Ans Aufgeben denkt Sonia nicht, genauso wenig wie Beatriz.

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