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Euphorie statt Rezession: Die Regierung hofft, dass ein WM-Titel die Wirtschaft wieder anschieben könnte. Foto: dpa

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Spanien verdrängt die Krise: Beruhigungspille Fußball

Trotz der Schuldenkrise ist Spanien in Jubelstimmung – die Fußball-WM überstrahlt die ökonomischen Probleme und verschafft den Gastronomen Rekordumsätze. Fraglich ist, ob die Wirtschaft einen neuen Aufschwung erlebt oder ob es nur beim kurzen Zwischenhoch bleibt.

Madrid - „Krise? Welche Krise? Wir waren noch nie so erfolgreich“, sagt Barmann Carlos, der am Zapfhahn kaum noch mit dem Abfüllen der Bierkrüge nachkommt. Spaniens Nationalelf, die „rote Furie“, spielt wie entfesselt, steht am Sonntagabend erstmals in der Geschichte im WM-Finale. Und Carlos’ Kneipe in der spanischen Hauptstadt Madrid ist seit Wochen gerammelt voll.

„Wir machen an Fußball-WM-Tagen Rekordumsätze“, freut sich Carlos. Und auch während des Schicksalsspiels Spanien–Holland wird das Bier hier in Strömen fließen. Der Gaststättenverband, der in den letzten Monaten beklagte, dass die durch Schulden- und Immobilienkrise gebeutelten Spanier immer weniger in Bars und Restaurants gehen, freut sich: „Der Bierkonsum im Land ist dank der Fußball-WM um 30 Prozent gestiegen.“

Egal ob Spanien das Finale gewinnt oder nicht: Die großartige Leistung der königlichen Kicker hat jetzt schon einen Stimmungsumschwung bewirkt, der Volk, Unternehmer und Politiker optimistischer in die Zukunft schauen lässt. „Wir wollen die Krise doch einfach mal vergessen und fröhlich sein“, rief ein Radiomoderator seinen Hörern zu. Und ein Anrufer beglückwünschte in der Sendung das Nationalteam mit den Worten: „Danke, dass ich für eine Weile nicht mehr daran denken muss, keinen Job zu haben.“

In Spanien sind 20 Prozent der aktiven Bevölkerung ohne Arbeit, bei der Jugend bis 25 Jahre sind es gar 40 Prozent. Der Staat ist hoch verschuldet, was den sozialistischen Regierungschef José Luis Zapatero zu einem harten Sparkurs zwingt: Steuererhöhungen, Gehaltskürzungen und soziale Einschnitte machen den Bürgern zu schaffen. Viele Familien sind überschuldet. Über tausenden Unternehmen, vor allem in der kollabierten Immobilienbranche, droht die Pleite.

Industrieminister Miguel Sebastián glaubt, dass die WM Spaniens Wirtschaft wieder anschieben könnte. Und dass sich die negativen Prophezeiungen von EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds, die dem Land auch für 2010 eine anhaltende Rezession voraussagen, in Luft auflösen könnten. Erst recht, wenn Spanien tatsächlich Weltmeister werden sollte. Dann werde man alle Prognosen nach oben korrigieren. „Das wird nicht nur den Konsumenten einen großen Schub geben“, sagt Sebastián, „sondern auch dem Bild Spaniens im Ausland.“ Ein optimistisches, ja euphorisches Volk wird mehr kaufen, lautet Sebastiáns Kalkül. Und der Titel des Weltmeisters in der wohl populärsten Sportart werde die „Marke Spanien “ international beflügeln. „Ich bin sicher, dass wir dann in China und anderen Ländern unsere Präsenz verbessern können.“

Auch Ministerpräsident Zapatero versucht, etwas Glanz von Spaniens Fußballern auf seine unpopuläre Regierung zu lenken: „Spanien spielt in allen Bereichen so, wie man es im Fußball sieht.“ Eine Beschreibung, die wenig mit dem Pessimismus der Finanzmärkte übereinstimmt, die den Staat mangels Reformen und Wettbewerbsfähigkeit schlecht für die Zukunft gerüstet sehen. Doch Zapatero setzt darauf, dass der kollektive Fußballrausch das angeknackste „Vertrauen und Selbstbewusstsein hebt”.

In der Tat profitieren in diesen Tagen der Fußballfreude einige Branchen: Im Land werden so viele Spanienfahnen, Fußballshirts und Fanartikel verkauft wie noch nie zuvor. In den Supermärkten räumen Kunden die Getränke- und Chipsregale leer. Die Handynetzbetreiber haben ihren Umsatz dank unzähliger Fußball-Kurznachrichten verdoppelt. Die Aktien des Fernsehsenders Telecinco, der die WM-Senderechte hält und Traum-Einschaltquoten verzeichnet, steigen in den Himmel.

Ein Lichtblick, von dem man noch nicht weiß, ob er sich wirklich in einen neuen und anhaltenden Wirtschaftsaufschwung verwandelt – oder ob es sich bei der überschäumenden Stimmung vielleicht doch nur um eine Art nationale Beruhigungspille handelt, wie der Sportpsychologe Pablo del Rio befürchtet: „Das wird helfen, vorübergehend ein bisschen die Stimmung zu heben.“ Aber die raue Wirklichkeit werde die Spanier schnell wieder einholen. „Es werden weiterhin viele ohne Arbeit sein“, sagt del Rio. Der Kater auf den Rausch sei also programmiert, denn „die Euphorie kann man nicht essen.“

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