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Wirtschaft: SPD empört Industrie-Lobby Aber Trigema und Porsche finden Debatte richtig

Rürup: Kosten der Arbeit müssen sinken

Berlin Die Kapitalismus-Kritik der SPD und vor allem der indirekte Boykott-Aufruf von Vize-Parteichefin Ute Vogt von Unternehmen, die Mitarbeiter entlassen, empört die Wirtschaft. Der Bundesverband der Industrie (BDI) forderte die SPD am Dienstag auf „wieder zur Besinnung“ zu kommen und gemeinsam mit der Wirtschaft nach Wegen zu mehr Wachstum zu suchen.

„Die SPD verspielt im Wahlkampfrausch deutsche Arbeitsplätze. Wenn die Staatssekretärin des Innenministeriums zum Boykott deutscher Waren aufruft, dann passt das nicht mit dem Wunsch der Bundesregierung nach Investitionen und Wirtschaftswachstum zusammen“, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenberg dem Tagesspiegel.

Ähnlich äußerten sich andere Wirtschaftsverbände. „Das ist vordergründig, undifferenziert, wahltaktisch motiviert und konterkariert die Bemühungen dieser Industrie, ausländische Investoren nach Deutschland zu holen“, sagte Bernd Gottschalk, Präsident des Verbandes der Autoindustrie, dem Tagesspiegel. Seine Branche müsse sich von der Kritik nicht angesprochen fühlen, denn sie sei eine der wenigen Branchen, die im Inland Arbeitsplätze geschaffen hat. Deutschland dürfe sich der Globalisierung nicht verschließen: „Wer sich von den Weltmärkten abschottet, sägt sich den Ast für Wachstum und Beschäftigung am eigenen Standort ab.“

Einige Unternehmer sehen die Kritik jedoch auch als berechtigt an. Wolfgang Grupp, der Inhaber des Textilherstellers Trigema, sagte dem Tagesspiegel, die Kritik der SPD sei „im Kern richtig“, da Unternehmer die Pflicht hätten, Arbeitsplätze zu schaffen. Dafür könne er sich „gravierende Steueranreize“ vorstellen. „Es darf nicht sein, dass diejenigen, die Arbeitsplätze tatsächlich noch erhalten, den Ballast der anderen tragen müssen. Wer Arbeitsplätze hier unterhält, muss steuerlich anders behandelt werden als jemand, der hier nur die Vorteile des deutschen Standorts nutzt und die Nachteile nicht in Kauf nimmt“, sagte Grupp.

Die Lohnnebenkosten seien zu hoch, „weil Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften Dinge ausgehandelt haben, die nicht mehr tragbar sind“. Dies müsse korrigiert werden. Der Standort sei nicht zu teuer, wenn man ihn richtig nutze und nicht auf Massenproduktion setze, sagte Grupp. Trigema leide unter nachlassender Nachfrage, „wenn andere nicht ihre Pflicht tun und Arbeitsplätze erhalten“.

Auch der Autohersteller Porsche zeigte Verständnis. „Es muss einem SPD-Chef gestattet sein, vor einer wichtigen Wahl seine Klientel hinter dem Ofen hervorzulocken“, sagte Porsche-Sprecher Anton Hunger. In einigen Punkten habe Müntefering „nicht ganz Unrecht“. „Die Unternehmen bei ihrer Verantwortung für den Standort Deutschland zu packen, ist durchaus in Ordnung", sagte Hunger.

Der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Bert Rürup, sagte, in der Debatte um den Kapitalismus sei mehr Sachlichkeit nötig. „Ändern kann die nationalstaatliche Politik an diesen Trends kaum etwas." Der Wissenschaftler forderte, dass sich die Politik „für die Verlierer der Globalisierung einsetzt“.

Wer mehr Arbeitsplätze in Deutschland wolle, müsse die Kosten für Arbeit senken. 45 Prozent aller staatlichen Abgaben belasteten derzeit den Faktor Arbeit. Die Steuerquote sei im Vergleich dazu „auf einem historisch niedrigen Niveau“. Rürup schlug daher vor zu prüfen, ob Sozialleistungen in Zukunft stärker aus dem Steuersystem finanziert werden können.

Führende Gewerkschafter begrüßten die Debatte. „Wir brauchen endlich eine intensive Diskussion über die Rolle und die Verantwortung der Manager in Deutschland“, sagte IG-Metall-Chef Jürgen Peters. Wer die Wirtschaft nach vorn bringen wolle, „muss in Deutschland investieren und Vertrauen in die Menschen setzen und sie nicht erpressen und bedrohen“. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer äußerte sich ebenfalls. „Die Wirtschaft hat über Jahrzehnte immer neue Geschenke von der Politik eingestrichen – die dafür versprochenen Arbeitsplätze aber nie geliefert.“ Trotz Steuerentlastungen liege die Arbeitslosenzahl auf Rekordniveau. asi/alf/mod/vis

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