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Wirtschaft: Spekulanten kommen zu neuem Ruhm

Die Leute kaufen wie verrückt.Der Preis steigt in ungeahnte Höhen.

Die Leute kaufen wie verrückt.Der Preis steigt in ungeahnte Höhen.Dann kippt die Stimmung.Der Preis bricht zusammen, fällt auf ein Zehntel seines Höchststandes.So wie eine Seifenblase platzt, blieb kaum noch etwas übrig vom Kapital auf dem holländischen Markt für Tulpenzwiebeln in der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts.Auch als Ursache der Finanzkrise in Fernost gilt nach Ansicht vieler Beobachter das Verhalten der Anleger.Das umschreibt mancher gerne mit dem kriegerischen Begriff der "spekulativen Attacke", den sich der amerikanische Ökonom Paul Krugman vom Massachusetts Institute of Technology vor fast 20 Jahren ausgedacht hat.Die Attacke gilt der Währung eines Landes und läßt ihren Kurs fallen.Michael Burda, Professor für Wirtschaftstheorie an der Humboldt-Universität in Berlin: "Die Zentralbank ist in der Defensive und nicht auf der Jagd." Auf der Jagd sind die anderen.

Zum Beispiel der milliardenschwere George Soros, der vor fünf Jahren eine Attacke gegen das britische Pfund ritt.Ein leichtes Spiel für den Mann, dessen Name seitdem als Synonym des erfolgreichen Spekulanten gilt: Denn das Pfund Sterling war in das Europäische Währungssystem eingebunden, sein Kurs fest, solange die europäischen Finanzminister keinen neuen festlegten.Trafen die Minister sich am Wochenende, verkaufte Soros zum günstigeren Kurs am Freitag, um am Montag zum schlechteren Kurs neu einzukaufen - und Milliarden zu verdienen.

Für die spekulativen Attacken während der Asienkrise mußten die Ökonomen indes eine neue Erklärung suchen.Michael Frenkel, Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar, hat eine gefunden."Erst dachten die Anleger, es kann nichts schiefgehen, weil die Regierung für die Werte einstehen würde", sagt Frenkel."Aber als die Anleger das Vertrauen in die Regierung verloren, haben sie ihr Erspartes schnell abgezogen." Mit gravierenden Konsequenzen.

So wie auf dem Markt für Tulpenzwiebeln: Die Seifenblase platzte.Sie konnte nach Ansicht von Frenkel nur deshalb so groß werden, weil ausländische Investoren und asiatische Banken ihr Geld in höchst zweifelhafte Projekte steckten.Das Image der Tigerstaaten als dynamisch wachsende Region ließ Risiken klein erscheinen.Und der Staat, so waren Investoren überzeugt, würde immer einspringen.Als er das nicht mehr konnte, vermochte niemand, den freien Fall der Preise und Kurse aufzuhalten.

Jeden Tag wechseln Devisen für ungefähr eine Billion Dollar den Besitzer, so hat es die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel ausgerechnet.Seitdem das Kapital so mobil geworden ist, ist das Ausmaß spekulativer Attacken gestiegen.Klar, daß viele Ökonomen nun schlagkräftigere Waffen für die Nationalstaaten fordern, um die Märkte zu zähmen.Deswegen sollten - wie früher üblich - Kapitalverkehrskontrollen die Spekulation eindämmen.Die Idee einer speziellen Steuer kam in den 70er Jahren auf.Der Nobelpreisträger James Tobin schlug sie vor, um "Sand in die Räder der internationalen Finanzen zu streuen".Die Abgabe sollte vor allem kurzfristige Investoren treffen: Mit einem festen Steuersatz würde die Steuerlast verhältnismäßig zunehmen, je näher Kauf und Verkauf eines Wertpapiers zusammenliegen.Deshalb würden langfristige Transaktionen kaum teurer.Dagegen gerieten Transaktionen, die binnen Sekunden oder Minuten wieder beendet werden, zu reinstem Luxus.

Freilich ist die Diskussion höchst theoretischer Natur.Nichts ist so flüchtig wie Kapital."Man braucht nur einen Computer, um zu kaufen und zu verkaufen, und der kann überall stehen", sagt Mark Wahrenburg, Ökonom an der Privaten Universität Witten-Herdecke.Die Vorzüge der immer globaleren Finanzmärkte: Der Kapitalfluß privater Investoren in aufstrebende Volkswirtschaften stieg von 34 Mrd.Dollar vor zehn Jahren auf 256 Mrd.Dollar im vorigen Jahr.Konsequenz: Anleger aus den reichen Staaten konnten sich über hohe Erträge freuen, die ärmeren Volkswirtschaften hatten endlich genügend Kapital.

Das Problem, über das niemand so richtig nachgedacht hatte: Plötzliche Zuflüsse können das Land schnell wieder verlassen.Die fünf am schwersten von der Finanzkrise in Asien betroffenen Volkswirtschaften - Südkorea, Indonesien, Thailand, Malaysia und die Philippinen - bekamen 1996 noch Nettozuflüsse von privatem Kapital in Höhe von 93 Mrd.Dollar.Die legten sie langfristig an, etwa in Bürobauten und Infrastruktur-Investitionen.Im Jahr darauf traf der Schock Fernost: Netto flossen 12 Mrd.Dollar ab.

Kein Wunder, daß das Vertrauen in die Region erschüttert ist.Darunter leiden die Kurse von Aktien und Währungen: Nicht nur Ausländer ziehen sich zurück, auch die heimischen Anleger spekulieren anderswo.Investoren ziehen Kapital aus Asien ab und bringen es nach Europa und in die USA, wo es die Börsen zu neuen Rekorden treibt.

Skeptiker verweisen jetzt auf die realen Probleme am Kapitalmarkt, auf spekulative Seifenblasen, fehlerhafte Informationen, das herdenhafte Verhalten der Investoren.Nur: Beschränkungen der Kapitalbewegungen ermöglichen kriselnden Volkswirtschaften wie kriselnden Banken, sich vor Reformen zu drücken.Schließlich fehlen ausländische Konkurrenten, und heimische Anleger kommen nicht so leicht ins Ausland, um ihr Geld dort zu sparen."Freie Märkte zeigen neue Richtungen frühzeitig an und ermöglichen Korrekturen, wenn sie noch nicht so schmerzhaft sind", sagt Thomas Mayer, Chef-Volkswirt von Goldman Sachs in Frankfurt.Sein Beispiel: Die marode Volkswirtschaft der DDR brach nicht zusammen, weil sie von den Finanzmärkten abgeschottet war - umso heftiger gerät der Anpassungsprozeß heutzutage.

Wenn Kapitalverkehrskontrollen Regierungen erlauben, notwendige Reformen aufzuschieben, wird der Druck immer größer.Kommt dann die unausweichliche Korrektur, tut das besonders weh.Aus diesem Grund erlangen Spekulanten neuen Ruhm.Mayer: "Spekulation sorgt für gesamtwirtschaftliche Vorteile." Käufe und Verkäufe wirken so wie die Arznei zur rechten Zeit.

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