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Wirtschaft: „Spekulationssteuer ist verfassungswidrig“

Experten rechnen mit Kapitalflucht ins Ausland

Berlin (hej). Steuer und Rechtsexperten warnen die Bundesregierung vor der geplanten Verschärfung der Spekulationssteuer. Diese werde bei den Bürgern zu einem „riesigen Vertrauensverlust führen“, sagte der renommierte Steuerexperte, Professor Hans-Peter Bareis von der Universität Hohenheim, am Montag dem Tagesspiegel. Wer in diesem Sommer eine vermietete Immobilie geerbt hat und diese im Dezember mit Gewinn verkauft, müsse künftig nicht nur Erbschaft- , sondern auch noch Einkommensteuer zahlen. „Unterm Strich können so Steuersätze von über 70 Prozent zusammenkommen“, warnt Bareis, der Anfang der 90er Jahre die Kommission zur Reform des Einkommensteuerrechts geleitet hatte. Während bisher beim Verkauf von vermieteten Immobilien eine Spekulationsfrist von zehn Jahren gilt, will die rot-grüne Regierung Spekulationssteuer für alle Verkäufe erheben, die nach dem Kabinettsbeschluss am 20. November stattfinden. Auch beim Verkauf von Wertpapieren, bei denen die Spekulationsfrist bislang ein Jahr betrug, sollen Verkaufsgewinne künftig unbegrenzt besteuert werden. Bareis befürchtet, dass diese Regelungen eine erneute Steuerflucht auslösen werden. „Die Bürger werden das nicht akzeptieren“, sagt der Steuerexperte. Benachteiligt seien die Eigentümer von Immobilien: „Grundstücke können nicht auswandern“.

Eine verstärkte Steuerflucht befürchtet auch Wolfgang Arndt, Professor für Öffentliches Recht und Steuerrecht, an der Universität Mannheim. Der Jurist hält die geplante Verschärfung der Spekulationssteuer für verfassungswidrig. Denn bleibt es bei den bisherigen Plänen der Regierung, wäre es völlig egal, wann man eine Immobilie oder ein Wertpapier erworben hat – verkauft man mit Gewinn, muss man zahlen. Arndt befürchtet, dass jetzt wieder verstärkt Kapital ins Ausland geschafft wird, oder die Bürger ihr Geld in Anlageformen umschichten, die von der Steuer nicht erfasst sind – wie Münz-, Briefmarken- oder Oldtimer-Sammlungen. Auch die auf EU-Ebene geplanten Kontrollmitteilungen über Zinseinkünfte würden die Steuerflucht nicht verhindern. Der Kampf gegen Steuerhinterziehung sei wie das Wettrennen zwischen „Hase und Igel“.

Ob es bei der unechten Rückwirkung bleibt oder ob der Entwurf bis zur Kabinettssitzung noch einmal verändert wird, wollte der Leiter der Steuerabteilung im Bundesfinanzministerium, Gerhard Juchum, nicht kommentieren. Würde die Regierung den Experten folgen, müsste sie ihren Entwurf der „Giftliste“ noch einmal überarbeiten. So sollte die unbeschränkte Spekulationssteuer nur für Neuerwerbe gelten, fordert Jurist Arndt.

Auch bei der Unternehmensbesteuerung müsse die Regierung Korrekturen machen, sagt Steuer-Professor Bareis. Die Regierung will Verluste der Unternehmen nur sieben Jahre lang anerkennen und das auch nur in begrenztem Umfang. „Die Telekom müsste in den nächsten sieben Jahren 56 Milliarden Euro Gewinn machen, um ihre Verluste von 28 Milliarden Euro in diesem Jahr anrechnen zu können“, kritisiert auch Deutsche-Bank-Steuerexperte Götz Weitbrecht.

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