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Wirtschaft: Stabilität auf der Kippe

Zum Tête-à-Tête mit seinen Kollegen aus der Europäischen Union vergangene Woche in Brüssel konnte der deutsche Finanzminister Hans Eichel noch erhobenen Hauptes erscheinen. Österreich und Luxemburg waren die Prügelknaben, die sich gegen eine Einigung im Zinssteuer-Streit sperrten - Eichel hatte keinen Unbill zu befürchten.

Zum Tête-à-Tête mit seinen Kollegen aus der Europäischen Union vergangene Woche in Brüssel konnte der deutsche Finanzminister Hans Eichel noch erhobenen Hauptes erscheinen. Österreich und Luxemburg waren die Prügelknaben, die sich gegen eine Einigung im Zinssteuer-Streit sperrten - Eichel hatte keinen Unbill zu befürchten. Das nächste Treffen könnte für den selbst ernannten SPD-Sparminister allerdings deutlich unangenehmer ausfallen. Der Grund: Deutschland läuft als erstes Teilnehmerland der Währungsunion Gefahr, die strengen Schuldenregeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu verletzen und damit den Ruf des neuen Geldes zu ramponieren. Wegen zahlloser Etatlöcher bei vielen Ländern und bei der Sozialversicherung könnte die EU die Deutschen bald abmahnen - und sogar empfindliche Strafen verhängen.

Schuld an den Haushaltsproblemen ist der Einbruch bei den Steuereinnahmen wegen der immer noch schlechten Wirtschaftslage. Daran wird sich vorerst wenig ändern. Vergangene Woche legten mehrere Banken und Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Erwartungen für das Wachstum vor - Tenor: Es bleibt deutlich unter einem Prozent, frühestens Mitte 2002 kommt eine stärkere Erholung. Nur das Kieler Institut für Wirtschaftsforschung (IfW) rechnet optimistisch mit 1,3 Prozent Plus.

Eichels bereits nach unten korrigiertes Ziel, im kommenden Jahr die Neuverschuldung des Staates und der Sozialkassen auf mindestens 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken, dürfte damit kaum zu schaffen sein. Ursprünglich wollte er sogar 2,0 Prozent schaffen. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) rechnete nun in seiner neuen Wachstumsprognose aus, dass es sogar 3,0 Prozent werden könnten. Und die EU-Kommission warnte die Deutschen bereits Ende November, ihre Annahmen seien zu optimistisch. Die größte Volkswirtschaft der EU werde eher bei 2,7 Prozent liegen und damit in die Nähe der Defizitgrenze kommen, hieß es aus Brüssel.

Vor allem die Etats der Bundesländer laufen aus dem Ruder. Am Donnerstag musste Brandenburgs Finanzministerin Dagmar Ziegler (SPD) Risiken von knapp 1,2 Milliarden Mark für das kommende Haushaltsjahr einräumen. In Berlin fehlen dem neuen rot-roten Senat 2002 mindestens zwei Milliarden Mark. Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland wollen zusammen für knapp 300 Millionen Mark mehr Kredite aufnehmen als zunächst geplant. Und Nordrhein-Westfalen will kommenden Mittwoch einen Haushalt verabschieden, der die Neuverschuldung um 800 Millionen Mark erhöht.

Auch die gesetzliche Krankenversicherung bereitet Sorgen. 2001 schlossen die Krankenkassen mit einem Defizit von vier Milliarden Mark. Das Arzneimittel-Paket sowie die bessere Behandlung von chronisch Kranken sollen das Defizit 2002 reduzieren. Doch die Entlastungen werden nicht ab Januar, sondern erst ab März wirksam werden, außerdem sorgt die Arbeitslosigkeit für weitere Einnahmeausfälle.

Sollte Deutschland tatsächlich mehr Schulden aufnehmen, als es den EU-Regeln gemäß darf, drohen empfindliche Sanktionen. Zunächst mahnt die EU-Kommission das Land per Blauem Brief ab. "Der ist Berlin so gut wie sicher", erwartet der CDU-Haushaltsexperte Dietrich Austermann. Bekäme Minister Eichel das Defizit dann immer noch nicht in den Griff, müsste er rund acht Milliarden Mark nach Brüssel überweisen - zunächst als zinslose Einlage, später als echte Strafe. Ausnahmen - Naturkatastrophen oder Rezessionen von mindestens 0,75 Prozent Produktionseinbruch - gelten im Falle Deutschlands nicht.

Mindestens ebenso schlimm wie die Geldbuße wäre zudem der Image-Schaden in der EU für den einstigen Stabilitätsfanatiker Deutschland. Eine "Blamage und ein Armutszeugnis" nennt es der FDP-Finanzpolitiker Carl-Ludwig Thiele. "Fatal" fände es Ulrich Schröder, Europa-Experte bei der Deutschen Bank Research. "Das würde dem Vertrauen der Bürger in den Euro schwer schaden und außerdem den Wechselkurs in den Keller reißen", warnt er.

Hinzu käme noch der Spott, der die deutschen Sozialdemokraten treffen würde. "Die ganze Werbung für den Sparkurs wäre umsonst gewesen", mutmaßt Schröder. "Am Ende hieße es: Die Sozis können doch nicht mit Geld umgehen."

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