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Wirtschaft: „Stabilitätspakt ist eine Zwangsjacke“

Der Finanzwissenschaftler Peter Bofinger hält weiteres Sparen für schädlich – der Aufschwung sei dann gefährdet

Der Wirtschafts-Sachverständige Peter Bofinger hat die Bundesregierung aufgefordert, trotz der Löcher im Bundeshaushalt jetzt keine zusätzlichen Einsparungen zu beschließen. „Kürzungen passen nicht in die konjunkturelle Landschaft und würden den Aufschwung gefährden“, sagte Bofinger dem Tagesspiegel am Sonntag. Laut Grundgesetz seien Bund und Länder verpflichtet, mit ihrer Haushaltspolitik das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zu wahren.

Die Steuerschätzung in der kommenden Woche wird vermutlich ergeben, dass sich Bund, Länder und Kommunen bis Ende 2007 auf Steuerausfälle von rund 50 Milliarden Euro einstellen müssen. Die Bundesregierung berät derzeit darüber, wie sie darauf reagieren will. Bestrebungen von Finanzminister Hans Eichel, die Mehrwertsteuer drastisch zu erhöhen, hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder am Freitag abgelehnt. Eichel hatte daraufhin angedeutet, dass Deutschland 2005 vermutlich gegen den Stabilitätspakt verstoßen werde. Das wäre das vierte Mal in Folge. Der Vertrag schreibt vor, dass die neuen Schulden, die ein Land pro Jahr aufnimmt, drei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes (BIP) nicht übersteigen dürfen. Vor Bofinger hatten bereits zwei der sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute im Frühjahrsgutachten dafür plädiert, nun kein neues Sparpaket aufzulegen.

Bofinger, der in Würzburg Volkswirtschaft lehrt, warf der Bundesregierung eine falsche Ausgabenpolitik vor. „Kein Land in Europa hat in den vergangenen zwei Jahren so stark gespart wie wir“, sagte er. Der Staat habe mit aller Macht versucht, das konjunkturbedingte Defizit zu drücken. „Bund und Länder befinden sich in einem Sparwettlauf. Wir sparen Jahr für Jahr dem Maastricht-Kriterium hinterher – trotz Sars, Börsencrash und Ölpreisschock.“ Der Stabilitätspakt sei für Deutschland und Europa „eine Zwangsjacke“ und habe eine finanzpolitische Reaktion auf die Konjunkturflaute verhindert. Zudem müsse die Wirtschaft hier zu Lande mit den höchsten Realzinsen aller Industrieländer leben. Wegen dieser schwierigen Rahmenbedingungen laufe die Konjunktur noch immer schlecht. Auch in diesem Jahr werde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) vermutlich nur um rund anderthalb Prozent wachsen. „Das ist der schwächste Aufschwung in der Nachkriegszeit", befand Bofinger.

Ausgaben- statt Defizitziele

Als Ausweg schlägt der Wirtschaftsweise vor, dass sich der Staat in Zukunft an Ausgabenzielen orientieren solle statt an Defizitgrenzen. Entsprechend müsse auch der Stabilitätspakt geändert werden. 2005 erneut die Drei-Prozent-Grenze zu überschreiten, sei zwar „schlecht, aber durchaus mit dem Maastricht-Vertrag in Einklang zu bringen“. Die Gesamtverschuldung Deutschlands hält der Wissenschaftler nicht für Besorgnis erregend. „Unsere Verbindlichkeiten summieren sich auf 65 Prozent des BIP – das ist bei einem EU-Schnitt von 75 Prozent vertretbar.“ Auf den Finanzmärkten gelte Deutschland immer noch als erstklassiger Schuldner.

Auch die Stabilität des Euro sieht Bofinger durch die Schulden nicht gefährdet. Dass die Deutschen angesichts der hohen Verschuldung aus Angst vor zukünftigen Steuererhöhungen noch mehr sparen würden, glaubt Bofinger nicht. „Dann hätten die Amerikaner schon längst den Konsum komplett einstellen müssen.“ Hier zu Lande komme der Konsum nicht in Gang, weil die Leute Angst vor einem Abbau des sozialen Sicherungsnetzes hätten. „Wer mehr Eigenverantwortung der Leute fordert, muss damit leben, dass anschließend die Sparquote steigt.“

Bofinger lehnte zudem weitere Steuersenkungen für Spitzenverdiener ab. „Jeder Euro, den man dafür einsetzt, ist verschwendet.“ Stattdessen müsse die Abgabenlast für Niedriglohnjobs sinken. „Man könnte für Jobs bis zu 1200 Euro Verdienst die Sozialabgaben halbieren, die Sozialleistungen aber unverändert lassen. Das würde viele Vollzeitstellen im unteren Lohnbereich schaffen.“

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